Lieblingsbibeltext mit Brigitte Wilfroth: Der barmherzige Samariter
Lukas 10,25-37
Und siehe, da stand ein Schriftgelehrter auf, versuchte Jesus und sprach: Meister, was muss ich tun, dass ich das ewige Leben ererbe?
Er aber sprach zu ihm: Was steht im Gesetz geschrieben? Was liest Du?
Er antwortete und sprach: Du sollst den Herrn, Deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von allen Kräften und von ganzem Gemüt und Deinen Nächsten wie Dich selbst.
Jesus aber sprach zu ihm: Du hast recht geantwortet. Tu das, so wirst Du leben.
Er aber wollte sich selbst rechtfertigen und sprach zu Jesus: Wer ist denn mein Nächster?
Da antwortete Jesus und sprach:
Es war ein Mann, der ging von Jerusalem hinab nach Jericho und fiel unter die Räuber; die zogen ihn aus und schlugen ihn und machten sich davon und ließen ihn halbtot liegen. Es traf sich aber, dass ein Priester dieselbe Straße hinabzog; und als er ihn sah, ging er vorüber. Desgleichen kam auch ein Levit: Als er zu der Stelle kam und ihn sah, ging er vorüber. Ein Samariter aber, der auf der Reise war, kam dahin; und als er ihn sah, jammerte er ihn; und er ging zu ihm goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte ihn in eine Herberge und pflegte ihn. Am nächsten Tag zog er zwei Silbergroschen heraus, gab sie dem Wirt und sprach: Pflege ihn; und wenn Du mehr ausgibst, will ich Dir’s bezahlen, wenn ich wiederkomme.
Wer von diesen dreien, meinst Du, ist der Nächste gewesen dem, der unter die Räuber gefallen war?
Er sprach: Der die Barmherzigkeit an ihm tat. Da sprach Jesus zu ihm: So geh hin und tu desgleichen.
Für mich ist wichtig: Helfen, wo Hilfe gebraucht wird in Taten und Worten. Unterstützen, Zuhören, Trösten, Mut zuzusprechen und dadurch zu helfen und für denjenigen da zu sein. Nicht fragen, wer er ist oder woher er kommt. Offen sein zu Fremden und ihnen freundlich begegnen.
Für Freunde da sein. Dadurch entstehen wunderbare und lange Freundschaften. Diese Freundschaften sind genauso für mich da, wenn ich sie brauche.
Ich träume von einem Ort, an dem alles gut ist. An diesem Ort scheint die Sonne. Es ist Sommer und warm. Ich kann barfuß laufen. Unter meinen Füßen sind grünes Gras und Blumen. Ich kann sie riechen. Ein Schmetterling fliegt vorbei. Vielleicht brummt ein Flugzeug in der Ferne. Um mich herum toben Kinder. Ihr Lachen ist schon von Weitem zu hören. An diesem Ort sind alle Menschen, die ich liebhabe und die mir wichtig sind, um mich herum. Jeder hat sein eigenes Haus. Die Häuser sind ganz verschieden. So wie die Menschen: Es gibt Villen und Holzhütten und alte gemütliche Häuser. Wenn man durch die Straßen geht, dann begegnet man sich. Man lächelt sich an oder umarmt sich. Oder man nickt sich kurz zu und geht dann weiter.
Wenn ich mit jemandem reden oder jemanden umarmen will, kann ich zu einem der vielen Häuser hingehen und an der Tür klingeln. Dann ist einer da, der mir zuhört.
Und umgekehrt freue ich mich, wenn es an meiner Tür klingelt und der, der davorsteht, sagt: Ich wollte mal vorbeigucken.
Zu Hause ist meine Familie. Ich kann sein, wie ich bin.
Das Coolste: Gott ist auch da. Man kann ihn wirklich sehen. Und sich ihm in die Arme schmeißen. Er ist wie ein Mensch, der mich festhält. Ich weiß sicher: Gott ist da.
Dieser Ort ist ein Traum. Unsere Realität ist eine andere. Ganz besonders jetzt. Wir sehnen uns danach, dass wir alle unsere Lieben in den Arm nehmen können. Dass wir jeden besuchen können, unsere Eltern, Freundinnen, Geburtstagskinder, die Kranken und dass jeder kommen kann, den wir sehen wollen. Wir sehnen uns danach, keine Angst zu haben: Um liebe Menschen, um den Job oder davor, krank zu werden.
Wir fragen uns: Wann ist es denn endlich wieder gut? Wann ist wieder Alltag? Und vielleicht fragen wir auch: „Gott, wo bist Du denn eigentlich? Eigentlich wünsche ich mir doch, dass ich weiß, Du bist da. Gerade jetzt brauche ich Dich besonders.“
Die Israeliten haben Ähnliches erlebt: Sie wurden von einer fremden Macht besiegt und in ein fernes Land verschleppt. Alles war ganz anders, als sie es kannten. Sie wollten nur zurück nach Hause, in die Heimat. Dahin, wo sie wissen, wie alles läuft. Dahin, wo ihre Eltern sind. Ihre Kinder, Nachbarn, Kampfgenossen, Knechte, Händler, Handwerker. Ihr Gotteshaus, ihre Felder, Fischgründe, Gärten. Ihr Herd, ihr Weinkeller. Sie haben auch gefragt: „Wie lange geht das noch? Was sollen wir hier machen? Wir kennen uns nicht mehr aus in diesem Alltag und in unserem Leben.“
In diese Situation hinein spricht der Predigttext aus dem Buch Jeremia:
(1) Dies sind die Worte des Briefes,
den der Prophet Jeremia von Jerusalem sandte
an den Rest der Ältesten, die weggeführt waren,
an die Priester und Propheten
und an das ganze Volk,
das Nebukadnezzar von Jerusalem nach Babel weggeführt hatte.
(4) So spricht der HERR Zebaoth, der Gott Israels,
zu allen Weggeführten,
die ich von Jerusalem nach Babel habe wegführen lassen:
(5) Baut Häuser und wohnt darin; pflanzt Gärten und esst ihre Früchte,
(6) nehmt Euch Frauen und zeugt Söhne und Töchter,
nehmt für Eure Söhne Frauen
und gebt Eure Töchter Männern,
dass sie Söhne und Töchter gebären;
mehrt Euch dort, dass ihr nicht weniger werdet.
(7) Suchet der Stadt Bestes, dahin ich Euch habe wegführen lassen.
und betet für sie zum HERRN;
denn wenn’s ihr wohlgeht, so geht’s auch Euch wohl.
(10) Denn so spricht der HERR:
Wenn für Babel siebzig Jahre voll sind, so will ich Euch heimsuchen
und will mein gnädiges Wort an Euch erfüllen,
dass ich Euch wieder an diesen Ort bringe.
(11) Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über Euch habe,
spricht der HERR:
Gedanken des Friedens und nicht des Leides,
dass ich Euch gebe Zukunft und Hoffnung.
(12) Und ihr werdet mich anrufen und hingehen und mich bitten,
und ich will Euch erhören.
(13) Ihr werdet mich suchen und finden;
denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet,
(14) so will ich mich von Euch finden lassen, spricht der HERR.
Diese Worte klingen total widersinnig. Die Israeliten wollen sich ja gerade keine Häuser in der Fremde bauen. Sie wollen zurück nach Hause. Sie wollen sich nicht in diesen Umständen einrichten und wünschen sich die alte Normalität zurück. Jeder hat seinen eigenen Sehnsuchts-Ort in der verlorenen Heimat, seinen eigenen Traum von der Zukunft.
Jeremias Worte sind eine Zumutung. Für die Israeliten und für uns.
Was ist denn, wenn ich mich nicht einrichten will? Wenn ich mein altes Leben zurückhaben will, wenn ich gar kein Haus bauen kann, weil ich mich nicht niederlassen will in diesem Land, in das es mich verschlagen hat?
Baut Häuser. Pflanzt Gärten. Kriegt Kinder. Sucht das Beste für die Stadt. Sucht Gott mit ganzem Herzen.
Ich höre immer nur, ich soll…
Aber was ist denn, wenn ich Gott nicht mit ganzen Herzen suche? Sondern nur mit halben Herzen oder einem viertel oder gar nicht?
Jeremia spielt nichts herunter, er redet nichts schön. Alle Sorgen, alle Sehnsucht, alles Fragen ist absolut berechtigt. Gott ist nicht unbarmherzig. Er sagt nicht: „Stellt Euch nicht so an.“ Oder: „So schlimm ist es ja gar nicht.“
Es geht nicht um neue Forderungen, nicht darum, sich eine neue Last auflegen zu lassen.
Vielmehr sagt Gott: „Ich will, dass ihr durchkommt. Ich will das Beste für Euch. Auch in diesem fremden Land bin ich ansprechbar. Gerade dort, im Ungewissen, bin ich da für Euch.
Wenn ihr nach mir Ausschau haltet, dann werdet ihr mich finden.“
Das ist keine Frage. Kein Vielleicht. Sondern eine Zusage.
Wenn das so ist, dann reicht die Sehnsucht vielleicht schon aus. Dann hat mein Herz schon angefangen, Gott zu suchen.
Dann muss ich auch kein ganzes Haus bauen. Keine Villa mit zehn Zimmern. Ein Zelt reicht. Es ist nicht gesagt, dass ich genau an diesem Ort bleibe. Ich bin weiterhin draußen, auf der grünen Wiese, unter der Sonne, dem Himmel ganz nah. Was ich jetzt baue, ist nicht für die Ewigkeit. Eher eine Unterkunft auf Zeit. Inmitten anderer Häuser. Ich sehe mich um und entdecke andere, die sich niederlassen für eine Zeit.
Ich mache die Tür für jemanden auf, der zu mir kommt.
Ich kann etwas pflanzen. Oder das, was schon da ist, genießen. Wie den Garten. Darin wächst manches von allein. Er muss nicht top durchgestylt sein, so wie bei der Bundesgartenschau. Vielleicht ist er ziemlich chaotisch und es gibt Unkraut. Aber es ist ein Ort, an dem mir Gutes geschenkt wird. Sonne, Gras, Schmetterlinge, Blumen und Früchte. Nahrung für Seele und Leib.
So gesehen, kann ich mich mit Jeremias Worten anfreunden. Es geht nicht darum, sich perfekt einzurichten in einer Situation, in der man gar nicht sein will. Aber ich muss auch nicht mit aller Kraft versuchen, das, wonach ich mich sehne, hier und jetzt und gleich zu erreichen.
Jeremias Worte können befreiend sein. Er sagt: „Lebt im Augenblick. Verpasst nicht die Gegenwart, weil ihr ständig in der Vergangenheit oder in der Zukunft hängt. Schaut auf die kleinen Momente, in denen etwas Nahrhaftes wächst. Oder in denen sich ein Raum auftut, wo es sich eine Zeitlang leben lässt“:
Ein Zettel mit einem Smiley auf dem Schreibtisch. Ein aufmunternder Blick, der sagt: „Sprich weiter. Deine Gedanken sind mir wichtig.“
Eine Kollegin, die zuhört, obwohl es ihr selbst nicht gut geht.
Die Blumen im Pfarrgarten, die Du pflegst.
Die Kinder der Nachbarn, um die Du Dich kümmerst.
Deine Aufgaben in der Gemeinde, wo andere Dich brauchen.
Die Tür, die Du für jemand anderen öffnest, sodass er eintreten und sich zuhause fühlen kann.
Oder ein Anruf: „Ich weiß, Du hast gerade viel zu arbeiten. Ich komm Dir helfen.“
Das sind kleine Momente, in denen ich etwas ahne von Gottes Zukunft. Meine Sehnsucht danach kann ich Gott sagen:
„Gott, ich bin unruhig. Ich will das Bessere, die Erfüllung meiner Träume sofort. Ich spüre nichts von Deiner Zukunft, nicht mal von Deiner Gegenwart. Bitte sei jetzt trotzdem da.
Lass mich durchkommen durch diesen Tag, durch diese Stunde.
Lass mich tief in meinem Herzen wissen: Du meinst es gut mit mir.“
Wie stehen wir als Christenmenschen zu Not und Notwendigkeit in der Pandemie? Überraschend aktuell die Gedanken Martin Luthers:
„Und denke so: Wohlan, der Feind hat uns durch Gottes Zulassen Gift und tödliche Ansteckung hereingeschickt. So will ich zu Gott bitten, daß er uns gnädig sei und es abwehre. Danach will ich auch räuchern, die Luft reinigen helfen, Arznei geben und nehmen, Orte und Personen meiden, wenn man mich nicht braucht, damit ich mich selbst nicht vernachlässige und dazu durch mich vielleicht viele andere vergiftet und angesteckt werden und ihnen so durch meine Nachlässigkeit eine Ursache des Todes entsteht. Will mich allerdings mein Gott haben, so wird er mich wohl finden; so habe ich doch getan, was er mir zu tun gegeben hat, und bin weder an meinem eigenen noch an anderer Leute Tod schuldig. Wenn aber mein Nächster mich braucht, will ich weder Orte noch Personen meiden, sondern frei zu ihm gehen und helfen, wie oben gesagt ist. Sieh, das ist ein rechter, gottfürchtiger Glaube, der nicht tollkühn oder frech ist und auch Gott nicht versucht.“
Martin Luther, Ob man vor dem Sterben fliehen möge
Römer 8, 31-39, gelesen und kommentiert von Benni Lerch Wenn Gott für uns ist, wer kann wider uns sein? Er, der doch seines eigenen Sohnes nicht geschont, sondern ihn für uns alle hingegeben hat, wie wird er uns mit ihm auch nicht alles schenken?
Wer wird wider Gottes Auserwählte Anklage erheben? Gott ist es, der rechtfertigt. Wer ist es, der verdamme?
Christus ist es, der gestorben, ja noch mehr, der auch auferweckt, der auch zur Rechten Gottes ist, der sich auch für uns verwendet. Wer wird uns scheiden von der Liebe Christi? Drangsal oder Angst oder Verfolgungen oder Hungersnot oder Blöße oder Gefahr oder Schwert? Wie geschrieben steht: „Um Deinetwillen werden wir getötet den ganzen Tag; wie Schlachtschafe sind wir gerechnet worden.“ Aber in diesem allen sind wir mehr als Überwinder durch den, der uns geliebt hat. Denn ich bin überzeugt, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentümer, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch Gewalten, weder Höhe noch Tiefe noch irgendein anderes Geschöpf uns zu scheiden vermögen wird von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.
Wenn Gott für mich ist, wer kann dann gegen mich sein? Für mich ist hier eine tiefe Nachricht verborgen, die im Alltag zu oft vergessen wird. Trotzdem ist sie aus meiner Sicht wahr und trägt mich durch das Leben. Diese Wahrheit eröffnet mir einen neuen Blick auf meine Ängste und schwierige Situationen, die ich in meinem Leben erlebe: Wenn Gott für mich ist, dann ist er mit mir. Dann lässt er mich gerade nicht alleine. Wenn diese Aussage stimmt, dann kann mich auch nichts von Gott trennen. Das stellt Paulus auch in dieser berühmten Aussage klar. Denn er sagt, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Fürstentümer, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges noch Gewalten, weder Höhe noch Tiefe, noch irgendein anderes Geschöpf oder irgendetwas anderes uns trennen kann von der Liebe Gottes.
zu Markus 2,23-28 von Charlotte Scheller Als ich klein war, waren die Sonntage ganz besonders. Ich durfte mein Sonntagskleid anziehen und in einem Jahr hatte ich auch Lackschuhe. Wir gingen zu Fuß zur Kirche. Jedesmal fiel ich hin und riss mir ein Loch ins Knie und in die Sonntagsstrumpfhose, die dann keine mehr war. In der Kinderkirche kriegte man ein Sammelbild. Die Bilder wollte ich vollständig haben. Am schönsten fand ich das Lied „Jesus ist kommen“, vielleicht weil es kein Kinderlied war, sondern ein erwachsenes, ein richtig fröhliches. Von den Bildern hatte ich die mit Jesus am liebsten. In meiner Erinnerung beugt er sich runter auf den Bildern. Zu den Kindern, die er in die Arme nimmt, während die Jünger abseits stehen und sich an den Kopf fassen. Zu dem Gelähmten, den die Freunde durchs Dach abgeseilt hatten, Jesus vor die Füße, während die Gelehrten abseits stehen. Der Sonntag war besonders, weil meine Mutter ein Sonntagsessen kochte und sich dann mit einem Buch und einer Tasse Kakao zurückzog. Und weil mein Vater Zeit für uns hatte.
„Und es begab sich, dass Jesus am Sabbat durch die Kornfelder ging, und seine Jünger fingen an, während sie gingen, Ähren auszuraufen. Und die Pharisäer sprachen zu ihm: Sieh doch! Warum tun deine Jünger am Sabbat, was nicht erlaubt ist?“
Da sind sie wieder, die abseits stehenden Gelehrten, die genau wissen, wie Glauben geht, und machen ihm Vorwürfe. Wenigstens suchen sie Streit. Eben erst haben sie sich hinter seinem Rücken aufgeregt, weil er dem gelähmten Mann die Sünden vergeben hat. Jetzt beobachten sie, was er am Tag des Herrn macht. Jetzt sprechen sie Jesus an. Er ist verantwortlich für das, was seine Jünger machen. Und was sie machen, gehört sich nicht, wenn man zur Gemeinde gehört. Unkraut jäten am Sonntag. Kornähren ausrupfen am Sabbat. Die Körner rausschälen und womöglich schroten, um sie zu essen. Das ist verboten. Weil Arbeit. Du sollst den Feiertag heiligen!
„Und er sagt zu ihnen: Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen.“ So sehe ich es auch. Keine religiöse Bevormundung. Keine Kleidchen und Strumpfhosen mehr. Als evangelische Christen sind wir frei, zu tun, was wir für richtig halten. Und was uns gut tut. Wenigstens am Sonntag. Ich kann zur Kirche gehen. Oder in den Wald. Wer sagt, dass ich Gott da, inmitten seiner Schöpfung, den Himmel über mir, die Erde unter den Füßen, nicht viel näher bin?
Jesus blockt das Gespräch nicht ab. Jetzt sind die Jünger außenvor. Jetzt gibt es nur noch ihn und die Pharisäer. Sie liegen nicht weit auseinander. Der Sabbat ist eine gute Gabe Gottes. Daran kann man das Gottesvolk erkennen: Am siebten Tag ist Ruhe. Jedes Machen und Tun unterbrochen. Weil Gott ruhte am siebten Tag. Ein Geschenk an seine Menschen. An Tiere und Pflanzen. An Einheimische und Fremde. Eine Erinnerung: Er hat uns gemacht und nicht wir selbst. Die Erinnerung streckt sich in die Zukunft. Denn am Ende der Zeit ist nur noch Sabbat. Ein großer, wunderbarer, ewig langer Feiertag. Er kommt. Die Pharisäer träumen, wenn ganz Israel nur zweimal richtig Sabbat hält, dann bricht Gottes Herrlichkeit an. Also tu deinen Teil dazu! Es hat Gläubige gegeben, die lieber gestorben sind als die Sabbatruhe zu brechen. Aber auch unter den Pharisäern gibt es unterschiedlich strenge Haltungen. Es sind Ausnahmen denkbar. Wenn Gefahr besteht für Leib und Leben. Aber. Die Jünger hätten vorsorgen können, dann wären sie auf dem Spaziergang nicht so hungrig gewesen. Bei Freunden in der Berliner Stadtmission war es so: Am Samstag wurde vorgekocht. Ein großer Topf Suppe. Und am Sonntag war man frei. Kein Sonntagsbraten. Zeit für den Gottesdienst. Für Gespräche und Spaziergänge.
Auch der Natur täte ein Ruhetag gut. Dem Klima. Den Arbeitnehmerinnen in den 24-Stunden-Online-Einkaufszentren. Schon in den Sechziger Jahren meint der Seelsorger und Theologe Romano Guardini: Der Sonntag ist nicht nur Sache des Einzelnen. Es geht nicht bloß um den Glauben der Christen und um ihr Ruhebedürfnis. Wir Christen sind ja nur ein Teil der Bevölkerung. Aber alle Menschen brauchen Ruhepausen. Das klingt übel in diesem Jahr, in dem so viele ihre Existenz bedroht oder zerstört sehen durch den Stillstand. Aber wir sollen ja nicht um eine aufgezwungene Ruhe kämpfen. Sondern um die Freiheit, ausruhen zu dürfen.
Jesus lässt sich auf den Streit ein. „Und er sagt zu ihnen: Habt ihr nie gelesen, was David tat, da er Mangel hatte und ihn hungerte, ihn und die bei ihm waren: wie er ging in das Haus Gottes zur Zeit des Hohenpriesters Abjatar und aß die Schaubrote, die niemand essen darf als die Priester, und gab sie auch denen, die bei ihm waren?“
Gegenfrage. Jesus argumentiert. Erinnert die Schriftgelehrten an eine Geschichte von David. Unterwegs, auf der Flucht vor König Saul, er hatte nichts zu essen dabei. Er nahm sich die Freiheit, in den Tempel zu gehen und die heiligen Brote zu nehmen. Nur der Priester darf sie essen. Aber Not kennt kein Gebot! Dass er sie mit seinen Freunden geteilt hat, steht nicht in Schrift. Auch nicht, dass er sie selber an sich nimmt. Nicht mal der Name des Hohepriesters stimmt. Jesus geht frei mit der Schrift um. Er interpretiert. David ist der legendäre König. Gottes Gesalbter. Ihm ist wichtiger, seine Leute aus der Not zu retten, als das Gesetz buchstabengetreu einzuhalten. David nimmt sich die Freiheit. Wie sich Jesus die Freiheit nimmt, für seine Leute einzustehen, auch wenn sie am Sabbat ein paar Kornähren ausgerupft haben.
„So ist der Menschensohn Herr auch über den Sabbat.“ Es geht nicht bloß um den Sabbat. Es geht um das Gesetz, die Regeln, die für Gottes Kinder gelten, und um ihre Freiheit. Was David sich erlaubt hat, kann Jesus sich erst recht erlauben. Denn er ist der Davidssohn. Mit Gottes Kraft und Vollmacht ausgestattet. Dieser Herr über den Sabbat ist mehr als David. Er hat noch mehr zu geben als Brot aus dem Tempel. Er hat Worte des ewigen Lebens. Er ist selber Brot, ist Gottes Wort, Nahrung für die Seele und Hoffnung für das ganze Leben seiner Leute. Also auch für unser Leben. In unsrem unvollkommenen Lebensrhythmus hier und an Gottes neuem Tag. Er ist Herr über den Sabbat, weil er eins ist mit Gott. In Jesus, dem Menschensohn, ist Gott als Mensch bei seinen Leuten. Er beugt sich runter, obwohl er das gar nicht braucht, er ist ja schon unten. Bei den Zöllnern und Sünderinnen. Bei den Kranken. Bei dem Gelähmten, der nicht zu ihm gekommen wäre, wenn seine Freunde ihn nicht hingeschleppt hätten. Bei denen, die sich an die Gebote halten und sich selbst und der Schöpfung Ruhe gönnen. Bei denen, die das Leben feiern und es sich schmecken lassen.
Dem Gesetz der Welt entkommt er nicht. Am Tag vor dem Sabbat wird er hingerichtet. Zum Tode verurteilt. Von seinen Leuten im Stich gelassen. Dann ist Totenstille.
Bis zum ersten Tag der neuen Woche. „Als der Sabbat vorüber war“, sind die Frauen losgegangen zum Grab und haben ihn da nicht gefunden. Weil er lebt. Weil der Herr über den Sabbat sein Leben für alle gegeben hat. Weil er bei uns ist bis ans Ende der Welt. Deshalb feiern wir den Sonntag. Die Auferstehung Jesu. Unsere Hoffnung für heute und für ewig.
In den Wochen zwischen März und Mai, als wir uns nicht zum Gottesdienst treffen durften, haben viele von uns am Sonntag eine Kerze angezündet. Den Gottesdienst im Fernsehen geschaut oder eine Predigt gelesen. Ein Lied gesungen. Das Vaterunser mitgesprochen, wenn die Kirchenglocke geläutet hat. Während hier in der Kirche zwei, drei von uns es auch gebetet haben. Ich weiß, manch einer macht es immer noch so. Andere feiern ihren eigenen Gottesdienst im Wald. Im Wohnzimmer. Sonntag morgens um zehn, freitags bei der Kirche für Knirpse oder zu einer anderen Zeit. Weil Gott uns eine Zeit zum Ausruhen geschenkt hat. Weil wir ein Zeichen setzen wollen gegen den gnadenlosen Leistungsdruck. Weil wir uns eine Zeitlang dem Alltag entziehen und uns dem Herrn des Sabbats und unseres Lebens anvertrauen. Danach mögen wir weitergehen.