von Charlotte Scheller
Da war ich also in dem Stall. Es war warm und roch süß nach Milch und Heu. Ich wurde müde. Aber ich konnte mich nicht schlafen legen. Im Stall war eine Katze. Ich mag Katzen! Wenn eine um die Ecke kommt, bunt, schwarz oder getigert, kann kein Hirte mich halten. Ich muss hinterher. Die Katze muss weg. Auf den nächsten Baum. Oder meinetwegen in ein Brunnenloch.
Da war ich also in dem Stall. Es war warm und roch süß nach Milch und Heu. Ich wurde müde. Aber ich konnte mich nicht schlafen legen. Im Stall war eine Katze. Ich mag Katzen! Wenn eine um die Ecke kommt, bunt, schwarz oder getigert, kann kein Hirte mich halten. Ich muss hinterher. Die Katze muss weg. Auf den nächsten Baum. Oder meinetwegen in ein Brunnenloch.
In dem Stall war es anders. Ein neugeborenes Menschenkind lag da im Futtertrog und schaute mich an. Ich wollte mich umdrehen, die Katze anspringen, aber es ging nicht. Die Kinderaugen machten, dass mein Hinterteil am Boden klebte. Mir wurde klar: Der Kleine in dem Futtertrog ist ein großer Hirte. Ein Bestimmer. Ich werde ihm gehorchen. Leg dich hin, sagten seine Augen zu mir. Die Katze streckte sich auf einem Stoffhaufen aus. »Komm her«, miaute sie. »Auf dem Mantel ist noch Platz.« Unglaublich: Ich, wolfsgefährlicher Hütehund, Trost der Lämmer, Schrecken aller Katzen, lege mich neben eine grau gestreifte Mäusejägerin! »Ich heiße Lou«, schnurrt sie. »Struppi«, brumme ich. So wurden wir Freunde.
Einmal, als ich wieder durch die Stalltür schlüpfen wollte, sprang Lou hinter einem Busch hervor. Sie landete in meinem Nacken und hielt sich mit den Krallen in meinem Fell fest. »Achtung«, fauchte sie mir ins Ohr. »Hoher Besuch. Du kannst jetzt nicht in den Stall.« Auf leisen Pfoten schlichen wir an die Tür und spähten hinein. Lous Schwanz zuckte. Das Menschenkind schlief. Die Mutter saß aufrecht auf ihrem Strohlager. Der Vater stand mitten im Stall. »Wir danken euch«, sagte er und kratzte sich am Bart. Sicher hatte er Läuse wie unsere Hirten. »Wir danken euch sehr!«
Mit wem redete der Zweibeiner-Vater? Es roch anders als sonst im Stall. Nach schweren Kleidern, wie Kaufleute sie tragen. Nach Kamelschweiß, Sattelfett und Wüstensand. Drei Männer waren da. »Die kommen von weit her«, flüsterte ich. Groß wie Zedernbäume wären die Turbanträger gewesen, wenn sie nicht auf dem Boden gekniet hätten. Niederknien, das bedeutet bei Menschen: Ich ergebe mich. Die Besucher gehorchten dem Kind. Der vorderste krabbelte wieder auf die Füße. Er gab dem Kindsvater ein kleines Säckchen. Ich konnte riechen, was darin war. Ein gelbes Harz. Es wird auf dem Markt verkauft. Weihrauch. Wenn man es anzündet, qualmt es. Der Rauch vertreibt die schlechte Luft. Er schützt vor Krankheiten, vor bösen Gedanken und tollwütigen Fledermäusen.
Der Vater nahm das Weihrauchsäckchen. Dann trat der nächste vor. Er hatte einen kleinen Tontopf. Ich schnupperte: Myrrhensalbe. Wird von unseren Hirten benutzt. Hilft gegen Flöhe und macht das Fell der Schafe glänzend. Auch der dritte Herr hatte ein Geschenk für das Kind. Es roch nicht. Aber es glitzerte im Schein der kleinen Öllampe. Münzen. Die Hirten bekommen manchmal welche, wenn sie ein Schaffell verkaufen oder einen Berg Wolle. Kleine runde harte Dinger. Die schmecken nach nichts und machen die Zweibeiner richtig froh. »Gold!«, rief der Vater des Kindes. »Wie gütig von euch!« Die drei verbeugten sich vor dem Kind. Ihre Turbane berührten fast die Späne auf dem Boden. Dann gingen sie rückwärts zur Tür. Auf Zweibeinisch heißt das: Du bist unser König. Niemals würden wir dir den Rücken zeigen. Wir sind deine Diener.
Lou und ich hatten uns hinter eine Mauer verzogen, als die Männer aus dem Stall kamen. »Es wird bald dunkel«, sagte der, der das Gold gegeben hatte. Kaspar nannten sie ihn. »Zu dumm«, sagte der mit dem Weihrauch, Melchior, »heute schaffen wir es nicht mehr nach Jerusalem. Wir müssen doch zu König Herodes und ihm sagen, wo er den neugeborenen König finden kann. Er will ihn auch anbeten.« – »Morgen ist auch noch ein Tag«, sagte Balthasar, der Myrrhen-Mensch. »Lasst uns hier übernachten, in Bethlehem.« Als Melchior »Herodes« sagte, hatte ich leise geknurrt. Meine Freundin Lou zischte und ließ ihre Krallen sehen. »Du verrätst uns!« – »Hast du nicht gehört? Die wollen zu Herodes!« – »Na und?« Lou streckte sich und gähnte. »Was dagegen?« – »Herodes ist doch der König in Jerusalem. Meine Hirten sind wütend auf ihn. Er hat seine Soldaten nach Bethlehem geschickt. Er könnte dem Kind in der Krippe was tun, sagen die Hirten. Weil es ein König ist, hat Angst um seinen Thron. Er will selber König bleiben. Für immer und ewig.« – »Mist!«, fauchte die Katze. »Die Drei sind schon losgegangen. Sie werden das Königskind verraten.« – »Hinterher!« Ich sprang auf. Eine Verfolgungsjagd, das würde ein Spaß!
Später hockten wir im Gastzimmer vor dem Kamin. Zwischen den Rucksäcken der drei Herren. Die waren ins Wirtshaus gegangen. Morgen wollten sie zu Herodes. Was tun, um sie aufzuhalten? »Wir klauen ihre Münzen«, schlug ich vor. »Dann haben sie kein Geld mehr und müssen geradewegs nach Hause reiten.« – »Wir zerkratzen ihre Gesichter.« Lou hieb mit der Tatze in die Luft. »Dann können sie nichts sehen und finden nicht nach Jerusalem.« – »Wir zerkauen ihre Sandalen und zerreißen ihre Kleider.« Ich schmatzte. »Dann lässt man sie nicht rein in den goldenen Thronsaal.« Wir schmiedeten Pläne, bis das Feuer abgebrannt war. Dann stupste ich Lou an. »Du sagst ja gar nichts mehr!« Die Katze schnarchte leise, das Näschen auf der Schwanzspitze. Ich rollte mich ebenfalls zusammen. Lous Fell wärmte meinen Rücken.
Ein Knarren weckte mich. Ich sah mich um. Die Männer lagen auf ihren Matten, ohne Turbane, und atmeten ruhig. Ha-püh, atmete Kaspar. Pitsch-hih, pustete Melchior. Pff-tipuh, schnaufte Balthasar. Es knarrte wieder. Die Tür ging einen Spaltbreit auf. Ein Wesen trat ein. Wie ein Mensch, nur ohne Geruch. Durchsichtig und hell. Wie das Licht, das mittags über die Berge kam. Oder das Leuchten, das in der Heiligen Nacht am Himmel war. Mit der Schnauze schubste ich Lou, aber sie war schon wach. Wir hielten den Atem an. Der Engel ging zu dem Bett. Er streckte die Hand aus und berührte die Männer an der Schulter. Sie fuhren hoch. Blinzelten erschrocken durch die Hände vor ihren Augen. »Fürchtet euch nicht«, sagte der Engel. »Ihr habt den neugeborenen König gesehen. Geht nicht wieder in das Schloss von Herodes.«
Ich knurrte. Lou schlug mir mit der Tatze aufs Maul. Der Engel hob eine Augenbraue. »Geht nicht mehr zu Herodes«, sagte er noch mal. »Geht zurück in eure Heimat. Auf dem kürzesten Weg. Zu Hause erzählt allen: Ein neuer König ist geboren. Jesus, der Herr für uns alle!« Dann war er verschwunden.
Die drei Königskind-Besucher plumpsten zurück auf ihre Matten und schliefen weiter. Lou und ich schlichen hinaus. Als die Sonne aufging, sahen wir die Männer wieder. Am Brunnen, mit ihren Kamelen. »Es war ein Traum«, sagte Melchior. »Es war ein Engel«, sagte Balthasar. »Es war ein Engel im Traum«, sagte Kaspar. »Was er gesagt hat, wird getan. Schluss, basta, aus!« Sie gaben ihren Tieren zu trinken. Diesen eingebildeten Grasfressern. Die sprachen natürlich kein Wort mit uns. Kamele reden nur mit ihresgleichen.
»Dem Höchsten sei Dank«, sagte das eine und glotzte in Richtung Osten, einen Mäusesprung über mich und Lou hinweg. »Nun geht es nach Hause!« – »Genau. Ohne Umwege«, murmelte das zweite Höckertier, das Maul voller Olivenblätter. Das dritte klapperte mit den Augenlidern. »Noch einen Tag im Hof des Palastes hätte ich nicht überstanden.«
Wir sahen den Dreien nach, wie sie auf ihren Kamelen davonschaukelten. Dann rannten wir zum Stall. »Wo ist Maria?«, kläffte ich. »Und Josef?«, maunzte Lou. »Wo ist das Kind?« Der Ochse hob seinen Kopf aus dem Futtertrog. »Heute Morgen abgereist«, sagte er. »Richtung Ägypten. Der Esel ist mitgegangen.« Ich war ein kleines bisschen traurig. Eins meiner Schnurrhaare hing herunter. Aber die anderen standen fröhlich ab. Denn ich war auch glücklich. Ich hatte den neugeborenen König gesehen. Jesus, den Herrn. Und ich hatte eine Freundin gewonnen. »Los«, bellte ich, »lass uns Fangen spielen!«