Schön war's am Himmelfahrtsmorgen 2022 beim Freiluftgottesdienst mit Gemeindegliedern aus St. Vinzenz, Roringen, Herberhausen, St. Petri und Christophorus! Herzlichen Dank allen, die den Gottesdienst, das Essen und die Spiele vorbereitet - und denen, die am Ende mit aufgeräumt haben!
Da stehen sie am Grab und schauen in den Himmel. Der Luftballon, ein rotes Herz, schaukelt nach oben, wird immer kleiner, ein winziger Punkt im blauweiß gezupften Himmel. Dann ist er weg.
Mama drückt Mias Hand. Nicht traurig sein, sagt sie, aber Mia findet das dumm. Sie ist nicht traurig, sie weiß, Opa ist jetzt im Himmel. Mia hat ein Bild gemalt. Da ist Opa drauf mit seinem Gehstock, Opa hüpft auf den Wolken wie Mia manchmal auf ihrem Bett. Neben Opa hat sie Lola gemalt, ihre Katze. Die ist auch schon im Himmel und jetzt kann Opa mit ihr spielen. Mia lässt Mama los. Ihre Hand wandert in die Hosentasche, zu dem kleinen Stein, den Opa für sie gefunden hat, als sie zusammen am Fluss waren. Der Stein fühlt sich warm an und Mia kommt es vor, als ob Opa sie ansieht vom Himmel aus. So lieb, wie er sie angesehen hat, wenn sie bei ihm zu Hause war. Jetzt kannst du mich immer sehen, flüstert sie, überall, wo ich bin.
Was steht ihr da und schaut zum Himmel? Die Jünger starren Löcher in die Luft, da, wo vor ihren Augen Jesus verschwunden ist. Zum Himmel gefahren. Nicht mehr greifbar. Ausgerechnet zwei Engel holen sie auf den Boden zurück. Erinnern sie daran, was Jesus ihnen gesagt hat. Er kommt wieder. Bis dahin lässt er ihnen ein Pfand da. Den Heiligen Geist. Kein Kieselstein, eine unsichtbare Kraft, ein Feuer, das sie von innen wärmt und aus ihnen leuchtet. Sie können aufhören, nach oben zu starren. Er ist hier unten, bei ihnen, und das Leben wartet auf sie.
Das fragen auch die Jünger. Selbst diejenigen, die mit Jesus unterwegs sind, wissen nicht, was sie beten sollen! Jesus legt ihnen das Vaterunser ans Herz. Das Gebet des Herrn. Und er ermutigt sie, bei Gott anzuklopfen. Aufdringlich zu sein. Den Vater im Himmel zu bedrängen mit ihren Anliegen. So sollen wir es auch machen. Auch wenn uns unpassend vorkommt, was wir erbitten. Wenn wir denken, unsere Not ist zu klein, um sie Gott vorzutragen. Oder zu groß. Auch wenn es mitten in der Nacht ist und wir nicht schlafen können, gerade dann können wir bei Gott anklopfen. Wir können ihm alles vorlegen, jederzeit.
Jesus sagt: Wer bittet, dem wird gegeben. Wer sucht, der findet und wer anklopft, dem wird aufgetan. Es kann sein, dass wir anklopfen bei Gott. Die Tür öffnet sich und wir entdecken etwas, womit wir nicht gerechnet haben. Er gibt uns nicht genau das, was wir haben wollen. Er gibt uns aber, was wir brauchen, um durch den Tag zu kommen. Oder durch die Nacht.
Luthers Abendsegen Des Abends, wenn du zu Bett gehst,
kannst du dich segnen mit dem Zeichen des heiligen Kreuzes und sagen:
Das walte Gott Vater, Sohn
und Heiliger Geist! Amen.
Willst du, so kannst du dies Gebet dazu sprechen:
Ich danke dir,
mein himmlischer Vater,
durch Jesus Christus,
deinen lieben Sohn,
dass du mich diesen Tag
gnädiglich behütet hast,
und bitte dich,
du wollest mir vergeben alle meine Sünde, wo ich Unrecht getan habe,
aus der Predigtwerkstatt von Charlotte Scheller und Anne Dill, wiedergegeben von Sandra Beverungen und Charlotte Scheller
SB: Wir sind gerade in einer Zwischenzeit: Wir haben Ostern gefeiert, das nächste große Fest ist Himmelfahrt. Jesus ist auferstanden, aber er ist noch nicht zurückgekehrt zu seinem Vater im Himmel. In dieser Zwischenzeit ist Jesus seinen Jüngern mehrmals begegnet. Von einer dieser Begegnungen berichtet unser Predigttext aus Johannes 21.
15 Da die Jünger und Jesus nun das Mahl gehalten hatten, spricht Jesus zu Simon Petrus: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich mehr, als mich diese lieb haben? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Lämmer! 16Spricht er zum zweiten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, liebst du mich? Er spricht zu ihm: Ja, Herr, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe! 17Spricht er zum dritten Mal zu ihm: Simon, Sohn des Johannes, hast du mich lieb? Petrus wurde traurig, weil er zum dritten Mal zu ihm sagte: Hast du mich lieb?, und sprach zu ihm: Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, dass ich dich lieb habe. Spricht Jesus zu ihm: Weide meine Schafe! (Johannes 21,15-17)
CS: Die Szene berührt mich. Zwei Menschen, die einander nahe stehen, führen ein Gespräch. Offenbar ist es nicht für meine Ohren bestimmt. Und doch werde ich zur Zuhörerin. Wie in einem Café, wenn eine Stille entsteht, zufällig oder auch nicht, und du hörst die Stimmen des Paars am Nebentisch. Liebst du mich, mehr als alle anderen? - Du weißt, dass ich dich liebhabe! Aber. Das ist kein Liebespaar, dem wir hier zuhören. Es sind Jesus und Petrus. Sie sprechen nicht auf Augenhöhe. Jesus ist in der stärkeren Position. Er ist der Meister. Er war der Verratene. Er ist der Auferstandene. Er kann etwas fordern. Petrus, oder soll ich ihn Simon nennen wie vor der Zeit, als er Jünger war, also Simon hat viel wieder gut zu machen. Falls das überhaupt geht. Ich bin peinlich berührt. Warum macht Jesus das?
SB: Vielleicht ist es ein Test. Jesus will seine Macht nicht missbrauchen, sondern er testet Petrus.
CS: Testen – das macht man doch nicht unter Liebenden!
SB: Doch, das macht man. Jesus will wissen, dass es Petrus ernst ist. Sie haben ja eben beim Essen schon geredet. Vielleicht hat Petrus sich schon wieder groß getan oder wichtig gemacht. Vielleicht ist er auch hin- und hergerissen: Er hat Jesus verleugnet, aber er ist auch wieder der Anführer der Jünger. Er hat sie eingesammelt. So wie früher. „Ich geh fischen. Kommt ihr mit?“ Und die anderen sind mitgekommen und ihm gefolgt. Aber die Beziehung zwischen ihm und Jesus ist noch nicht geklärt. Er ist unsicher.
CS: Dabei ist doch alles wie früher. Die Freunde mit Jesus am See, es duftet nach Brot und gebratenem Fisch, alle unterhalten sich. Ist das jetzt ein Zweier-Gespräch oder hören alle zu?
SB: Nein, es ist etwas Privates zwischen Jesus und Petrus; es geht um Deine Haltung.
CS: Wen meinst du mit „Deine“?
SB: Petrus ist gemeint. Aber auch wir. Sonst würden die uns gar nicht mithören lassen.
CS: Hör mal. Jesus sagt:Simon, Sohn des Johannes. Er sagt „Simon“, nicht „Petrus“. Für mich klingt das wie „Simon, du Erdling“.
SB: Jesus sieht ihn, wie er ist.Trotzdem reden sie einander vorbei.
CS: Es ist typisch Johannes, das so zu berichten.
SB: Hör doch mal zu! Jesus fragt: Liebst du mich? Und Petrus sagt: Ja, ich hab dich lieb. Im Griechischen ist das noch deutlicher. Jesus fragt: Agapeis, das heißt liebst du mich, mehr als dein Leben? Und Petrus antwortet: Phileo – ich hab dich lieb wie einen Freund.
CS: Das ist eigentlich angemessen, sie sind doch Freunde. Aber Gott fragt nach einer anderen Liebe. Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft und deinem ganzen Gemüt, und deinen Nächsten wie dich selbst. Das höchste Gebot, Lukas 10,27.
SB: Das kann Petrus aber gerade nicht sagen. Er ist ehrlich. Jesus geht auf Petrus zu. Beim dritten Mal fragt er: Phileis me? Hast du mich lieb wie einen Freund? Er verlangt nicht mehr, als Petrus leisten kann. Aber Petrus merkt es nicht mal. Er wird bloß traurig, weil Jesus zum dritten Mal fragt.
CS: Petrus wird einerseits traurig, weilJesus Abstriche machen muss. Die große Liebe mutet er ihm nicht zu, bloß Liebhaben. Aber er ist auch traurig, weil er Jesus dreimal verraten hat.
SB: Trotzdem kriegt er den Auftrag: „Weide meine Lämmer!“
CS: Das macht ein Hirte.Ein Leiter. Als Johannes das aufschreibt,gibt es schon seit Jahrzehnten Gemeinden mit Schafen und Hirten. Leider sind es nicht immer gute Hirten. Genauso wenig wie im Staat. Da missbrauchen die Hirten ihre Macht und liefern die Schafe ans Messer. In der Kirche soll es anders sein. Aber auch die Kirchen-Hirten haben ihre Grenzen. Da ist Petrus nicht der Einzige.
SB: Selbstbei einer Pastorin ist das so. Niemand kann all seinen Lämmern gerecht werden. Trotzdem denke ich jetzt an die ganz normalen Alltags-Christinnen. Konfis, Tauf-Eltern, Jubelpaare, Nachbarinnen. Wie sollen sie die Lämmer weiden?
CS: Wir sind zusammen Gehilfinnen des Hirten. Johannes will mir Mut machen, Jesus zu lieben, ganz menschlich. Jesus kommt damit klar, dass ich ihn dauernd verrate. Ich kriege trotzdem den Auftrag, meinem Mitmenschen wie einem Freund zu begegnen. Das genügt. Es muss nicht die ganz große Liebe sein. Wir müssen nur miteinander klarkommen in der Gemeinde. Die große Liebe kommt von Jesus. Er tankt aus der Liebe zwischen ihm und dem Vater.
SB: Aber bevor Jesus Petrus beauftragt, fragt er ihn: Wie stehst du zu mir?
CS: Also muss ich erst klären, wie ich zu ihm stehe, und erst dann kann ich Schafe weiden?
SB: Ich glaube nicht, dass das nur in dieser Reihenfolge geht. Man kann auch hin- und herspringen.
CS: Das erlebt Petrus ja auch: Treue, Verrat, neuer Auftrag.
SB: Lies mal weiter, die Geschichte ist noch nicht zu Ende!
CS: 18Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Als du jünger warst, gürtetest du dich selbst und gingst, wo du hinwolltest; wenn du aber alt bist, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und führen, wo du nicht hinwillst. 19Das sagte er aber, um anzuzeigen, mit welchem Tod er Gott preisen würde. Und als er das gesagt hatte, spricht er zu ihm: Folge mir nach! (Johannes 21,18-19)
SB: Diese Geschichte mit dem Gürten. Warum sagt Jesus das jetzt? Wie passt das zusammen?
CS: Früher dachte Petrus, er kann sich selbst gürten und rüsten. Damit ist er gescheitert. Er wollte mit dem Schwert für Jesus kämpfen, aber Jesus wollte nur, dass er ihm treu bleibt. Petrus hat ihn verraten. Jetzt gürtet Jesus ihn und rüstet ihn auf seine Weise aus.
SB: Am Ende stirbt Petrus den Märtyrer-Tod. Aber das ist noch in der Zukunft. Noch ist Petrus in einem Zwischenstadium. Jetzt kann er nur Menschliches geben. Aber er ist auf dem Weg, die Schafe zu weiden und Jesus mit aller Kraft zu lieben. Gott wird ihn ausrüsten. Später wird er älter sein, dann wird er gegürtet werden.
CS: Ich finde das entlastend, ich muss mich nicht selbst gürten und rüsten.
SB: Dazu braucht man aber großes Vertrauen. Er wird geführt, wo er nicht hinwill.
CS: Er wird,das ist ihm fest zugesagt, nicht etwas, das er irgendwie selbst schaffen muss.
SB: Aber bin ich Petrus?
CS: Nicht direkt Petrus. Aber du könntest dich fragen: Für was braucht Jesus mich? Wem kann ich beim Wachsen helfen? Wer braucht meinen Schutz? Für wen kann ich kämpfen oder beten, für wen soll ich vor Gott eintreten?
SB: Zum Beispiel für Kleine, die noch keine Ahnung haben, wie es läuft. CS: Du meinst Anfänger im Glauben?
SB: Ja. Aber auch tatsächlich kleine Menschen, Kinder, Hilflose. Ich möchte ihnen helfen, an Jesus festzuhalten.
CS: Jesus und Petrus halten aneinander fest, obwohl Petrus Jesus verraten hat. Die Fehler müssen nicht glattgebügelt werden. Die Beziehung ist tief und stark.
SB: Ich komme nochmal auf das Händeausstrecken und Gegürtetwerden zurück. Wenn mir jemand einen Gürtel umlegen soll, muss ich die Hände hochmachen.
CS: Wenn ich so die Hände hochnehme, bin ich wehrlos. Das ist auch eine Gebetshaltung: Hier bin ich, Gott. Ausgeliefert, hilflos. Mach was!
SB: Jesus hat das am Kreuz auch gesagt: Vater, in Deine Hände befehle ich meinen Geist.
CS: Spätestens, wenn ich sterbe, werde ich mich auch gürten und führen lassen müssen, wo ich nicht hinwill. Aber ich gerate auch mitten im Leben in Situationen, wo ich nicht hinwollte. Ans Bett einer sterbenden Freundin zum Beispiel. Da kann ich nur die Arme hochnehmen und die Hände ausstrecken: Ich hab keine Ahnung, Gott. Führ du mich.
SB: Und wenn ich es nicht hinkriege meine Hände auszustrecken, weil ich Angst habe oder kein Vertrauen – was ist dann?
CS: Für Jesus ist das keine Frage. Er sagt es fest zu: Du wirstdeine Hände ausstrecken und ein anderer wird dich gürten und führen. Es kann sein, dass es hart kommt. Aber dafür wirst du gerüstet und da hindurch wirst du geführt.
SB: Die Hände ausstrecken, das machen auch schon Kinder. Wir Erwachsenen haben es uns abgewöhnt. Große (Gebets-)Gesten sind uns peinlich.
Dass ich zugebe, ich brauche Hilfe, ist ein großer, wichtiger Schritt. Ich kann die Hilfe auch in Gedanken erbitten, ohne große Geste. Und schauen, wo ich selbst Helferin sein kann.
Ich möchte mir diese Woche Zeit nehmen und überlegen: Wozu braucht Jesus mich?
CS: Das möchte ich auch tun. Dann werde ich eine Kerze anzünden. Für mich eine Geste finden, eine Gebetshaltung. Die Hände auszustrecken, ist schon mal ein guter Anfang.
am Ostersonntag 2022 von Charlotte Scheller, als Audio unter dem Text
Es ist noch da, das Bild von Adi Holzer. Mitten in unserer Kirche, am schönen Ostertag. Die schwarze Sonne steht noch am Himmel. Es ist viel Schwarz in dem Bild. Die Kriegsflugzeuge rechts oben. Die verknäulten Gestalten über der rechten Hand des Gekreuzigten, die ihre Arme über die Köpfe recken in Klage oder Zorn. Und Jesus am Kreuz. Schwarz ist die Dornenkrone, sein Haar ist schwarz und die Spuren, die sein Gesicht hinabrinnen. Blut und Tränen und die Augen weit offen. Als ob er seinen Peinigern in die Augen sieht. Oder Blickkontakt hält mit jedem Menschen, der Qualen leiden muss. Trotzig. Ruhig. Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.
Zwischen dem vielen Schwarz Maria. In Blau, der Farbe der Sehnsucht und der Treue. Einige der Kummer-und-Zorn-Gestalten trommeln ihr auf den Rücken, andere wenden sich nach links, den Bergen zu. Maria hat sich abgewandt. Wie die drei Frauen, die losgegangen sind am Ostermorgen, nachdem die Festtagsruhe vorbei war und der Sabbat vorüber. Das Osterlicht ist schon sichtbar über den Bergen, ein Fetzen blauer Himmel, ein Tupfer Morgenrot. Es ist der erste Tag der neuen Schöpfung, aber Maria schaut zurück. Schaut wie die Frauen ins Dunkel hinein. Sie ist noch in den Gedanken an den Tod gefangen, die Augenlider sind schwer, die Hände halten den Kopf, die trauerschwarzen Arme eng an der Brust.
Die Frauen in der Ostergeschichte bringen wohlriechende Öle mit. Um den Geruch des Todes zu überdecken. Um den Freund noch einmal zu berühren, um noch etwas für den Toten zu tun. Wie die Mutter Jesu. In unserem Bild hält sie ihren toten Sohn in den Armen und wiegt ihn auf ihrem Schoß. Wir möchten auch etwas tun, wenn wir dem Tod gegenüberstehen, etwas festhalten von dem, was wir zu verlieren drohen, etwas Kostbares opfern. Am Grab eines Menschen. Wenn wir dem Krieg ins Auge sehen müssen. Oder wenn wir eine Freundschaft zu Grabe tragen müssen. Einen Plan. Eine Sehnsucht. Ein Bild von uns selbst, das nicht mehr stimmt. Wir möchten irgendwie damit umgehen, aber dann sehen wir: Es ist nicht zu retten. Es bleibt nichts zu tun. Wir sind noch mit dem Vergangenen beschäftigt. Aber das ist vergebliche Liebesmüh. Jesus, der Gekreuzigte, ist nicht hier. Er ist nicht mehr im Tod. Er lebt!
Schwarz ist der breite Saum des Gewandes des Clowns. Schwarz sind die großen Schuhe, aber er steht nicht fest, er scheint schwerelos zu sein. Ein Fuß haftet am Boden, aber es zieht ihn nach oben. Er kehrt dem Tod den Rücken. Er schließt den Schmerz nicht aus. Aber aus dem Trauerrand des Gewandes wächst ein kräftiges Rot, die Farbe des Blutes, die Farbe von Feuer und Liebe und Leben und Geist. Purpurrot, die Farbe eines Königsmantels. Seine Haare sind rot, die Clownsnase, der linke Socken. Die Arme hat er ausgestreckt nach oben, wie einen Kelch geöffnet, bereit, etwas aufzunehmen.
Die Frauen am Ostermorgen bringen Öl mit. Und ihre Sorgen. Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? Ihre Augen sind zu Boden gerichtet, der Rücken vor Kummer gebeugt, die Sorge liegt ihnen schwer auf der Seele. Wie bei Maria in unserem Bild. Der Angststein. Ich kenne ihn gut. Wie soll ich diese Herausforderung meistern und jene Situation überstehen? Ich grüble und schlafe schlecht und bin wie gelähmt. Mein Blick klebt am Boden, ich kann an nichts anderes denken als an meine tödliche Sorge. Ich merke gar nicht, dass der Stein schon weggewälzt ist vom Grab. So einfach kann es nicht sein. So leicht kann es nicht gehen. Aber je mehr ich mich anstrenge, desto größer werden die Sorgen. Wirkliche Veränderung kann nur Gott bewirken. Der Clown in dem Bild weiß das. Er hält das Gesicht in die Sonne, die Augenbrauen hochgezogen. Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, heißt es in Psalm 121, woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt von dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.
Die Frauen heben die Augen nicht auf. Sie schauen zu Boden. Erschrecken, weil der Stein nicht mehr da ist. Gehen in das Grab, schauen ins Dunkle und sehen keinen Leichnam. Statt dessen sitzt da ein Jüngling. Einer im leuchtend weißen Gewand, was macht der hier am Ort der Trauer, hier sollte es dunkel sein, sie sind entsetzt. „Entsetzt euch nicht!“ Ein Gottes-Boten-Gruß. „Fürchte dich nicht“, hat der Engel zu Maria gesagt und ihr verkündet, dass sie den Retter zur Welt bringen wird. Jetzt sind sie an seinem Grab. Entsetzt euch nicht. Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist nicht hier. Er ist auferstanden, er lebt auf neue Art. Geht, sagt der Engel. Bleibt nicht hier im Grab. Grabt nicht in euren Sorgen herum, in der Schuld, in den Verletzungen. Das führt zu nichts. Sucht die anderen und sagt ihnen: Er lebt. Er geht euch voraus nach Galiläa. Das ist der Alltagsort des Evangeliums. Wie Jerusalem der Ort des Festes ist. In Galiläa war Jesus mit ihnen unterwegs. Hier hat er ihnen Gottes Reich beschrieben in alltäglichen Bildern. Ein Senfkorn, das sich zu einem großen Baum auswächst. Ein Weinberg, in dem viele arbeiten und alle ihren Lohn kriegen. In Galiläa hat Jesus Kranke geheilt und Sündern die Schuld vergeben. Und auch wir werden ihn wiedersehen. In unserem Alltag können wir genau das von Jesus erwarten. Dass er da ist und uns heilt und uns vergibt. Mitten in unserem unfeierlichen Dasein.
In Adi Holzers Bild ist kein Jüngling im weißen Gewand. Bloß dieser Clown. Ein Clown bringt andere zum Lachen. Macht sich selbst lächerlich. Macht sich peinlich, damit die, die ihn sehen, sich nicht mehr peinlich fühlen. Wir können uns wiedererkennen in ihm, weil das geschminkte Gesicht kein bestimmtes ist. Es könnte auch unser Gesicht sein. Wir müssen lachen über ihn, wie er über seine eigenen Füße stolpert. Wie er zwei verschiedene Socken trägt und gar nichts an ihm zusammenpasst. Wie er den Ball fallen lässt und ihm alle nur denkbaren Missgeschicke passieren. Er lacht über sich selbst und das Lachen steckt an. Sein aufgemalter Mund macht das Lachen größer und das Weinen auch. Sogar über sein Weinen können wir lachen und das löst etwas in uns, macht den Sorgenstein leichter und lässt ihn wegrollen von unserem Herzen. Er nimmt sich selbst nicht allzu schwer, er schwebt und hält seine Arme, sein Gesicht, sein Leben dem Himmel hin. Er streckt sich nach dem Frieden aus, eine weiße Taube ist auf seiner Seite gegenüber einem Geschwader von schwarzen Bombern auf der andern. Der Auferstandene als Clown. Einer, über den man lachen kann oder bestenfalls lächeln angesichts der Mächte, die unser Leben zu bestimmen scheinen. Anfang der achtziger Jahre, als das Bild entstanden ist, und heute erst recht. Bomber. Hochhäuser. Sonnenfinsternis.
Der Clown hebt seine Hände auf zu den Bergen. Er schwebt Gott entgegen. Wie die Taube. Ganz schwach ist das Grün zu erkennen in ihrem Schnabel. Das Zeichen, dass am Ende, trotz Tod und Zerstörung, das Leben bleiben soll. Wohin fliegt der Vogel, wohin schaut der Clown? Von weitem kaum zu erkennen, vom Schnabel der Taube ein Stück nach rechts oben ein winziges goldenes Dreieck. So vorsichtig malt der Künstler Gott. Ein Symbol. Eine Andeutung. Gott entzieht sich unseren Blicken. Er ist bloß sichtbar in der Ausrichtung derer, die zu ihm hin unterwegs sind. Von ihm kommt uns Hilfe, wenn die Last zu schwer wiegt und unsere Augen am Boden kleben.
Entsetzt euch nicht, hat der Engel den Frauen gesagt. Starrt nicht länger ins Dunkle. Geht, sagt es den andern. Er ist euch vorausgegangen ins Leben. Im Alltag werdet ihr ihn sehen. Als Leidenden. Als Zuhörerin. Als Clown. Sagt es weiter. Aber genau das tun die Frauen nicht. Wie Maria in unserem Bild wenden sie sich ab und sagen nichts. Ich kenne das. Der Stein ist noch zu schwer. Er verschließt mein Herz. Er lässt mich stumm sein. Aber wie die Frauen am Grab, wie Petrus bin ich auf die anderen gewiesen, die sich an Jesus halten. Wir sollen einander darin unterstützen, unsere Sorgen zu Gott zu bringen. Wir sollen aufeinander achtgeben. Jemand sagt dir: Bleib nicht im Grab. Das Osterlicht leuchtet schon. Geh in den Alltag zurück. Jesus ist dir vorausgegangen. Er weiß einen Weg für dich.
Im Radio habe ich von einer Frau gehört. Sie ist vor einiger Zeit aus der Ukraine geflohen. Sie hat sich Gedanken gemacht, was den vom Krieg Betroffenen jetzt hilft. Sie hat ein „Bunker-Papier“ geschrieben. Eine Liste mit Dingen, die beim Überleben helfen, wenn man wochenlang im Bunker ist. Den Tag strukturieren. Frühstücken, auch wenn du kein Tageslicht siehst. Zusammen singen. Sich Zeit nehmen, um die Nachrichten vom Krieg zu hören. Und auch Zeiten, wo du das Radio ausschaltest. Anderen von deinen guten Erfahrungen erzählen. Und dir von ihnen erzählen lassen. Was schön war in der Kindheit zum Beispiel. Und was hilft den Geflüchteten hier? Ein Sommercamp, sagt sie. Vier Wochen Ferien für Kinder aus Deutschland, aus der Ukraine und aus Russland. Damit sie einander kennenlernen. Zusammen spielen und lachen.
Im Markusevangelium bleibt das Ende offen. Die Frauen sagen es nicht weiter. Auch Adi Holzers Bild bleibt offen. Maria in der Mitte, im blauen Kleid, ist noch nicht losgegangen. Die Hoffnung erreicht sie noch nicht. Das goldene Dreieck ist nicht leicht zu entdecken. Der Schrecken, die Trauer brauchen Zeit. Später wird Maria auch zu den Zeuginnen gehören. Wie die Leute links unten im Bild. Einer erzählt dem anderen die gute Nachricht. „Ex voto“, hat der Künstler daneben geschrieben. Um ein Versprechen einzulösen. Aus Dankbarkeit erzählen Menschen anderen von Gott. Mit Worten. Mit einem Bunkerpapier. Mit einer Clownsnase. Mit tatkräftiger Hilfe über Grenzen hinweg. Eine Straße führt links von dem Weitersager den Berg hoch und da, am Abhang, ragt ein Kirchturm heraus. Ein Zeichen. Mit jedem und jeder von uns findet Gott seinen Weg ins Licht. Der Herr ist auferstanden! Amen.
Der österreichische Künstler Adi Holzer, Jahrgang 1936, ist Illustrator, Zeichner, Maler, Grafiker, Glasmaler und Bildhauer. Unser Bild ist um 1980 entstanden und wurde 1991 zum 25jährigen Bestehen der Christophoruskirche von unserer Gemeinde erworben.
Von der Ostwand, aus dem Dunkel unter der Empore, ist es wieder ins Zentrum gerückt, das Bild von Adi Holzer. Hundertmal sind wir an ihm vorbeigegangen. Es ist uns vertraut und doch fremd, wie es jetzt hier vorne hängt, sich aufdrängt mit seinen Farben und Formen und Figuren. Das hat es mit der Karfreitags-Geschichte gemeinsam. Wohl hundertmal haben wir sie gehört. Sie ist vertraut und bleibt uns doch fremd.
Aus dem Bild sticht die schwarze Sonne hervor. Eine schwarze Sonne, ein Unding. Weil etwas Unerhörtes geschieht. Es war schon um die sechste Stunde, berichtet Lukas, und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde, und die Sonne verlor ihren Schein. Sechs Stunden nach Sonnenaufgang. In mitteleuropäischer Sommerzeit ausgedrückt: Von zwölf Uhr mittags bis drei am Nachmittag bleibt es finster. Das Licht der Welt, die Gnadensonne, ist ausgelöscht. Mitten im Tag und mitten im Leben.
Die Sonne wird finster. Jesus, der Menschensohn, hängt am Kreuz und stirbt. Das Bild zeigt kein Kreuz, nur einen Nagel durch die rechte Hand Jesu. Er hat eine blutige Wunde gerissen. Trotzdem wirken die Arme stark und lebendig. Erhoben wie die Arme eines Siegers. Den Kopf hält er gerade. Trägt die Dornenkrone mit der Würde eines Königs. Dünne Rinnsale laufen über sein Gesicht. Tränen oder Blut. Die Augen sind weit geöffnet, sehen in die Ferne oder nach innen.
Ein Alptraum die Geschichte. Und das Bild von Adi Holzer. Viele Bilder in einem. Ein ganzes Buch. Die Zeit zerrinnt. Damals ist heute. Statt des Längsbalkens des Kreuzes ragt ein Hochhaus über den Kopf Jesu in den Himmel. Schmuddeliges Weiß. Viele Etagen. Unzählige Fenster. Antennen auf dem Dach. Welche Funkwellen sollen sie empfangen? I-N-R-I steht an der Hauswand, kaum lesbar die Anklage, die Schuld, die man Jesus vorwirft. Jesus Nazarenus, Rex Judaeorum. Jesus aus Nazaret, König der Juden. Der Grund für das Todesurteil. Höhnischer Vorwurf gegen den Aufwiegler Jesus, den Prediger und Heiler, dem so viele nachrannten. Es ließe sich auch als Bekenntnis lesen. Jesus ist König! Stellen wir uns vor, das würde an die Wände unserer Häuser gesprüht in der Theodor-Heuss-Straße, im Christophorusweg. Die einen würde es zum Spott reizen. Andere zum Nachdenken.
Links neben den Stacheln der Dornenkrone, mit dünnen Strichen gezeichnet, ein Soldat mit Maschinenpistole. Er zwingt Menschen, die Arme hochzureißen. Treibt sie vor sich her. In Gefängnisse und Lager. In die Flucht. In den Tod. Rechts neben dem Hochhaus auch Striche. Ein dicker Mann mit einem Brett vor der Stirn. Mit dem rechten Auge schaut er durch ein Astloch. Mit links sieht er gar nichts. Zigarre im Mund, Telefon am Ohr, Friedhofskreuze auf dem Ärmel. Offenbar gehört der Tod zu seinem Geschäft. Neben ihm stürzt ein Flugzeug zur Erde und zieht Feuer und Rauch nach. Der Mann hat den Kopf abgewandt. Schwarz wie die Sonne sind die Flugzeuge, die Bomben abwerfen über Kiew, Charkiw, Mariupol. Aber auch über Idlib in Syrien. Der Mann schaut nicht hin, vielleicht verdient er an den Waffen, so funktioniert die Welt nun mal. Die Geschosse schlagen in den Körper Jesu ein, hinterlassen blutrote Spuren. Nun, was du, Herr, erduldet, / ist alles meine Last; / ich hab es selbst verschuldet, / was du getragen hast.
Wie kann Jesus das alles tragen? Folgen wir mit dem Blick seinem rechten Arm. Der führt mitten ins Bild. Da ist eine andere Gestalt. Blaues Gewand, langes Haar, die Hände ans Gesicht gehoben. Sie schaut auf den Gekreuzigten, weint über seine Schmerzen. Maria, seine Mutter. In ihrem Rücken die Schatten vieler Menschen, die Fäuste geballt, die Hände erhoben. Eltern, die wie Maria um ihre Kinder weinen. Rahel, die Stammmutter Israels, festgehalten in Yadvashem, dem Denkmal für die Kinder, die im Holocaust getötet wurden. Männer und Frauen, die unter Trümmern nach ihren Angehörigen suchen. Unter dem rechten Arm von Jesus sehen wir Maria als Pietá, wie vor Urzeiten in die Wand geritzt die Mutter, die sich über ihren toten Sohn beugt, die Arme ausgebreitet, als könnte sie ihn jetzt noch schützen und in ihrem Schoß bergen.
Wie kann er all das tragen? Eine starke Linie geht durch das Bild. Vom linken Arm Jesu rechts unten über den rechten Arm durch die Mitte nach oben. Ein Bogen, der an Maria vorbei zur schwebenden Gestalt des Clowns führt. Und jetzt schauen wir uns nochmals die rechte Hand Jesu an. Jetzt schon zeigen seine Finger, wohin er geht: Drei Finger für die Dreifaltigkeit, die Vielfalt Gottes. Der Vater, zu dem du rufen kannst. Der Sohn, der jedes Leiden teilt. Der Heilige Geist, in dem seine Kraft weiter wirkt. Die Hand umschließt die Trauer, den Zorn der Gestalten in Marias Rücken. Drei Finger zeigen zum Himmel. Dort wird es hingehen mit Jesus und mit uns. Zwei Finger zeigen zu Jesus. Er ist beides, ganz und gar Mensch und zugleich Gott.
Ich komme auf die Schemen zu seiner Rechten und Linken zurück. Der Soldat, der die Gefangenen vor sich hertreibt. Der dicke Mann mit dem Brett vor dem Kopf. Beide sind von Jesus abgewandt. Jesus betet am Kreuz. Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun! Jesus bittet für die Verbrecher rechts und links neben ihm. Aber noch andere stehen am Kreuz, in der Reichweite seines Gebetes. Die Soldaten, die ihre Befehle ausführen. Andere, die nur zuschauen. Das Gebet Jesu ist offen für alle, die sich an der Schädelstätte einfinden. Die sich nach Vergebung sehnen und kein Brett vor dem Kopf haben. Jederzeit und an jedem Ort. Auch für uns hier. Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun! Jesus geht ungefragt davon aus, dass wir Schuld haben. Er setzt sich bei Gott für uns ein, selbst wenn wir uns nicht schuldig bekennen, wenn wir nicht mal einsehen, dass wir uns von ihm entfernt haben. So grundlegend ist Gottes Vergebung, dass sie die Unfähigkeit, unsere Schuld einzusehen, mit umfasst!
Zwei Übeltäter rechts und links von ihm. Der eine bekennt sich. Er sagt, wir kriegen, was wir verdienen. Sicher hat er höllische Angst. Vor dem Tod und vor dem, was danach kommt. Und jetzt macht er genau das Richtige. Er vertraut sich Jesus an. Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst! Er legt keine Lebensbeichte ab. Spricht nicht von Reue. Aber da am Kreuz ahnt er vielleicht, wie tief er verstrickt ist in Unrecht und Schuld. Wie weit weg von Gott. Er sehnt sich nach Erlösung. Jesus, gedenke an mich! Jesus sagt: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein. Was der Mann getan hat, lässt sich nicht rückgängig machen. Er muss sterben. Aber Jesus verspricht ihm Zusammensein mit ihm im Paradies. Schon heute! Er muss sich nicht mehr rechtfertigen. Er darf teilnehmen an der Vergebung.
Das Bild von Adi Holzer zeigt Jesus mit starken Armen. Jesus wird verletzt und belastet durch das Leiden jedes Menschen. Sei es riesengroß oder vergleichsweise klein. Jesus trägt es mit. Er hört nicht auf zu beten. Nicht mal, als er sein eigenes Leben loslassen muss. Er betet mit den Worten seines Volkes. Aus einem Psalm. Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! So können wir auch beten, wenn wir loslassen müssen. Eine Hoffnung. Einen Traum. Einen geliebten Menschen. Sogar wenn wir unser Leben loslassen müssen. Vater, ich befehle mein Leben in deine Hände! Was kommt, weiß ich nicht. Nur, dass deine Hände mich halten.
Am Ende seiner Erzählung schreibt Lukas: Und als alles Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da geschah, schlugen sie sich an ihre Brust und kehrten wieder um. Die Zuschauer sind zu Beteiligten geworden. Die Worte Jesu sind ihnen nahe gegangen. Aber sie bleiben am Kreuz nicht stehen. Sie gehen zurück ins Leben.
Das Bild vom Sterben Jesu ist in unser Blickfeld gerückt. Am Ostermorgen werden wir uns seine Auferstehung vor Augen führen. Vielleicht sind wir Zuschauer:innen. Oder wir lassen uns beteiligen. Jetzt oder später. Wenn Gott will, nehmen wir seine Vergebung an. Bieten ihm unsere Augen an, unsere Ohren und Arme, um etwas mitzutragen von der Trauer und den Schmerzen der Menschen in der Welt. Und in unserer Nähe. Wir können unser und ihr Leben jederzeit in seine Hände befehlen. Amen.
Das Bild von Aldi Holzer steht im Mittelpunkt der Karfreitags- und der Osterpredigt. Zum besseren Verständnis hier auch einige Ausschnitte. Die Karfreitags-Predigt hat am Ostersonntag ihre Fortsetzung gefunden. Beides zum Hören und Nachlesen weiter unten.
Jesus hob seine Augen auf zum Himmel und sprach: Vater, die Stunde ist gekommen: Verherrliche deinen Sohn, auf dass der Sohn dich verherrliche; so wie du ihm Macht gegeben hast über alle Menschen, auf dass er ihnen alles gebe, was du ihm gegeben hast: das ewige Leben. Das ist aber das ewige Leben, dass sie dich, der du allein wahrer Gott bist, und den du gesandt hast, Jesus Christus, erkennen. Ich habe dich verherrlicht auf Erden und das Werk vollendet, das du mir gegeben hast, damit ich es tue. Und nun, Vater, verherrliche du mich bei dir mit der Herrlichkeit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war.
CS: Jesus betet für sich. Eigentlich ist ein Gebet doch etwas Intimes, eine Sache zwischen mir und Gott. Oder zwischen jemand anderem und Gott. Dann will ich nicht dabei sein. Ich hab noch im Ohr, was Jesus über das Beten gesagt hat: Wenn du betest, geh in dein Zimmer und schließ die Tür. Bete zu deinem Vater, der im Verborgenen ist.Matthäus 6, die Bergpredigt. Jetzt lässt er die Freunde mithören. Ich stelle mir vor, wie verwirrt sie sein müssen, angespannt, ratlos, traurig. Jesus hat gesagt: Es dauert nur noch kurze Zeit, dann seht ihr mich nicht mehr. Und dann nochmal eine kurze Zeit, und ihr seht mich wieder. Was redet er da, haben sie sich gefragt? Wie sollen wir das verstehen?
Jesus spricht vom Abschied. Wer will das schon hören, wer kann das verstehen, wenn einer, mit dem du eine wichtige Zeit in deinem Leben verbracht hast, vielleicht die allerwichtigste, wenn der plötzlich sagt, er geht weg? Mitten im Leben. Mitten im Miteinander. Mitten im Alltag, der mal mühsam ist und mal erfüllt, redet er davon, dass er bald nicht mehr da ist. Er wird sterben. Sie werden ohne ihn sein. Kein Wunder, dass sie sich die Ohren zuhalten und die Herzen auch.
Und jetzt bricht Jesus seine eigenen Regeln. Er betet nicht im stillen Kämmerlein, sondern so, dass sie es mitkriegen. Er betet zum Vater. Es ist eine Sache zwischen ihm und Gott. Aber sie sind dabei. Sind hineingenommen in die Beziehung zwischen Jesus und dem Vater. Wie Kinder hineingenommen werden in das Gebet, das die Mutter vor dem Einschlafen spricht. Mag sein, sie verstehen die Worte nicht. Mag sein, sie spüren, die Betende an ihrem Bett ist erschöpft, überfordert, in Sorge. Vor allem aber spüren sie: Da ist jemand, dem die Mutter sich anvertraut. Gott im Himmel sieht, wie es ihr geht. Bei ihm sind ihre Sorgen aufgehoben. Er wird auch uns behüten. Wie eine Mutter die Kinder, so nimmt Jesus seine Freunde mit ins Gebet.
JB: Gegenseitige Verherrlichung
Wie betet also Jesus zu Gott? Er bittet um Verherrlichung.
Aber Jesus weiß doch, dass „die Stunde“ gekommen ist. Er weiß, dass sein Weg an das Kreuz führen wird. Wie kann er da um Verherrlichung bitten?! Jesu Tod am Kreuz entbehrt doch jeder Herrlichkeit!
Er betet zu Gott nicht als Mensch, sondern als Gottes Sohn. Jesus geht in Gottes Fußstapfen auf Erden, um Gottes Werk zu vollenden und den Menschen ewiges Leben zu geben.
Jesus bittet Gott nicht einfach – er bietet seinem Vater auch etwas im Gegenzug:
Wenn Jesus verherrlicht ist, ist gleichzeitig auch Gott verherrlicht. Gott und Jesus machen gegenseitig die Herrlichkeit des anderen sichtbar.
Was ist es, das da geschieht, wenn Gott und Jesus einander verherrlichen?
Jesus Wirken in der Welt macht Gottes Herrlichkeit sichtbar, Gott hat ihm die Menschen anvertraut.
Jesus heilt Kranke, lässt Wunder geschehen und ergreift Partei für die, die von der Gesellschaft ausgestoßen wurden. Staunend erkennen die Menschen, dass Jesus von Gott gesandt ist.
Auch Jesus Tod soll den Menschen eine Vergewisserung über Gottes Wirken sein.
Jesus bittet Gott: „Lass diesen Moment nicht mein Niedergang sein, sondern erhebe mich in den Himmel!“
Ob er damit wohl auch schon seine Auferstehung meint?
Ich habe deinen Namen den Menschen offenbart, die du mir aus der Welt gegeben hast. Sie waren dein, und du hast sie mir gegeben, und sie haben dein Wort bewahrt. Nun wissen sie, dass alles, was du mir gegeben hast, von dir kommt.
CS: Jesus betet für seine Jünger. Für die, die damals um ihn waren. Und für die, die sich heute an ihn halten. Jesus sagt:Vater im Himmel, ich habe auf der Erde deine Schönheit sichtbar gemacht. Deinen Reichtum. Deine Fülle. Deine Pracht. Deinen Glanz. Meine Mission ist erfüllt. Ewiger, ich habe dich bei den Menschen bekannt gemacht, die du mir anvertraut hast. Sie haben deine Herrlichkeit gesehen. Nun ist es an ihnen, deine herrliche Gegenwart aufzuspüren in der Welt. Sie sichtbar zu machen und sie kräftig zu feiern.
Wie sieht die Herrlichkeit aus? Wie der Rundumblick auf einem Dreitausender. Wie eine Braut am schönsten Tag ihres Lebens. Wie ein langer Tisch, festlich gedeckt, mit schimmernden Gläsern, flackerndem Kerzenlicht, prächtigen Früchten, üppigen Speisen und bunt durcheinandergewürfelten Gästen. Wie das Lächeln einer Genesenen, die ihr Gesicht in die Sonne hält. Wie ein Großvater, der sein Enkelkind auf seinen Knien reiten lässt.
Wie klingt die Herrlichkeit? Wie das Konzert der Vogelstimmen im ersten Morgengrauen. Wie Kinderlachen. Wie das Summen der Insekten an einem Sommertag im Wald. Wie der Anfang des Weihnachtsoratoriums von Bach. Wie die Stimme eines Menschen, der sagt: Ich mag dich auch. Wie ein sanfter Wind nach einem Sturm.
Wie riecht die Herrlichkeit? Wie der Frühjahrsregen. Wie eine Tasse Kaffee am Morgen. Wie der weiche Flaum auf dem Köpfchen eines Neugeborenen. Wie Tannengrün am Weihnachtsabend. Wie ein frisch gebackenes Brot.
Wie schmeckt die Herrlichkeit? Wie Großmutters Reibekuchen. Wie ein Brausebonbon. Wie der erste Kuss. Wie Erdbeeren mit Schlagsahne. Wie eine Kelle Erbsensuppe am Gänseliesel bei der Aktion „Keiner soll einsam sein“.
Wie fühlt sich die Herrlichkeit an? Wie die Rinde einer uralten Eiche. Wie ein heißes Bad nach einem Spaziergang im Regen. Wie kühles Gel auf einer brennenden Wunde. Wie der raue Pullover eines Menschen, der seine Arme um dich legt. Wie ein Rippenstoß, der sagt: Vergiss den Streit, wir sind doch Freunde.
JB: Jesus war bei Gott, bevor die Welt war
All diese Herrlichkeiten lassen uns erahnen, wie groß die Herrlichkeit bei Gott ist. Wir können sie nicht einschätzen. Aber Jesus weiß, wie es da ist in seiner Herrlichkeit. Er war schon vor der Schöpfung bei Gott – schon da hatte er Herrlichkeit.
Der Evangelist Johannes erklärt uns, was schon vor der Schöpfung von Raum und Zeit bei Gott war: Am Anfang war Gottes Wort.
Jesus ist das fleischgewordene Wort Gottes auf Erden.
Er ist das Licht in der Finsternis, das in die Welt kam.
Jesus gehört zu Gott – das wird ausgerechnet am Kreuz deutlich.
Die Stunde ist gekommen, Jesu Zeit auf der Erde ist vorbei.
Jesus war schon vor der Welt bei Gott.
Es ist eine ganz, ganz schlimme Geschichte. Aber zu wissen, dass Jesus vorher bei Gott war, dass er wieder zu Gott geht und dass Gott auch auf der Erde die ganze Zeit bei ihm war, ist tröstlich für mich. Im Himmel, bei Gott, ist er herrlich. Das tröstet mich jetzt in der Passionszeit besonders. Ich sehe, dass die Menschen schlechte Dinge tun können. Sogar der ultimative Heiland wird Opfer von schlechten Taten der Menschen. Er hat es durchlebt und kommt zu Gott. Dann ist auch für uns Menschen Hoffnung, zu Gott zu kommen! Jesus ist das Licht, aber „die Finsternis hat’s nicht ergriffen“. Aber wer sich daran festhält, ist geborgen bei ihm. Als Kind war für mich der liebe Gott da. Auch weiterhin, in schwierigen Zeiten, denke ich an Gott. Ich sehe ihn ganz groß neben mir, an meiner Hand. Jesus ist Mensch geworden, damit wir sehen, Gott ist nicht irgendwo im Kosmos, sondern hier in der Welt.
Jesus sagt: Wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein; und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein. (aus dem PredigttextMarkus 10,35-45)
Ich wollte immer einen großen Mann, sagt sie. Einen, zu dem ich aufblicken kann. Und das kann sie. Er ist anderthalb Köpfe größer als sie. Er nennt sie "Kleintje", das heißt Kleine oder Kurze, alle Zärtlichkeit der Welt liegt in diesem Namen. Sie kocht ihm, was er gern isst, auch Braten und Koteletts, obwohl sie Vegetarierin ist und es sie schüttelt, wenn sie an der Fleischtheke steht. Gefühlt tausendmal ist sie umgezogen mit ihm, weil er ruhelos ist nach der Kriegsgefangenschaft, irgendwie nirgends zu Hause, nur bei ihr. Wenn eins der Enkelkinder nach einem Glas Limo fragt, zuckt sie die Achseln. Das kann ich nicht entscheiden. Das musst du den Opa fragen.
Es gab eine Zeit, da hat sie alles allein entscheiden müssen. Drei Söhne hat sie großgezogen. Den ältesten hat sie hamstern geschickt in den Hungerjahren. Als ihr Mann aus der Gefangenschaft zurückkam, hat sie ihm das Leben gerettet. Weil sie sich mit Ernährung auskannte und den von Wassersuppe Ausgezehrten behutsam ans Essen gewöhnte. Liebevoll hat sie ihn gepflegt, bevor er die Familie wieder verließ, um im Westen im Bergwerk zu arbeiten.
Ein halbes Jahr ist sie nun wieder ohne ihn gewesen, hat allein ihre Frau stehen müssen. Dann wartet sie nachts am Bahnwärterhäuschen auf die Gelegenheit zur Flucht. Koffer und Taschen und die drei Kinder. Sie tappen im Gleis an den Schienen entlang durch die Dunkelheit, das Jüngste im Bollerwagen. Endlich sehen sie Licht, ein Haus, sie klopfen an die Tür und werden eingelassen. Sie sind im Westen.
Die Familie ist wieder vereint. Sie umsorgt Ehemann, Kinder und Enkel. Sie nimmt sich zurück. Im Dienen ist sie groß. Sie kann streng sein. Nie ist sie lieblos. Sie betet mit den Kindern vorm Einschlafen. Singt ihnen vor. Keine Mahlzeit ohne Dankgebet. Keine Entscheidung ohne Rücksprache mit Gott. Wenn ihr etwas auf der Seele liegt, legt sie es ihrem Herrn vor. „So kannst du es auch machen“, sagt sie. „Wenn du einen Fehler gemacht hast. Bitte den Herrn Jesus um Verzeihung. Danach versuchst du, es wieder in Ordnung zu bringen“.
Zuletzt gehen ihre Gedanken eigene Wege. Der Verstand ist verwirrt. Das Herz nicht. Wenn im Altenheim die Kirchenlieder gesungen werden, singt sie mit. Ihre Augen leuchten. Ihre Stimme ist klar: „Auf, auf, gib deinem Schmerze / und Sorgen gute Nacht, / lass fahren, was das Herze / betrübt und traurig macht; bist du doch nicht Regente, / der alles führen soll, / Gott sitzt im Regimente / und führet alles wohl“. (Paul Gerhardt, EG 361,7)