dass du nicht erschrecken musst vor dem Grauen der Nacht,
vor den Pfeilen, die des Tages fliegen,
vor der Pest, die im Finstern schleicht,
vor der Seuche, die am Mittag Verderben bringt.
Wenn auch tausend fallen zu deiner Seite
und zehntausend zu deiner Rechten,
so wird es doch dich nicht treffen.
Ja, du wirst es mit eigenen Augen sehen
und schauen, wie den Gottlosen vergolten wird.
Denn der HERR ist deine Zuversicht,
der Höchste ist deine Zuflucht.
Es wird dir kein Übel begegnen,
und keine Plage wird sich deinem Hause nahen.
Denn er hat seinen Engeln befohlen,
dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen,
dass sie dich auf den Händen tragen
und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest.
Über Löwen und Ottern wirst du gehen
und junge Löwen und Drachen niedertreten.
Dieser Psalm ist einer von dreien, die ich auswendig kann. Er ist mir sehr wichtig. Früher vor allem deswegen, weil mein Taufspruch aus ihm kommt: „Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie Dich behüten auf allen Deinen Wegen.“ Heute ist mir ein anderer Vers besonders wichtig: „Über Löwen und Ottern wirst Du gehen und junge Löwen und Drachen niedertreten.“ Für mich heißt das: Ich werde durchkommen in jeder Situation, weil der Schöpfer von Himmel und Erde selbst an meiner Seite ist. Er ist meine Zuversicht, er ist meine Zuflucht. Er wird mich nicht loslassen.
am 18. Sonntag nach Trinitatis zu Deuteronomium 30,11-14 zum Nachhören: Audio direkt unter diesem Beitrag
Was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe?, fragt ein reicher junger Mann.
Wow, was für eine Frage!
Dem jungen Mann geht es nicht darum, zu erfahren oder zu lernen, wie man einen Ärmel in ein Ärmelloch einnäht. Oder wie man den Abfluss eines Waschbeckens reinigt und dann wieder abdichtet. Oder wie man Mehlschwitze macht, sodass sie gelingt. Bei diesen Sachen schaue ich mir z.B. Videos im Internet an, bei denen ich sehen kann, wie das geht, und dann probiere ich es selbst aus. Oder jemand, der es kann, zeigt es mir und dann mache ich es nach. Und im TUN verstehe ich es: Learning by doing eben!
Aber dieser junge Mann fragt: Was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe? Das geht in die Richtung, wie wenn ich mich frage: Gefällt Gott das eigentlich, was ich tue und wie ich lebe? Mache ich alles richtig?
Da habe ich schon das Problem: Wie geht Learning by doing hier? Jesus nicht mehr so unterwegs wie zu seinen Lebzeiten. Bei wem kann ich zuschauen? Wer zeigt mir, wie ich das ewige Leben erwerbe, sodass ich das nachmachen kann?
Immerhin hat Jesus dem jungen Mann auf seine Frage geantwortet:
Du sollst, antwortet er. Mindestens 10x, denn Jesus bezieht sich auf die Zehn Gebote. Du sollst und sollst und sollst und sollst … und Jesus ist Gott. Was Jesus sagt, das gilt auch heute und für mich und uns alle.
Betrübt ist der junge Mann weggegangen.
Entsetzt haben die Jünger gefragt: Wer kann dann selig werden?
Kann ich dem Willen Gottes jemals so entsprechen, dass er mir dafür das ewige Leben überreicht?
Im heutigen Predigttext geht es auch um das Gebot Gottes – all diese Du sollst!. Dort heißt es:
11Denn das Gebot, das ich dir heute gebiete, ist dir nicht zu hoch und nicht zu fern. 12Es ist nicht im Himmel, dass du sagen müsstest: Wer will für uns in den Himmel fahren und es uns holen, dass wir’s hören und tun? 13Es ist auch nicht jenseits des Meeres, dass du sagen müsstest: Wer will für uns über das Meer fahren und es uns holen, dass wir’s hören und tun? 14Denn es ist das Wort ganz nahe bei dir, in deinem Munde und in deinem Herzen, dass du es tust. (5. Mose 30,11-14)
Das ist schon mal eine gute Botschaft: Für das Gebot Gottes, dafür, seinem Willen entsprechend zu leben, sind keine Höchstleistungen notwendig. Ich muss nicht fliegen können, um an das Gebot heranzukommen.
Das Wort Gottes – sein Gebot an mich – sein Wille – ist ganz nahe bei mir. Absolut erreichbar, in greifbarer Nähe! Sodass ich es anpacken kann. Wir alle können da herankommen!
Das Wort ist ganz nahe bei uns, in unseren Mündern und in unseren Herzen. Wenn man das Wort in den Mund nimmt, es zu sich selbst sagt, immer wieder im Mund bewegt, wie ein Stück Lieblings-schokolade – und wenn man es im Herzen eingeschlossen hat, wo wir all das aufbewahren, was wir lieb haben – was ist dann das Ergebnis, wenn das Wort uns SO nahe ist?
Es zu TUN.
Das nahe Wort ist nicht bloß ein Wort, das ich verstehe. Nicht bloß eine Erkenntnis in meinem Kopf, sodass ich dann weiß: Ok, das und das muss ich tun, wenn Gott sagt: Du sollst …
Worauf wir alles achten müssen und auch achten wollen, das bereitet uns bisweilen ziemliche Kopfschmerzen! Man kann gar nicht alle Konsequenzen absehen, zum Beispiel beim Kauf von Kleidung oder Lebensmitteln. Wie und wo werden sie produziert? Wer wird dadurch benachteiligt? Welche ungerechten Strukturen unterstütze ich durch den Kauf? Wenn dann auch noch Gottes Gebot dazukommt und sagt: Du sollst!, dann gerate ich ins Schlingern. Ich will ja nichts falsch machen. Dann fängt mein Kopf an zu arbeiten. Und im Zweifelsfall halte ich die Beine still – damit ich nicht unabsichtlich doch einen Fehler mache. Und davon abgesehen: Im Zweifelsfall liebt mich Gott ja doch einfach so. Mit untätig gefalteten Händen im Schoß. Oder?
Das ist gerade nicht das, was dieses Gebot will: Untätigkeit, weil ich es nicht erfüllen kann. Das Wort ist ganz nahe bei mir, in meinem Mund und in meinem Herzen, damit ich es tue! Gott will, dass ich tätig werde.
Das Gebot zu TUN heißt eben nicht, es zu erfüllen. Das kann ich schließlich auch gar nicht, das ist unmöglich bei den Menschen. Auf die Frage der Jünger: Wer kann dann selig werden?, da antwortet Jesus: Ja, eben niemand, weil Menschen das Gebot Gottes nicht erfüllen können: Bei den Menschen ist’s unmöglich, sagt er, aber nicht bei Gott; denn alle Dinge sind möglich bei Gott.
Muss ich am Ende so betrübt diesen Gottesdienst verlassen wie der junge Mann in der Evangeliumslesung, der traurig von dannen zieht, weil das ewige Leben unerreichbar ist für mich? Nein, zum Glück nicht!
Es ist zwar so: Ja, Seligwerden ist aus eigenen Kräften unerreichbar für mich. Das ewige Leben ist nicht ganz nahe bei mir in meinem Mund und in meinem Herzen, dass ich es mit eigenen Händen ergreife. Es ist wirklich im Himmel, von wo ich es nicht holen kann. Geben kann es mir nur Gott. Dafür ist Jesus am Kreuz gestorben und auferstanden.
Aber betrübt nach Hause gehen muss ich dennoch nicht. Es bleibt das Wort Gottes – ganz nahe, in meinem Mund und in meinem Herzen. Eben nicht, um es zu erfüllen oder damit das ewige Leben zu erwerben. Sondern, damit ich es tue.
Das ewige Leben ist da. Von Gott geschenkt! Und wenn man was geschenkt bekommt, bedankt man sich. Der Dank, über den sich Gott am meisten freut, das ist es, sein Wort zu TUN! Der beste Dank ist es, ein Leben zu führen, das sich am Willen Gottes ausrichtet.
Das wollen alle diese Du sollst und du sollst und sollst und sollst …: Uns leiten. Orientierung für unser Handeln geben.
Zwar ist Jesus nicht mehr da, um uns zu zeigen, wie das geht – sich am Wort Gottes auszurichten, in unserer Welt, die so anders verzwickt und global und unübersichtlich ist als seine Welt damals in Galiläa. Von Jesus gibt es keine zuverlässigen How to- oder Do it Yourself-Videos, die zum Nachmachen und Learning by doing anleiten.
Aber Learning by doing funktioniert dennoch: Im TUN erkennen und verstehen, was Nächstenliebe ist. Im TUN erkennen und verstehen, was Gottesliebe ist. Und im TUN erkennen und verstehen, wie man es das nächste Mal vielleicht anders oder besser machen kann. Im TUN erkennen und verstehen, wo man sich auch noch einsetzen kann. Im TUN Erfahrungen sammeln und ein Vorbild für andere werden. Damit andere inspirieren. Zum Nach- und Mitmachen ermuntern, anstatt Do-it-Yourself-Videos suchen.
Erst mal gar nicht so viel drüber nachdenken: Schaffe ich das überhaupt? Was muss ich bedenken? Sondern einfach direkt Körpereinsatz. Denn das Wort ist nicht in deinem Kopf, dass du drüber nachdenkst, sondern in deinem Mund, wo es einen Geschmack entwickelt, und in deinem Herzen, wo es zu einem Gespür wird, damit du es TUST. Und je öfter man es tut, desto geübter wird man! Learning by doing.
Wie mein Bibelkundelehrer die Ethik Jesu zusammenfasste: Just do it – TU es einfach! Alles weitere – das ergibt sich von selbst.
Heute: Kein Lieblingsbibeltext, sondern ein Impuls zur Tageslosung
Jesus sagt: "Ich bin als Licht in die Welt gekommen, auf dass, wer an mich glaubt, nicht in der Finsternis bleibe."
Für mich heißt das: Wir haben die beste Hoffnung der ganzen Welt! Wir haben einen, an den wir uns halten können. Jesus ist größer als jede Finsternis. Er will nicht, dass es um uns dunkel ist, sondern dass es in unserm Leben hell ist.
Am letzten Septemberwochenende haben wir in Roringen und Herberhausen Konfirmation gefeiert. Am Anfang des Gottesdienstes sind die Konfis nach vorne gekommen und haben ihre Taufkerze an der Osterkerze angezündet. Die Osterkerze steht für Jesus und die Hoffnung, die er verspricht. Die Konfis haben damit gesagt: Wir wollen uns an dieses Licht, diese Hoffnung halten.
Vielleicht mögen Sie sich heute Abend oder dann, wenn Sie diese Zeilen lesen, auch einen Moment Zeit nehmen, eine Kerze anzünden und sich an einen Hoffnungsmoment in Ihrem Leben erinnern.
Hier in der Christophoruskirche brennt heute Abend eine Kerze . Sie leuchtet in die Nacht hinein für alle, die zu dieser Gemeinde gehören oder sich mit ihr verbunden fühlen.
zu Markus 8,1-9 von Charlotte Scheller Liebe Bewohnerinnen und Bewohner, liebe Gemeinde, Wein soll des Menschen Herz erfreuen. Öl sein Gesicht schön machen und leuchten lassen. Brot sein Herz stärken. Könnte es jemand besser mit uns Menschenkindern meinen als unser Gott?
Was es heißt, kein Brot zu haben und nichts zum Drauftun, wie es sich anfühlt, nicht satt zu werden, haben viele von Ihnen in der Kriegszeit erfahren. Oder in den ersten Jahren nach dem Krieg. Einige haben Hunger erlebt. Das Gefühl, hungrig schlafen zu gehen und hungrig wieder aufzuwachen. Andere sind halbwegs satt geworden. Aber sie haben trotzdem auf vieles verzichten müssen. Schokolade. Für meine Mutter etwas, das sie als Kind nur vom Hörensagen kannte. Weene man nicht, sang die alte Kinderfrau. Im Ofen sind Klüten, die siehste bloß nicht. Nun weine doch nicht. Im Ofen sind Klöße, die siehst du bloß nicht. Heute werden wir satt und können darüber hinaus vieles genießen. Brot, Käse und Wein, Kaffee und Schokolade. Manchem ist es dennoch nicht selbstverständlich geworden und die meisten von uns können kein Brot wegwerfen. Weil es kostbar ist. Weil es mehr ist als nur Brot. Es ist Leben.
Von Menschen, die hungrig sind und satt werden, erzählt auch unser Predigttext aus dem Markusevangelium.
Zu dieser Zeit war wieder eine große Volksmenge bei Jesus zusammen-gekommen. Da die Menschen nichts zu essen hatten, rief Jesus die Jünger zu sich. Er sagte zu ihnen: „Die Volksmenge tut mir leid. Sie sind nun schon drei Tage bei mir und haben nichts zu essen. Wenn ich sie hungrig nach Hause schicke, werden sie unterwegs zusammenbrechen – denn einige sind von weit her gekommen.“
Seine Jünger antworteten ihm: „Wo soll in dieser einsamen Gegend das Brot herkommen, um diese Leute satt zu machen?“ Und er fragte sie: „Wie viele Brote habt ihr?“ Sie antworteten: „Sieben.“ Und er forderte die Volksmenge auf, sich auf dem Boden niederzulassen. Dann nahm er die sieben Brote. Er dankte Gott, brach sie in Stücke und gab sie seinen Jüngern zum Verteilen. Und die Jünger teilten das Brot an die Volksmenge aus. Sie hatten auch noch einige kleine Fische. Jesus sprach das Segensgebet über sie und ließ sie ebenfalls austeilen. Die Menschen aßen und wurden satt. Danach sammelten sie die Reste und füllten damit sieben Körbe. Es waren etwa viertausend Menschen. Jetzt schickte Jesus sie nach Hause. (Markus 8,1-9 BasisBibel-Übersetzung)
Warum sind die Leute schon drei Tage bei Jesus? Das wird nicht erzählt. Bloß, dass sie Hunger haben. Tagelang sind sie schon in seiner Nähe. Um zu hören, was er von Gott redet. Um ihm ihr Leid zu klagen oder ihn um Heilung zu bitten für ein Leiden. Um sich die Last einer Schuld abnehmen zu lassen. Oder damit er sie segnet. Ich stelle mir ein großes Treffen vor, wie es im Moment, „coronabedingt“, nicht möglich ist. Einen Kirchentag. Ein Sportfest mit viertausend Zuschauern. Oder ein Lager, Vertriebene, die nicht wissen, wohin, Geflüchtete. Drei Tage ohne Essen – kaum vorstellbar. Und doch kann es so gewesen sein damals, als die Leute um Jesus herum waren. Neunzig Prozent der Bevölkerung des Heiligen Landes sollen gehungert haben zur Zeit Jesu oder Armut gelitten. Wo soll in dieser einsamen Gegend, in dieser leidvollen Zeit etwas zu essen herkommen?
Jesus hat sich zurückziehen wollen an einen einsamen Ort. Aber die Menge der Leute ist ihm gefolgt. Sie sind bedürftig. Sehnen sich nach Aufmerksamkeit. Nach Gottes heilsamer Gegenwart. Jesus weist sie nicht ab. Er spricht mit ihnen. Er denkt nicht an seine eigenen Bedürfnisse. Er hat Mitleid mit den Hungrigen, die bei ihm ihr Heil suchen. Und genau an diesem Mitleid können wir das Besondere an Jesus erkennen. Sie sind nun schon drei Tage bei mir und haben nichts zu essen. Wenn ich sie hungrig nach Hause schicke, werden sie unterwegs zusammenbrechen – denn einige sind von weit her gekommen.“ Mitleid, das hat für uns vielleicht einen herablassenden Klang, aber so ist das nicht gemeint. In der englischen Bibel steht „compassion“, also wenn du wirklich leidest mit einem anderen. Jeder, der schon mal richtig gelitten hat, also jeder und jede hier, weiß, manchmal ist das das Einzige, was hilft. Du bist untröstlich, aber da ist einer, der deine Tränen sieht und sich nicht zurückzieht und dich nicht spüren lässt, dass er selbst viel um die Ohren hat, sondern einfach bei dir bleibt. Beim Aufstehen morgens zum Beispiel, wenn einem alles weh tut. Das Herz. Weil man den liebsten Menschen vermisst und keinen Sinn sieht in dem neuen Tag. Der Rücken. Weil man schon so viel hat tragen müssen und nun müde ist, sogar morgens schon. Die Augen. Weil man sie am liebsten verschließen möchte vor den Herausforderungen des Tages. Oder vor den Nachrichten im Fernsehen.
Jesus sagt: „Die Volksmenge tut mir leid“. Die Armen haben sich um Jesus versammelt. Männer, Frauen und Kinder, die nicht mal das Nötigste haben. Wenn er sie nach Hause schickt, haben sie da auch nichts.
Das Mitleid der Jünger hält sich in Grenzen. Sie sind ganz vernünftig. Wo soll in dieser einsamen Gegend das Brot herkommen, um diese Leute satt zu machen? Und Jesus tut jetzt kein Wunder. Er zaubert kein Brot herbei. Er stellt die Gegenfrage: Wie viele Brote habt ihr? Sieben. Sie haben sieben Brote und ein paar Fische. Ein Witz, wenn man bedenkt, dass viertausend Leute da sind. Mehr als dreimal so viele wie in unsere Göttinger Stadthalle gepasst haben vor der Sanierung und vor Corona. Aber Jesus fordert sie auf, Platz zu nehmen. Sie sitzen überall auf dem Boden. Wie in einem Flüchtlings-Treck. Sie sitzen da und Jesus nimmt die Brote. Er dankt Gott für das, was da ist, und bricht die Brote in Stücke und gibt sie den Jüngern. Die verteilen sie an die Leute und alle werden satt. Viertausend sind da. Nicht dreißig oder vierzig. Stellen Sie sich hundert Gottesdienstgemeinden wie diese hier vor.
Jetzt könnte man diskutieren, wie das denn gehen konnte. Ob es wirklich ein Wunder war oder ob alle ihre Taschen nach Essbarem durchkämmt haben, zusammengelegt und dann geteilt. Was ja auch schon ein Wunder wäre! Ich glaube allerdings, dass es darum nicht geht. Ja, es geht um Essen in der Geschichte, aber nicht nur. Die Brote und Fische sind ein Bild für Barmherzigkeit. Für ein Mit-Leiden in der Weise, dass sich für beide was ändert. Dabei geht es nicht nur um Essen. Auch um Zuhören. Um Hochachtung vor dem Leben und der Würde des Menschen, mit dem ich es zu tun habe und der etwas braucht. Ein Stück Brot oder ein freundliches Wort. Wie es im Luisenhof dauernd hin- und hergegeben wird. Mindestens viertausend Mal am Tag.
Keiner von uns ist Jesus. Seine Jüngerinnen und Jünger waren nicht immer die mutigsten. Trotzdem beauftragt Jesus sie. Am Abend dieses Tages sollen sie verteilen, was da ist. Sie sollen dableiben, wenn es dunkel wird für einen andern. Sie sollen die Hoffnung weitertragen. Den Glauben, dass Gottes Liebe stärker ist als der Tod. Hoffnung ist auch eine Nahrung. Deshalb erzählen wir die Geschichte weiter von den Viertausend in der Wüste, die Hunger hatten und satt wurden.
Beispiele aus unserer Zeit gibt es viele. Praktikantin Anne Schlüter hat in ihrem Costa-Rica-Vortrag von einer Gemeinde in Kuba erzählt. In den Läden gibt es nichts. Wie hier nach dem Krieg. Die Leute sind arm. Wir machen jetzt Speisung der Viertausend, hat die Gemeindeleitung gesagt. Sie haben einen großen Tisch in die Mitte gestellt. Alle haben mitgebracht, was sie Essbares finden konnten. Ein Stück Brot. Eine Dose Bohnen. Eine Ananas. Jeder hat etwas anderes aufbewahrt. Jede hat was beigesteuert, sei es auch noch so wenig. Kein Festessen, aber sie werden alle satt. Sie halten zusammen im Leiden. Die Gemeinschaft hilft.
Und wenn ich nicht glauben kann, wenn ich selber keine Hoffnung habe, wenn ich all die schönen Geschichten höre und denke: Wo soll hier, in der Einsamkeit, Trost herkommen? Dann bin ich in bester Gesellschaft. Mit Petrus, Johannes, Maria und den anderen Jüngerinnen. Sie denken auch, was wir haben, reicht doch nicht. Was ich gebe, ist bloß ein Tropfen auf dem heißen Stein. Aber das Wenige, was sie bei sich finden können, halten sie Jesus hin. So können wir es auch machen. Etwas hat jeder von uns zu verschenken. Ein Wort. Einen Gedanken. Ein Lächeln. Ein Stück Schokolade. Eine Sehnsucht! Was wir haben, können wir Gott hinhalten. Alle Not in seine Hände legen und jedes kleinste Fünkchen Hoffnung. Aus dem, was wir Gott hinhalten, wird er mehr machen. So viel, dass es uns selbst erfüllt und andere mit uns.
zu Psalm 103,1-2 Audio zum Nachhören direkt unter diesem Beitrag Friedrich Selter ist mein Name und ich bin im evangelisch-lutherischen Kirchenkreis Göttingen Superintendent. Mein Lieblingsvers aus der Bibel steht im 103. Psalm, die ersten beiden Verse, und lautet:
„Lobe den Herrn, meine Seele, und was in mir ist, seinen heiligen Namen. Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat!“
Diesen Vers spreche ich in der Kirche manchmal als Dankgebet nach dem heiligen Abendmahl. Zu Hause spreche ich den gleichen Vers oft als Tischgebet vor dem Mittagessen. Was mir daran so gut gefällt, ist, dass ich mich selber auffordere, an das Gute zu denken, für das ich dankbar sein kann. Und das ist wie ‘ne Unterbrechung dann im Tageslauf, dass ich mir sage: Denk mal dran, was Gott dir alles Gutes getan hat. Da gibt’s viel, wofür du dankbar sein kannst.
zu 2. Timotheus 1,1-10 von Studienpraktikantin Anne Schlüter Audio direkt unter diesem Beitrag
Es wird langsam dunkel. Zum ersten Mal an diesem Tag spürt Paulus eine kühle Brise, einen feinen Windhauch, der die heiße Luft in der Zelle für einen Moment von seiner Haut trennt. Durch das kleine, vergitterte Fenster hoch über ihm fallen jetzt die Schatten, welche der Olivenbaum auf dem Gefängnisvorplatz jeden Spätnach-mittag an die Hauswand wirft. Sie tanzen ein wenig an der Zellenwand, an der Wand der Zelle, in der Paulus eingesperrt ist.
Seit ein paar Tagen befindet er sich nun hier in Rom. In Jerusalem wurde er von den Römern verhaftet und hierher überführt. Er blickt auf die Wand ihm gegenüber. Plötzlich werden die Schatten vor seinen Augen zu Bildern.
Es sind Bilder der vergangenen Jahre, Bilder all der Orte, die Paulus bereist hat. So vielen Menschen ist er unterwegs begeg-net, so vielen hat er das Evangelium verkündigt, Jungen und Alten, Frauen und Männern, in den Synagogen und auf den großen Plätzen der römischen und griechischen Städte.
Viele sind zum Glauben gekommen, ließen sich taufen, wurden seine Schwestern und Brüder in Christus. Andere hingegen machten ihm das Leben schwer, unvergesslich die Vorwürfe, die Anklagen.
All dies ist jetzt vorbei, niemals wieder wird er jene Orte, jene Menschen sehen. Die Schatten werden länger, wie an jedem anderen Tag. Für Paulus jedoch ist es ein Tag real gewordener Endlichkeit, eine unüberwindbare Grenze zwischen dem was war und dem was ist. Denn Paulus weiß, dass er sterben wird, zum Tode verurteilt. Einen Moment lang verspürt Paulus den Impuls, seine Gedanken wegzuschieben, alle Bilder auszublenden, sich abzulenken.
Erinnerungen können schmerzhaft sein. Manche von ihnen gelten einem Moment, den man am liebsten niemals erlebt hätte. Andere gelten Momenten, denen man hinterhertrauert und die doch nie mehr zurückkommen. Mit den Erinnerungen kommen auch Scham, Trauer, Enttäuschung oder Wut an die Oberfläche des Bewusstseins. Wäre es da nicht einfacher, sich nicht zu erinnern?
Auf den ersten Blick scheint es fast so. Auch Paulus ringt mit sich und der Angst vor den eigenen Gefühlen - der Angst vor dem, was ihm entgegenkommt, wenn er in sein Herz blickt.
Doch Paulus sagt zu sich: Wird nicht gerade aus dem Schmerz heraus das Herrlichste geboren? Hat Gott selbst nicht seinen eigenen Sohn aus der Tiefe des Todes ins Leben zurückgeführt? Nicht weggesehen hat Gott, nicht verdrängt, nein – gelitten hat er, gelitten unter dem Verlust des geliebten Sohnes. 3 Tage lang. Und dann? Mit dem Ostermorgen kommt die Erlösung, die Heilung. Der Auferstandene trägt die Narben – geheilte Wunden. So wie es Erinnerungen gibt, die nicht mehr schmerzen, obwohl sie von Verletzungen zeugen.
Paulus weiß, dass sein Weg zur inneren Heilung gerade erst beginnt. Er spürt auch, dass er ihn gehen muss, um Frieden zu finden. Doch es kostet Kraft, sich dem Schmerz zu stellen und all das zu fühlen, was kaum zu ertragen ist. Paulus hat Angst. Kann er allein überhaupt soviel Kraft aufbringen? Der Apostel schließt die Augen und murmelt: Herr, all meine Kraft kommt aus dir.
Und dann gibt er sich den Erinnerungen hin. Da erscheinen vor seinem Auge vertraute Gesichter. Es sind die Gesichter von zwei Frauen, Lois und Eunike. Welch großartige Gefährtinnen sie ihm gewesen sind! Und da ist auch das Bild von Timotheus, dem Jungen von Eunike.
Paulus spürt die Tränen auf seinen Wangen, heiß und nass suchen sie sich ihren Weg zu seinem Kinn. Wie gerne würde er ihn wiedersehen! Timotheus, der so viel zweifelt. Der sich nicht vorstellen kann, dass Jesus jeden Moment wiederkommt. Timotheus, der sich fragt, wo Gott in dieser Welt denn überhaupt noch zu finden ist. Timotheus, der kaum noch daran glaubt, als Christ einen Unterschied in der Welt zu machen.
Paulus hat Verständnis für Timotheus. Als er selbst sich damals für Christus entschied, schien das Reich Gottes zum Greifen nahe! So verkündigte er vor aller Welt die Botschaft vom Gekreuzigten. Jesus – eines von unzähligen Opfern der Geschichte, ein weiterer sinnloser Tod. Doch etwas ist anders: Sein Tod markiert einen Neunanfang. Denn Jesus wird wiederkommen und Gerechtigkeit für alle walten lassen. Er wird denen das Leben zurückgeben, denen Leid und Schmerzen zugefügt worden sind. Paulus ist davon fest überzeugt. Doch Timotheus gehört zu einer anderen Generation. Bisher ist Christus nicht wiedergekommen. Müssen wir denn alles selbst machen? Bleiben wir am Ende dann nicht ausgebrannt und kraftlos zurück? Soweit Paulus in seiner Zelle.
Es ist nachvollziehbar, dass Timotheus zweifelt und zögert. Mir geht es manchmal sehr ähnlich. Seit dem Tod Jesu sind mittlerweile Jahrtausende vergangen und noch immer regieren tod-bringende Mächte unsere Welt: Armut, Krieg, Ausbeutung, Flucht und Vertreibung. Und dazu kommen noch persönlichen Sorgen und Ängste. Woran also noch festhalten? Das lodernde Feuer des Glaubens, welches einst in Paulus brannte - heruntergebrannt, zu einem kleinen Funken?
Selbst wenn dem so ist, dieser kleine Funke genügt! Gott hat die Menschen nicht sich selbst und ihren selbstgemachten Strukturen über-lassen. Er hat Jesus schließlich von den Toten auferweckt, auch wenn seine Wiederkunft noch aussteht. Gott ist nicht einverstanden mit dem gewaltvollen Tod, mit Verletzung und sinnlosem Leiden. Und er ist mächtiger als menschliche Gewalt, sogar mächtiger als menschliche Todesgewalt. Gottes Gerechtigkeit triumphiert übers Kreuz. Jesus lebt! Und Gott, der das Leben geschaffen hat, begleitet auch uns in Tod und Schmerz, damit wir – wann auch immer - heil werden können.
Noch einmal kehren wir zurück zu Paulus in die Zelle. Auch dort sind zunächst Angst und Schmerz und der Apostel ist allein mit seinen Gefühlen. Statt zu verdrängen entscheidet er sich jedoch dazu, hinzuschauen. Paulus weiß, wie er die Kraft dazu aufbringen kann, denn er kennt die Quelle: Gott bietet uns seine Kraft an und es ist genug für alle da! Die Erinnerungen und sein Herz leiten Paulus zu Timotheus und plötzlich weiß Paulus, was aus seinem Schmerz heute Herrliches geboren werden kann: Er greift zu Papyrus und Tinte und beginnt zu schreiben.
Paulus, nach dem Willen Gottes zum Apostel von Jesus Christus berufen – mit dem Auftrag, das neue Leben zu verkünden. Denn Gott hat es denen versprochen, die zu Christus Jesus gehören. An Timotheus, mein geliebtes Kind.
Ich wünsche dir Gnade, Barmherzigkeit und Friede von Gott, dem Vater und Christus Jesus, unserem Herrn. In meinen Gebeten denke ich unablässig an dich, bei Tag und bei Nacht. Ich habe deinen aufrichtigen Glauben vor Augen. Es ist derselbe Glaube, der schon in deiner Großmutter Lois und in deiner Mutter Eunike wohnte. Und ich bin überzeugt, er wohnt auch in dir. Aus diesem Grund möchte ich dich an etwas erinnern: Fach doch das Feuer der Gabe Gottes wieder an. Denn der Geist, den Gott uns geschenkt hat, lässt uns nicht verzagen. Vielmehr weckt er in uns Kraft, Liebe und Besonnenheit. Gott hat uns gerettet, er hat uns berufen durch seinen heiligen Ruf. Das geschah nicht etwa aufgrund unserer Taten, sondern aus seinem eigenen Entschluss – und aus der Gnade, die er uns schon vor ewigen Zeiten in Christus Jesus geschenkt hat. Aber jetzt wurde diese Gnade offenbar durch das Erscheinen unseres Retters Christus Jesus. Er hat den Tod besiegt. Und er hat durch die Gute Nachricht unvergängliches Leben ans Licht gebracht (aus 2Tim1,1-10).
Der Brief von Paulus liegt jetzt auch bei uns im Briefkasten. Egal ob wir uns gerade als Apostel, als Zweifelnde, als Starke oder als Schwache im Leben und im Glauben verstehen. Was wir damit anfangen, bleibt jedem und jeder selbst überlassen. Amen. Text: BasisBibel