Ein Tupfer Morgenrot. Osterpredigt mit dem Bild von Aldi Holzer und Markus 16,1-8

Sat, 23 Apr 2022 10:03:24 +0000 von Charlotte Scheller

am Ostersonntag 2022 von Charlotte Scheller, als Audio unter dem Text

Es ist noch da, das Bild von Adi Holzer. Mitten in unserer Kirche, am schönen Ostertag. Die schwarze Sonne steht noch am Himmel. Es ist viel Schwarz in dem Bild. Die Kriegsflugzeuge rechts oben. Die verknäulten Gestalten über der rechten Hand des Gekreuzigten, die ihre Arme über die Köpfe recken in Klage oder Zorn. Und Jesus am Kreuz. Schwarz ist die Dornenkrone, sein Haar ist schwarz und die Spuren, die sein Gesicht hinabrinnen. Blut und Tränen und die Augen weit offen. Als ob er seinen Peinigern in die Augen sieht. Oder Blickkontakt hält mit jedem Menschen, der Qualen leiden muss. Trotzig. Ruhig. Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist.
 
Zwischen dem vielen Schwarz Maria. In Blau, der Farbe der Sehnsucht und der Treue. Einige der Kummer-und-Zorn-Gestalten trommeln ihr auf den Rücken, andere wenden sich nach links, den Bergen zu. Maria hat sich abgewandt. Wie die drei Frauen, die losgegangen sind am Ostermorgen, nachdem die Festtagsruhe vorbei war und der Sabbat vorüber. Das Osterlicht ist schon sichtbar über den Bergen, ein Fetzen blauer Himmel, ein Tupfer Morgenrot. Es ist der erste Tag der neuen Schöpfung, aber Maria schaut zurück. Schaut wie die Frauen ins Dunkel hinein. Sie ist noch in den Gedanken an den Tod gefangen, die Augenlider sind schwer, die Hände halten den Kopf, die trauerschwarzen Arme eng an der Brust. 
 
Die Frauen in der Ostergeschichte bringen wohlriechende Öle mit. Um den Geruch des Todes zu überdecken. Um den Freund noch einmal zu berühren, um noch etwas für den Toten zu tun. Wie die Mutter Jesu. In unserem Bild hält sie ihren toten Sohn in den Armen und wiegt ihn auf ihrem Schoß. Wir möchten auch etwas tun, wenn wir dem Tod gegenüberstehen, etwas festhalten von dem, was wir zu verlieren drohen, etwas Kostbares opfern. Am Grab eines Menschen. Wenn wir dem Krieg ins Auge sehen müssen. Oder wenn wir eine Freundschaft zu Grabe tragen müssen. Einen Plan. Eine Sehnsucht. Ein Bild von uns selbst, das nicht mehr stimmt. Wir möchten irgendwie damit umgehen, aber dann sehen wir: Es ist nicht zu retten. Es bleibt nichts zu tun. Wir sind noch mit dem Vergangenen beschäftigt. Aber das ist vergebliche Liebesmüh. Jesus, der Gekreuzigte, ist nicht hier. Er ist nicht mehr im Tod. Er lebt!
 
Schwarz ist der breite Saum des Gewandes des Clowns. Schwarz sind die großen Schuhe, aber er steht nicht fest, er scheint schwerelos zu sein. Ein Fuß haftet am Boden, aber es zieht ihn nach oben. Er kehrt dem Tod den Rücken. Er schließt den Schmerz nicht aus. Aber aus dem Trauerrand des Gewandes wächst ein kräftiges Rot, die Farbe des Blutes, die Farbe von Feuer und Liebe und Leben und Geist. Purpurrot, die Farbe eines Königsmantels. Seine Haare sind rot, die Clownsnase, der linke Socken. Die Arme hat er ausgestreckt nach oben, wie einen Kelch geöffnet, bereit, etwas aufzunehmen. 
 
Die Frauen am Ostermorgen bringen Öl mit. Und ihre Sorgen. Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür? Ihre Augen sind zu Boden gerichtet, der Rücken vor Kummer gebeugt, die Sorge liegt ihnen schwer auf der Seele. Wie bei Maria in unserem Bild. Der Angststein. Ich kenne ihn gut. Wie soll ich diese Herausforderung meistern und jene Situation überstehen? Ich grüble und schlafe schlecht und bin wie gelähmt. Mein Blick klebt am Boden, ich kann an nichts anderes denken als an meine tödliche Sorge. Ich merke gar nicht, dass der Stein schon weggewälzt ist vom Grab. So einfach kann es nicht sein. So leicht kann es nicht gehen. Aber je mehr ich mich anstrenge, desto größer werden die Sorgen. Wirkliche Veränderung kann nur Gott bewirken. Der Clown in dem Bild weiß das. Er hält das Gesicht in die Sonne, die Augenbrauen hochgezogen. Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, heißt es in Psalm 121, woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt von dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.
 
Die Frauen heben die Augen nicht auf. Sie schauen zu Boden. Erschrecken, weil der Stein nicht mehr da ist. Gehen in das Grab, schauen ins Dunkle und sehen keinen Leichnam. Statt dessen sitzt da ein Jüngling. Einer im leuchtend weißen Gewand, was macht der hier am Ort der Trauer, hier sollte es dunkel sein, sie sind entsetzt. „Entsetzt euch nicht!“ Ein Gottes-Boten-Gruß. „Fürchte dich nicht“, hat der Engel zu Maria gesagt und ihr verkündet, dass sie den Retter zur Welt bringen wird. Jetzt sind sie an seinem Grab. Entsetzt euch nicht. Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist nicht hier. Er ist auferstanden, er lebt auf neue Art. Geht, sagt der Engel. Bleibt nicht hier im Grab. Grabt nicht in euren Sorgen herum, in der Schuld, in den Verletzungen. Das führt zu nichts. Sucht die anderen und sagt ihnen: Er lebt. Er geht euch voraus nach Galiläa. Das ist der Alltagsort des Evangeliums. Wie Jerusalem der Ort des Festes ist. In Galiläa war Jesus mit ihnen unterwegs. Hier hat er ihnen Gottes Reich beschrieben in alltäglichen Bildern. Ein Senfkorn, das sich zu einem großen Baum auswächst. Ein Weinberg, in dem viele arbeiten und alle ihren Lohn kriegen. In Galiläa hat Jesus Kranke geheilt und Sündern die Schuld vergeben. Und auch wir werden ihn wiedersehen. In unserem Alltag können wir genau das von Jesus erwarten. Dass er da ist und uns heilt und uns vergibt. Mitten in unserem unfeierlichen Dasein.
 
In Adi Holzers Bild ist kein Jüngling im weißen Gewand. Bloß dieser Clown. Ein Clown bringt andere zum Lachen. Macht sich selbst lächerlich. Macht sich peinlich, damit die, die ihn sehen, sich nicht mehr peinlich fühlen. Wir können uns wiedererkennen in ihm, weil das geschminkte Gesicht kein bestimmtes ist. Es könnte auch unser Gesicht sein. Wir müssen lachen über ihn, wie er über seine eigenen Füße stolpert. Wie er zwei verschiedene Socken trägt und gar nichts an ihm zusammenpasst. Wie er den Ball fallen lässt und ihm alle nur denkbaren Missgeschicke passieren. Er lacht über sich selbst und das Lachen steckt an. Sein aufgemalter Mund macht das Lachen größer und das Weinen auch. Sogar über sein Weinen können wir lachen und das löst etwas in uns, macht den Sorgenstein leichter und lässt ihn wegrollen von unserem Herzen. Er nimmt sich selbst nicht allzu schwer, er schwebt und hält seine Arme, sein Gesicht, sein Leben dem Himmel hin. Er streckt sich nach dem Frieden aus, eine weiße Taube ist auf seiner Seite gegenüber einem Geschwader von schwarzen Bombern auf der andern. Der Auferstandene als Clown. Einer, über den man lachen kann oder bestenfalls lächeln angesichts der Mächte, die unser Leben zu bestimmen scheinen. Anfang der achtziger Jahre, als das Bild entstanden ist, und heute erst recht. Bomber. Hochhäuser. Sonnenfinsternis. 
 
Der Clown hebt seine Hände auf zu den Bergen. Er schwebt Gott entgegen. Wie die Taube. Ganz schwach ist das Grün zu erkennen in ihrem Schnabel. Das Zeichen, dass am Ende, trotz Tod und Zerstörung, das Leben bleiben soll. Wohin fliegt der Vogel, wohin schaut der Clown? Von weitem kaum zu erkennen, vom Schnabel der Taube ein Stück nach rechts oben ein winziges goldenes Dreieck. So vorsichtig malt der Künstler Gott. Ein Symbol. Eine Andeutung. Gott entzieht sich unseren Blicken. Er ist bloß sichtbar in der Ausrichtung derer, die zu ihm hin unterwegs sind. Von ihm kommt uns Hilfe, wenn die Last zu schwer wiegt und unsere Augen am Boden kleben.
 
Entsetzt euch nicht, hat der Engel den Frauen gesagt. Starrt nicht länger ins Dunkle. Geht, sagt es den andern. Er ist euch vorausgegangen ins Leben. Im Alltag werdet ihr ihn sehen. Als Leidenden. Als Zuhörerin. Als Clown. Sagt es weiter. Aber genau das tun die Frauen nicht. Wie Maria in unserem Bild wenden sie sich ab und sagen nichts. Ich kenne das. Der Stein ist noch zu schwer. Er verschließt mein Herz. Er lässt mich stumm sein. Aber wie die Frauen am Grab, wie Petrus bin ich auf die anderen gewiesen, die sich an Jesus halten. Wir sollen einander darin unterstützen, unsere Sorgen zu Gott zu bringen. Wir sollen aufeinander achtgeben. Jemand sagt dir: Bleib nicht im Grab. Das Osterlicht leuchtet schon. Geh in den Alltag zurück. Jesus ist dir vorausgegangen. Er weiß einen Weg für dich. 
 
Im Radio habe ich von einer Frau gehört. Sie ist vor einiger Zeit aus der Ukraine geflohen. Sie hat sich Gedanken gemacht, was den vom Krieg Betroffenen jetzt hilft. Sie hat ein „Bunker-Papier“ geschrieben. Eine Liste mit Dingen, die beim Überleben helfen, wenn man wochenlang im Bunker ist. Den Tag strukturieren. Frühstücken, auch wenn du kein Tageslicht siehst. Zusammen singen. Sich Zeit nehmen, um die Nachrichten vom Krieg zu hören. Und auch Zeiten, wo du das Radio ausschaltest. Anderen von deinen guten Erfahrungen erzählen. Und dir von ihnen erzählen lassen. Was schön war in der Kindheit zum Beispiel. Und was hilft den Geflüchteten hier? Ein Sommercamp, sagt sie. Vier Wochen Ferien für Kinder aus Deutschland, aus der Ukraine und aus Russland. Damit sie einander kennenlernen. Zusammen spielen und lachen. 
 
Im Markusevangelium bleibt das Ende offen. Die Frauen sagen es nicht weiter. Auch Adi Holzers Bild bleibt offen. Maria in der Mitte, im blauen Kleid, ist noch nicht losgegangen. Die Hoffnung erreicht sie noch nicht. Das goldene Dreieck ist nicht leicht zu entdecken. Der Schrecken, die Trauer brauchen Zeit. Später wird Maria auch zu den Zeuginnen gehören. Wie die Leute links unten im Bild. Einer erzählt dem anderen die gute Nachricht. „Ex voto“, hat der Künstler daneben geschrieben. Um ein Versprechen einzulösen. Aus Dankbarkeit erzählen Menschen anderen von Gott. Mit Worten. Mit einem Bunkerpapier. Mit einer Clownsnase. Mit tatkräftiger Hilfe über Grenzen hinweg. Eine Straße führt links von dem Weitersager den Berg hoch und da, am Abhang, ragt ein Kirchturm heraus. Ein Zeichen. Mit jedem und jeder von uns findet Gott seinen Weg ins Licht. Der Herr ist auferstanden! Amen.
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