zu einer Figurengruppe in der St. Marienkirche Stralsund und Lukas 1,47-49 Audio zum Nachhören unter diesem Beitrag
Alles in mir jubelt vor Freude über Gott, meinen Retter. Denn er wendet sich mir zu, obwohl ich nur seine unbedeutende Dienerin bin. Von jetzt an werden mich alle Generationen glückselig preisen. Denn Gott, der mächtig ist, hat Großes an mir getan. Sein Name ist heilig.
Knapp zwei Stunden, um durch die Altstadt von Stralsund zu schlendern. Das Portal der St. Marien-Kirche. Ich gehe hinein, wandere an den Seitenkapellen entlang, freue mich auf die Turmbesteigung. Dann sehe ich sie.
Eine Dreiergruppe. Sie halten Abstand. Weniger körperlich. Es ist - ich weiß nicht, was. Zu meiner Linken Petrus. Wie ein König gekleidet, roter Mantel mit goldenem Saum. Er hält ein Buch, schwer, in Holz und Leder gebunden, mit Gold beschlagen. Die andere Hand, fast zur Faust geballt, hält ein Zepter. Nicht die Schlüssel, die Jesus ihm übergeben hat. Königswürde? Staffelstab? Zwischen vollem Haar und üppigem Bart macht er ein langes Gesicht. Die Stirn gerunzelt. Die Augen schauen nach innen. Der Mund ein Strich.
Rechts Paulus. Auch sein Gewand mit Goldrand. Das Schwert in seiner rechten Hand, Zeichen des Martyriums, das er erleiden wird, vollendet eine Linie, die an seinem linken Fuß beginnt. Ein Aufwärts-Schwung. Eine Himmels-Leiter, sie reicht über die Köpfe der drei Figuren hinaus. Über Paulus‘ rechter Hand die Querstange des Schwerts. Paulus drückt das silbern-goldene Kreuz an seine Brust. In der Linken hält er, wie Petrus, ein schweres Buch. Eingebunden, goldbeschlagen, kostbar. Die großen Augen sind weit offen. Er sieht am Schwert vorbei, nach oben, nach innen.
In der Mitte Maria. Auf einem Podest, höher als die Apostel. Himmelsblau der Umhang, goldumrandet, der Stoff umfließt ihre schlanke Gestalt. Unter der schweren Goldkrone ein junges Gesicht. Strähnige Haare haben sich aus dem Kopftuch gestohlen. Weiche weiße Hände halten das Kind. Ein Baby von den pummeligen Füßchen über die winzigen Finger bis zum faltigen Hals. Darauf, in Miniatur, der Kopf eines Erwachsenen. Auch Maria runzelt die Stirn. Die Augenlider halb geschlossen. Kaum merklich neigt sie den Kopf in Richtung ihres Kindes.
Das Kind hält den Kopf schräg nach oben. Aber es sucht nicht den Blick der Mutter, es sieht in die Ferne. Die Mundwinkel sind leicht nach oben gezogen, es lächelt.
Petrus, Paulus, Maria und das Kind. Sie sehen einander nicht an. Sprechen nicht miteinander. Sprechen aber mit mir.
Ich verstehe schon, sagt Petrus zu mir, dass der Menschensohn leiden musste. Wie gern wäre ich sein Sekundant gewesen. Hätte dem Soldaten, der ihn gefangen nahm, mehr abgeschlagen als nur ein Ohr. Er hätte es verdient. Muss man sich nicht wehren, muss man nicht einschreiten, wenn unschuldiges Leben verletzt wird? Der Meister hat es anders gesehen. Hat mir Einhalt geboten und das verletzte Ohr geheilt. Hat sich abführen und verurteilen lassen. Und das Zepter, den Staffelstab an mich weitergegeben. Jetzt kämpfe ich für ihn. Mit Worten.
Nicht ich, sagt Paulus, aber Christus in mir. Hier, in diesem Buch, steht alles drin. Du brauchst kein anderes. Liebes- und Kriminalroman, Geschichts- und Gesangbuch, Wahrheit und Utopie, Klarheit und Rätsel, Untergang und Neuanfang. Die ganz große Liebeserklärung von Gott an uns, seine Kinder. Ich werde nie alles verstehen, was darin steht. Ich sage es nur weiter. Das Lösen der Rätsel und Widersprüche, auch der in mir, überlasse ich Christus. Er hat mich umgekrempelt. Aus einem Christenverfolger einen Zeugen seiner Liebe gemacht. Nicht ich bin stark, sondern Christus in mir.
Jetzt steh ich hier auf dem Sockel, sagt Maria. Muss an das überschwängliche Lied denken, das meine alte Cousine Elisabeth gesungen hat, als wir beide schwanger waren. Ein Baby. Kein Wunschkind. Umso mehr gesegnet. Manchmal ist er mir jetzt schon fremd, der kleine Jesus. Dieses altkluge Gesicht, als ob er über die ganze Welt nachdächte. Guckt er zu mir? Oder zum Höchsten, gelobt sei sein Name? Ich bin auf alles gefasst. Was der Engel zu mir gesagt hat vor einem Jahr, kann ich niemand erzählen. Ich weiß nur: Retter der Welt - so einer muss viel leiden. Er ist nicht für seine Mutter da. Nicht mal für sich selbst. Bloß für den Rest der Welt. Ich will ihm dienen. Ich werde leiden. Und doch: Von jetzt an werden mich alle Generationen glückselig preisen. Denn Gott, der mächtig ist, hat Großes an mir getan!
Petrus, Paulus und Maria. Das stille Gespräch geht mir noch lange nach. Sie haben sich Gott zur Verfügung gestellt. Haben Jesus in die Mitte genommen. Haben sich von ihm entwaffnen lassen. Haben sich zurückgenommen, sich erlaubt schwach zu sein, damit er stark sein konnte in ihnen.
Ich gehe zum Bahnhof. Hole mein Gepäck. Meine Reise geht weiter. Ich will sein Wort bewahren. Mich am Kreuz festhalten. Den Himmel im Blick behalten. Wofür Gott mich wohl braucht – heute, morgen?
I. Als Jesus staunte. Eine Erzählung nach Mt 6,26 ff von Sylke Schander
Jesus ist mal wieder mit seinen Freundinnen und Freunden, den Jünger*innen unterwegs. Sie wandern über das Land, von einem Dorf zum nächsten. Dabei kommen sie an einem Feld vorbei. Die Feldränder sind wild bewachsen, mit Blumen und Gräsern. Plötzlich bleibt Jesus stehen: „Da! - Kommt mal her und Schaut doch mal! Was ich da entdeckt habe!“ Alle sammeln sich um ihn herum. Jeder will in der ersten Reihe stehen, sie drängelten und schubsten. Keiner will etwas verpassen. „Da – schaut genau hin!“ sagt Jesus und blickt auf den Boden. Dann sagt er nichts mehr. Zuerst war es ganz ruhig. Jeder starrt mit Jesus auf den Boden. Dann beginnt einer von denen, die hinten stehen zu fragen: „Was gibt`s denn da zu sehen?“ „Keine Ahnung“ – kommt es irgendwo aus der Menge. „Ich sehe nur Gras und Blumen“ „-und Ameisen!“ - sagt ein anderer. „Ich sehe überhaupt nichts“ – kommt es von weiter hinten. Die Freundinnen und Freunde richteten sich wieder auf und sehen Jesus verwundert an. „Was sollen wir sehen, Jesus? Gibt es da etwas Besonderes?“ Jesus zeigt auf eine kleine Blume mit ganz zarten Blütenblättern und lächelt: „Da, die Blume, ist die nicht wunderbar? Hat Gott diese Blume nicht ganz toll geschmückt? Diese schöne Blüte! Gott hat sie ganz wunderbar gemacht! Und überhaupt, schaut mal, die vielen Farben und Formen der Blumen! Gott muss die Blumen ganz besonders lieben, sonst hätte er sie nicht sooo schön geschmückt. Und schaut mal da die Bäume! Wisst ihr, jeder Baum war mal ein ganz kleiner Same! Und in dem Samen steckt so viel Kraft, dass daraus ein großer, starker Baum wachsen kann, mit vielen Ästen und Zweigen und Blättern. Ist das nicht erstaunlich? Ja und denkt an die Vögel in den Bäumen. Sie wissen wir man ein kleines Nest baut. Sie fliegen manchmal sogar weit über das Meer und finden ihren Weg. Und sie singen vergnügt und fröhlich ihr Lied. Ihnen wird alles geschenkt. Ist das nicht wunderbar? Gott muss die Erde, die Blumen und Bäume, die Tiere und auch uns Manschen ganz besonders lieb haben, wenn er alles so wunderbar gemacht hat. Wir müssen uns keine Sorgen machen. Gott hat uns so viele schöne Sachen geschenkt. Da bin ich richtig froh. Ich denke wir können von den Blumen, den Bäumen den Vögeln und den Tieren lernen. Wenn wir entdecken, wie schön all das ist, dann wissen wir, dass Gott uns liebt. Darauf können wir uns verlassen.
II. Fünfhundertsiebenunddreißig. Gedanken zu Psalm 104 von Charlotte Scheller
Marie und Jannik fahren Fahrrad. Erst ein Stück geradeaus am Waldrand entlang. Dann bergauf. Es ist steil. Sie müssen schieben. Oben können sie weit ins Tal schauen. Da ist ein Kornfeld vor ihnen. Es bewegt sich im Wind wie ein goldenes Meer. Weiter hinten eine Wiese. Und ein Bach. Und Schafe, die sehen aus wie kleine weiße Wölkchen. Und der Himmel. Wie ein riesengroßes Zelt! Marie hält ihr Gesicht in den Wind. Schön kühl! Jannik sitzt auf einem Stein. Er redet leise vor sich hin. „Gott, wie sind deine Werke so groß und so viel“, hört Marie. „Du hast sie alle weise geordnet. Die Erde ist voll deiner Güter“. Jannik räuspert sich. Er holt Brot aus seinem Rucksack. Eine Flasche Wasser. Weintrauben. Jannik und Marie essen. „Was war das“, fragt Marie, als sie satt sind, „was du da vorhin gemurmelt hast?“ – „Ein Psalm“, sagt Jannik. „Ein altes Gebet. Das haben schon hunderttausend Menschen gebetet, wenn sie glücklich waren“. Marie sagt nichts. So ist das also, denkt sie, mit Jannik. Und mit Gott.
Kennt ihr das: Ihr freut euch über irgendwas und plötzlich fangt ihr an, ein Lied zu pfeifen. Oder ihr macht einen Luftsprung. Oder sagt „Danke“ zur Freundin oder dem Freund, falls es ein Geschenk war. Für Jannik ist es ein Geschenk, mit Marie Rad zu fahren. Die tolle Aussicht. Zusammen Essen und Trinken. Das alles hat Gott gemacht. So sieht Jannik das. Und so wie ihr vielleicht einen Luftsprung macht und wir Erwachsenen vielleicht einfach nur „Danke“ sagen, so betet Jannik seinen Psalm. Ich bin fröhlich, Gott. Das Schöne kommt von dir.
Wart ihr schon mal hinter dem Gemeindesaal in unserem Kirchgarten? Da wachsen Blumen in allen Farben. Bienen und Hummeln summen drum herum. Regenwürmer graben die Erde um. Käfer krabbeln. Sicher habt ihr auch schon unser rotbraunes Eichhörnchen Chrissi gesehen. Im Walnussbaum. Das sitzt es jetzt oft und futtert Nüsse.
Wenn wir uns Zeit lassen, uns das alles genau anzusehen, sind wir ganz nah bei Gott. Einfach nur, weil wir staunen. Egal ob wir beten oder nicht. Wir spüren: Ich habe es nicht selbst gemacht. Alles, was lebt, kommt von einem, der größer ist als ich. Er hat alles wunderbar gemacht. Auch mich. Manchmal vergessen wir das. Besonders wir Großen. Weil wir so viel zu tun haben. Oder weil wir denken, wir haben alles schon mal gesehen und erlebt. Uns kann nichts mehr überraschen. Schade eigentlich!
So richtig staunen können vor allem die Kinder. Gut, wenn wir Erwachsenen, wie Sylke, viel und gern mit euch zusammen sind! Eine kluge Frau, Dorothee Sölle, hat erzählt, was sie sich von ihrem Jungen abgeguckt hat1. Als er fünf war. Da hat der Junge gerade die Zahlen gelernt. Sie sind durch eine große Stadt gegangen. Köln. Die Autos hupten, die Ampeln blinkten und die Lastwagen brummten. Aber der Junge blieb einfach stehen. Vor einem Haus. Er stand ganz lange da und staunte. Weil er die Hausnummer über der Tür so schön fand. 537. Wunderbar!
Wer mit Kindern unterwegs ist, oder wer gern draußen ist, oder wer gern aus dem Fenster schaut, lernt das Staunen wieder neu. Einfach mal wieder das Gesicht in den Wind halten! Das Staunen ist wie ein Motor. Ein ganz leiser. Er treibt uns an, uns um das Lebendige zu kümmern. Zu schützen, was Gott uns geschenkt hat. Bäume und Blumen, Früchte und Tiere und Menschen. Die Kinder zuallererst. Wir dürfen das Leben richtig feiern. Und wir sollen die Freude mit anderen teilen. Jede, wie sie kann und mag. Denn so will es Gott. Amen.
1Nach: Dorothee Sölle, Mystik und Widerstand, 1997
zu Römer 10,9-17 von Charlotte Scheller Audio zum Nachhören unter diesem Beitrag
Liebe Schwestern und Brüder, das Herz ist ein seltsames Ding. Ein Muskel, faustgroß, der ruhig und weitgehend unbemerkt seine Arbeit verrichtet. Meinen Kreislauf mit Blut versorgt im sekundengenauen Rhythmus. Ich bemerke es nur, wenn es aus dem Takt kommt, wenn es zu schnell schlägt oder zu schwach, so dass ich mich unwohl fühle oder fürchte zu sterben. Ich bemerke, wenn es mich verrät, weil es mir bis zum Hals schlägt vor Aufregung, so dass ich glaube, mein Gegenüber müsste es hören. Wenn es schmerzt vor Sehnsucht. Wenn es bleischwer ist vor Trauer. Oder plötzlich stockt vor Schreck oder vor Glück – und dann, Hals über Kopf, unkontrolliert weitergaloppiert. Ich kann es auf der Zunge tragen, mein Herz. Es einem andern ausschütten, es weit öffnen und jemand hineinlassen. Oder es fest verschließen. Ich kann es sogar verlieren, mein Herz, und das ist vielleicht das Schönste von allem. Einem anderen Menschen Raum geben und Halt, mit ihm im selben Rhythmus gehen, die Gedanken mit ihm teilen, ihm meine Liebe schenken. Für ihn da sein und seine Aufmerksamkeit, seine Zeit in Anspruch nehmen. Seine Retterin sein. Oder mich von ihm retten lassen. Ihn tief in meinem Herzen halten, selbst wenn er körperlich nicht in meiner Nähe ist. Vielleicht trage ich mein Glück still in mir. Oder aber ich möchte die Welt umarmen und weitererzählen, wie froh ich bin. Wes das Herz voll ist, sagt ein Sprichwort, des geht der Mund über. Von Herz und Mund schreibt der Apostel Paulus im Römerbrief. Er schreibt von dem, was ihn so fröhlich macht, dass sein Herz überquillt und sein Mund nicht stillstehen kann:
Wenn du also mit deinem Mund bekennst: »Jesus ist der Herr!« und wenn du aus ganzem Herzen glaubst: »Gott hat ihn von den Toten auferweckt!«, dann wirst du gerettet werden. Denn aus dem Herzen kommt der Glaube, der gerecht macht. Und aus dem Mund kommt das Bekenntnis, das zur Rettung führt. So steht es ja in der Heiligen Schrift: »Wer an ihn glaubt, wird nicht zugrunde gehen.« Das gilt ohne Unterschied für Juden und Griechen. Alle haben ein und denselben Herrn. Und der lässt alle an seinem Reichtum teilhaben, die ihn anrufen. Denn es heißt ja auch: »Jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden.«
Aber wie kann man jemanden anrufen, an den man nicht glaubt? Oder wie kann man an jemandem glauben, von dem man nichts gehört hat? Und wie kann man von jemandem hören, wenn es keine Verkündigung von ihm gibt? Wie aber kann es eine Verkündigung geben, wenn niemand dazu ausgesandt wurde? –Gerade darüber steht ja in der Heiligen Schrift: »Willkommen sind die Boten, die Gutes verkünden!«
Aber nicht alle haben auf diese Gute Nachricht gehört. So fragt schon Jesaja: »Herr, wer hat unserer Botschaft geglaubt?« Also: Der Glaube kommt vom Hören auf die Botschaft. Die Botschaft aber wirkt durch den Auftrag, den Christus gegeben hat. (Römer 10,9-17 in der BasisBibel-Übersetzung)
Was macht Paulus derart fröhlich? Sein Herz ist voll. Er hat es geöffnet. Hat seinen Retter hereingelassen, hat sich an ihn gebunden und darin eine riesengroße Freiheit gefunden. Ich bin Gott recht, so wie ich bin! Nicht, weil ich alles richtig mache. Selbst wenn ich das wirklich schaffen würde, es wäre nicht der Grund. Gottes Gerechtigkeit geht anders. Ich bin ihm recht, weil er mich liebt. Er hat seinen Sohn geschickt, er ist selbst Mensch geworden, um mir nah zu sein. Er will mit mir im selben Rhythmus gehen. Meine Gedanken teilen. Meine Sehnsucht, meine Angst, meine Schmerzen, sogar den Tod. Gott hat ihn von den Toten auferweckt! Damit ist nichts endgültig. Weder das, was mir gelungen ist, noch meine Fehler und mein Versagen. Nicht meine Sehnsucht, meine Einsamkeit, meine Trauer. Auch wenn ich es mir nicht vorstellen kann: All das ist vorübergehend. Gott hat in Jesus dem Tod ein Ende gesetzt. Uns erwartet Leben!
Wenn du mit deinem Mund bekennst und aus ganzem Herzen glaubst, dann wirst du gerettet werden. Das Bekenntnis, das von Herzen kommt, bringt die Rettung: Jesus ist der Herr. Und: Gott hat ihn von den Toten auferweckt. Eine einfache Gleichung: Herz und Mund gleich Rettung. So steht es schon in der Schrift. Paulus liest die Heilige Schrift Israels auf Griechisch und entdeckt Christus darin (Jesaja 28,16): Wer an ihn glaubt, wird nicht zugrunde gehen. Und das Wunderbare ist: Diese Ansage gilt allen. Juden und Griechinnen. Oder, wie er an anderer Stelle sagt, Sklaven und Freien, Frauen und Männern. Ohne Ansehen der Person. Die Herkunft, der soziale Status, das Geschlecht sind nicht entscheidend. Bloß der Glaube. Aus ihm kommt das Bekenntnis: Christus ist der Herr. Kyrios Jesus.
Die Welt kennt viele Herren zu Paulus‘ Zeiten. Genau wie unsere Welt heute. Damals wie heute gibt es verantwortungsbewusste Regierungen. Und Herrschende, die den Erhalt ihrer Macht und ihres Reichtums über das Wohl ihrer Schutzbefohlenen stellen. Kaiser Domitian verlangte als „Dominus ac Deus noster“ angeredet zu werden. „Unser Herr und Gott“. Die Christen nennen Jesus den König der Könige und Herrn der Herren (Offenbarung 19,16). „Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes“, bekennen Christen 1934 in der Barmer Theologischen Erklärung, zutiefst besorgt darüber, dass viele Zeitgenossen Hitler und seine Politik als Gottesgeschenk ansahen. Mit ihrem Bekenntnis haben sie andere zum Widerstand ermutigt. Wenige wagten es, Christus als ihrem Herrn treu zu bleiben und in ihm dem Gott, der sich jedem Menschen liebevoll zuwendet. Unter ihnen junge Menschen, Mitglieder von Schüler-Bibelkreisen. Sie trafen sich regelmäßig zum Gebet. Den Herrn anzurufen, half ihnen, ihn im Herzen zu halten. Gerade jetzt, da andere Herren in allen Lebensbereichen die Macht beanspruchten.
Jesus ist der Herr. Er ist das lebendige Wort Gottes. Mit seinen Worten und seinem Handeln hat er klar gemacht: Gottes Liebe gilt allen Menschen. Er schließt keinen aus. Er lässt alle an seinem Reichtum teilhaben. Paulus‘ Herz ist voll, sein Mund geht über, seine Worte kommen auch zu uns. Wir können teilhaben an diesem Reichtum. Wir brauchen nur anzurufen. Anders als am Telefon mancher Firma oder Praxis, landen wir nicht in der Warteschleife, unsicher, ob wir überhaupt an der richtigen Adresse sind. Wir erreichen unseren Herrn sofort. Er hört uns, wenn wir ihm fröhlich unseren Dank sagen oder ihm stumm unser Leid klagen. Er kennt es, er hat selbst geliebt und gelitten. Er ist nicht anonym. Er heißt Jesus Christus. Immanuel, Gott ist mit uns. Wenn wir seinen Namen anrufen, sind wir schon gerettet. Weil sein Name Liebe bedeutet. Und seine Herrschaft das Aufstehen von den Toten.
Aber wie soll man jemanden anrufen, an den man nicht glaubt? Oder an jemanden glauben, von dem man nichts gehört hat? Die Frage ist naheliegend. Paulus stellt sie selbst und antwortet gleich: Unmöglich. Gott hat seinen Sohn geschickt. Er hat seine Boten gesandt. Sie haben die Botschaft weitergesagt. Bis an die Enden der Erde. Jesus ist Herr, Gott hat ihn von den Toten auferweckt! Wer es gehört hat, muss es weitersagen.
„Verkünden“, nennt Paulus das. Die ungeheure, die befreiende und fröhlich machende Botschaft von Christus verbreiten. Weil dir, wenn du sie in dein Herz lässt, der Mund übergehen wird. Weil du dann gar nicht mehr anders kannst als Christus den Bestimmer sein zu lassen über dein Leben. Aber. Wenn, dann. Das Herz ist ein seltsames Ding. In Liebesdingen genauso wie in Glaubenssachen. Manchmal steht es weit offen. Dann wieder sperrt es sich. Vielleicht hat es schlechte Erfahrungen gemacht mit Vertrauen und will sich vor neuem Schmerz schützen. Oder der Verstand sucht nach Beweisen und findet keine. Nicht alle, muss Paulus zugeben, haben auf die Gute Nachricht gehört. Schon der Prophet Jesaja hat sich beklagt: Herr, wer hat unserer Botschaft geglaubt? Und selbst wenn ich glaube: Da ist diese Scheu, es jedem, egal in welcher Situation, zu erzählen. Weil ich den Spott der anderen fürchte. Oder weil ich spüre: Mein Gegenüber kann jetzt nicht hören. Dann tut es vielleicht Not, dass wir einfach nur zuhören. Wir können sogar, wie es der kluge König Salomo machte, Gott um ein hörendes Herz bitten.
Wir müssen niemanden zum Glauben überreden. Aber erzählen, was uns Mut macht und was uns zusammenhält als Gemeinde in all unserer schönen, schwierigen Verschiedenheit, das sollen wir schon. Wir sollen uns auch nicht zu sehr grämen, wenn jemand antwortet: Ich kann nicht glauben. Wir haben es nicht in der Hand. Es ist Gottes Geschenk. Wir können ihn bloß darum bitten in Jesu Namen.
Der Theologe Christian Grethlein hat vor einigen Wochen gesagt, das Wort „Verkündigung“ passe nicht mehr in unsere Zeit. Der Herold des Kaisers tat das, sagte er. Zu Paulus‘ Zeiten verkündete der Herold mit Trompetenschall, wer der Herr war und das Sagen hatte. Heute sollten wir es anders machen. Sollten in alltäglichen Worten und Taten vom Glauben erzählen. So, wie wir sonst auch im Kontakt sind mit unseren Mitmenschen.
Er hat recht, finde ich. Auf viele Arten können wir es weitersagen. Jeder und jede von uns. Vielleicht können wir für jemanden die Stimme erheben, der verstummt ist. Oder laut werden wie die jungen und alten Leute, die am Freitag für den Erhalt unserer Schöpfung auf den Straßen waren. Wir können da sein, wenn jemand uns anruft. Ans Telefon gehen, unseren Namen sagen und: Ich hör dir zu. Du bist mir wichtig. Gott behüte dich. Auch ein hörendes Herz kann Christus verkünden. Ohne Trompetenschall. Den Herrn, der sich erniedrigt hat, um den Kleinsten nah zu sein, den Einsamen und denen, die keine Stimme haben. Der den Tod eines Menschen gestorben ist. Gott hat ihn auferweckt von den Toten, damit wir es hören und weitersagen: Er ist der Herr. Am Ende ist Leben. Amen.
Wir ermahnen euch aber, Brüder und Schwestern: Weist die Nachlässigen zurecht, tröstet die Kleinmütigen, tragt die Schwachen, seid geduldig mit jedermann. Seht zu, dass keiner dem andern Böses mit Bösem vergelte, sondern jagt allezeit dem Guten nach, füreinander und für jedermann. Seid allezeit fröhlich, betet ohne Unterlass, seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus für euch. Den Geist löscht nicht aus. Prophetische Rede verachtet nicht. Prüft aber alles und das Gute behaltet. Meidet das Böse in jeder Gestalt. Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für das Kommen unseres Herrn Jesus Christus. Treu ist er, der euch ruft; er wird's auch tun.
Fahr vorsichtig, hörst du? Nicht schneller als 130. Mach eine Pause, rechtzeitig. Hast du was zu trinken dabei? Eine Maske? Ruf mich an, wenn du da bist! Grüß die Freunde von mir. Habt eine schöne Zeit. Er nimmt sie in den Arm. Gott behüte und beschütze dich, murmelt er, bevor er ins Haus zurückgeht.
Die da abreist, mag ein wenig seufzen ob der Ermahnungen zum Abschied. Aber sie tut es mit einem Lächeln im Gesicht und einem warmen Gefühl im Bauch. Der sie so ermahnt, tut es, weil er sie liebt. Er lässt sie gehen, begleitet von seinem Gebet. Er will, dass sie auf sich aufpasst, weil sie ihm wichtig ist.
Auf sich aufpassen sollen auch die Freunde von Paulus in Thessaloniki. Die Gemeinde in der griechischen Hafenstadt liegt ihm am Herzen. Sie ist entstanden, weil er hier das Evangelium weitergesagt hat. Die gute Botschaft von Christus. Er hat bald nach der Gründung weiterreisen müssen. Er macht sich Gedanken, wie es ihnen geht als Glaubens-Anfängerinnen. Ob sie Jesus die Treue gehalten haben auch ohne seine Ermutigung. Von seinem Freund Timotheus bekommt er gute Nachrichten. Sie sind Christen geblieben, ihr Glaube ist stärker geworden. Paulus schreibt ihnen, ganz erfüllt von Dankbarkeit. Er beantwortet auch einige Fragen, die Timotheus ihm aus der jungen Gemeinde übermittelt hat. Andere Fragen als unsere. Und auch wieder nicht. Es sind unübersichtliche Zeiten damals wie heute. Das Christentum ist damals im Begriff, sich auszubreiten, über das Heilige Land hinaus, in die ganze bekannte Welt hinein. Wie soll man als Christin leben inmitten der Vielfalt an Religionen und Lebensweisen, wie verantwortlich handeln angesichts der Herausforderungen auch unserer Tage? Der Brief-Abschnitt, den wir heute gelesen haben, steht auf den letzten Seiten, die Paulus den Thessalonichern schickt. Ermahnungen und Grüße zum Abschied.
Passt gut auf euch auf, mahnt Paulus. Auf euren Körper, eure Seele. Achtet auf euch als ganzen Menschen. Achtet aufeinander. Sagt euren Mitmenschen offen, wie ihr die Dinge seht. Wie Geschwister es tun oder beste Freundinnen. Ihr seid Teil einer großen Familie. Habt Verständnis für die Ängstlichen unter euch. Tragt die Schwachen mit. Setzt dem Bösen Gutes entgegen.
Passt auf euch auf, mahnt Paulus. Und aufeinander. Damit ihr gut ankommt auf der Lebensreise. Beim Autofahren muss man Pausen einlegen. Essen, trinken, sich die Beine vertreten, ausruhen. Wenn ein Virus umgeht, muss man sich schützen. So sollen Christinnen Körper und Seele und den ganzen Menschen vor dem Bösen schützen. Sich selbst und die Mitmenschen. Paulus sagt auch, was der Proviant ist, mit dem wir uns stärken können: Gottes Treue, für uns lebendig geworden in Jesus Christus. Seid allezeit fröhlich, betet ohne Unterlass, seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus für euch. Gottes guter Wille für uns ist Wegweiser und Proviant.
Wen fragen wir, wenn wir eine Entscheidung treffen müssen, die das Leben verändert? Mit wem redet die Abiturientin, die sich noch nicht entschieden hat für Ausbildung oder Studium, die gern mitgegangen wäre, als der beste Freund ins Ausland ging? Sie hat sich erstmal einen Job gesucht. Bleibt zu Hause wohnen, weil sie die Jüngste ist und die Mutter nicht allein lassen will. Die ist krank und braucht Zeit, um sich zu orientieren jetzt, wo die Tochter groß ist.
Mit wem redet der Mann, der erschöpft ist nach zehn Jahren Krankenpflege, seine Knochen fühlen sich an, als ob er hundert wäre? Er möchte sich neu orientieren, ambulante Pflege vielleicht, er ist nicht sicher. In diesem Sommer ist er nach Bonn gereist. Hat mit einer christlichen Organisation im Ahrtal geholfen. Ist von Tür zu Tür gegangen und hat gefragt, welche Hilfe benötigt wird. Hat die Spendenkisten vom Laster abgeladen. Hat giftigen Schlamm mit Handschuhen und Mundschutz von den Hauswänden gekratzt. Er hat Trauer miterlebt und furchtbare Not und große Dankbarkeit. Den Zusammenhalt unter Nachbarn. Den Mut der Hilfskräfte. Das Glück einer überraschenden Begegnung. Jeden Morgen und jeden Abend trifft sich das zusammengewürfelte Team. Ein Bibelwort. Musik. Ein Gebet. Sie wissen nicht, was an diesem Tag auf sie zukommt. Sie wissen bloß, alleine schaffen wir es nicht. Treu ist er, der euch ruft; er wird's auch tun.
Pass auf dich auf. Gott behüte und beschütze dich. Ich hab dich nämlich lieb. Oder wie Paulus sagt: Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für das Kommen unseres Herrn Jesus Christus. Wie die Frau auf die Reise geht, von den Ermahnungen ihres Gefährten umhüllt, so sollen auch die Freundinnen in der Gemeinde unterwegs sein. Bewahrt und umhüllt von Gottes Frieden. In Jesus ist er für uns lebendig geworden. Ein Mensch, ganz mit Gott verbunden, der alles tut für seine Freunde. Der sich selbst verschenkt. Der uns mit hineinzieht in Gottes Güte und Liebe. Wenn sie Gestalt annehmen soll in unserem Leben, brauchen wir offene Gespräche. Ermutigende und wegweisende Briefe. Raststätten und Pausen auf der Lebensreise. Worte und Lieder und Menschen, die uns an Gottes Treue erinnern.
Nehmen wir uns einige Minuten, um Rast zu machen. Lassen wir in der Stille die Gedanken kommen und gehen. Wer mag, kann den folgenden Fragen nachgehen:
Wofür möchte ich heute danken?
Für wen möchte ich auf mich aufpassen?
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird eure Herzen und Sinne in Christus Jesus bewahren. Amen.