zu Römer 10,9-17 von Charlotte Scheller
Audio zum Nachhören unter diesem Beitrag
Audio zum Nachhören unter diesem Beitrag
Liebe Schwestern und Brüder, das Herz ist ein seltsames Ding. Ein Muskel, faustgroß, der ruhig und weitgehend unbemerkt seine Arbeit verrichtet. Meinen Kreislauf mit Blut versorgt im sekundengenauen Rhythmus. Ich bemerke es nur, wenn es aus dem Takt kommt, wenn es zu schnell schlägt oder zu schwach, so dass ich mich unwohl fühle oder fürchte zu sterben. Ich bemerke, wenn es mich verrät, weil es mir bis zum Hals schlägt vor Aufregung, so dass ich glaube, mein Gegenüber müsste es hören. Wenn es schmerzt vor Sehnsucht. Wenn es bleischwer ist vor Trauer. Oder plötzlich stockt vor Schreck oder vor Glück – und dann, Hals über Kopf, unkontrolliert weitergaloppiert. Ich kann es auf der Zunge tragen, mein Herz. Es einem andern ausschütten, es weit öffnen und jemand hineinlassen. Oder es fest verschließen. Ich kann es sogar verlieren, mein Herz, und das ist vielleicht das Schönste von allem. Einem anderen Menschen Raum geben und Halt, mit ihm im selben Rhythmus gehen, die Gedanken mit ihm teilen, ihm meine Liebe schenken. Für ihn da sein und seine Aufmerksamkeit, seine Zeit in Anspruch nehmen. Seine Retterin sein. Oder mich von ihm retten lassen. Ihn tief in meinem Herzen halten, selbst wenn er körperlich nicht in meiner Nähe ist. Vielleicht trage ich mein Glück still in mir. Oder aber ich möchte die Welt umarmen und weitererzählen, wie froh ich bin. Wes das Herz voll ist, sagt ein Sprichwort, des geht der Mund über. Von Herz und Mund schreibt der Apostel Paulus im Römerbrief. Er schreibt von dem, was ihn so fröhlich macht, dass sein Herz überquillt und sein Mund nicht stillstehen kann:
Wenn du also mit deinem Mund bekennst: »Jesus ist der Herr!« und wenn du aus ganzem Herzen glaubst: »Gott hat ihn von den Toten auferweckt!«, dann wirst du gerettet werden. Denn aus dem Herzen kommt der Glaube, der gerecht macht. Und aus dem Mund kommt das Bekenntnis, das zur Rettung führt. So steht es ja in der Heiligen Schrift: »Wer an ihn glaubt, wird nicht zugrunde gehen.« Das gilt ohne Unterschied für Juden und Griechen. Alle haben ein und denselben Herrn. Und der lässt alle an seinem Reichtum teilhaben, die ihn anrufen. Denn es heißt ja auch: »Jeder, der den Namen des Herrn anruft, wird gerettet werden.«
Aber wie kann man jemanden anrufen, an den man nicht glaubt? Oder wie kann man an jemandem glauben, von dem man nichts gehört hat? Und wie kann man von jemandem hören, wenn es keine Verkündigung von ihm gibt? Wie aber kann es eine Verkündigung geben, wenn niemand dazu ausgesandt wurde? –Gerade darüber steht ja in der Heiligen Schrift: »Willkommen sind die Boten, die Gutes verkünden!«
Aber nicht alle haben auf diese Gute Nachricht gehört. So fragt schon Jesaja: »Herr, wer hat unserer Botschaft geglaubt?« Also: Der Glaube kommt vom Hören auf die Botschaft. Die Botschaft aber wirkt durch den Auftrag, den Christus gegeben hat. (Römer 10,9-17 in der BasisBibel-Übersetzung)
Was macht Paulus derart fröhlich? Sein Herz ist voll. Er hat es geöffnet. Hat seinen Retter hereingelassen, hat sich an ihn gebunden und darin eine riesengroße Freiheit gefunden. Ich bin Gott recht, so wie ich bin! Nicht, weil ich alles richtig mache. Selbst wenn ich das wirklich schaffen würde, es wäre nicht der Grund. Gottes Gerechtigkeit geht anders. Ich bin ihm recht, weil er mich liebt. Er hat seinen Sohn geschickt, er ist selbst Mensch geworden, um mir nah zu sein. Er will mit mir im selben Rhythmus gehen. Meine Gedanken teilen. Meine Sehnsucht, meine Angst, meine Schmerzen, sogar den Tod. Gott hat ihn von den Toten auferweckt! Damit ist nichts endgültig. Weder das, was mir gelungen ist, noch meine Fehler und mein Versagen. Nicht meine Sehnsucht, meine Einsamkeit, meine Trauer. Auch wenn ich es mir nicht vorstellen kann: All das ist vorübergehend. Gott hat in Jesus dem Tod ein Ende gesetzt. Uns erwartet Leben!
Wenn du mit deinem Mund bekennst und aus ganzem Herzen glaubst, dann wirst du gerettet werden. Das Bekenntnis, das von Herzen kommt, bringt die Rettung: Jesus ist der Herr. Und: Gott hat ihn von den Toten auferweckt. Eine einfache Gleichung: Herz und Mund gleich Rettung. So steht es schon in der Schrift. Paulus liest die Heilige Schrift Israels auf Griechisch und entdeckt Christus darin (Jesaja 28,16): Wer an ihn glaubt, wird nicht zugrunde gehen. Und das Wunderbare ist: Diese Ansage gilt allen. Juden und Griechinnen. Oder, wie er an anderer Stelle sagt, Sklaven und Freien, Frauen und Männern. Ohne Ansehen der Person. Die Herkunft, der soziale Status, das Geschlecht sind nicht entscheidend. Bloß der Glaube. Aus ihm kommt das Bekenntnis: Christus ist der Herr. Kyrios Jesus.
Die Welt kennt viele Herren zu Paulus‘ Zeiten. Genau wie unsere Welt heute. Damals wie heute gibt es verantwortungsbewusste Regierungen. Und Herrschende, die den Erhalt ihrer Macht und ihres Reichtums über das Wohl ihrer Schutzbefohlenen stellen. Kaiser Domitian verlangte als „Dominus ac Deus noster“ angeredet zu werden. „Unser Herr und Gott“. Die Christen nennen Jesus den König der Könige und Herrn der Herren (Offenbarung 19,16). „Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes“, bekennen Christen 1934 in der Barmer Theologischen Erklärung, zutiefst besorgt darüber, dass viele Zeitgenossen Hitler und seine Politik als Gottesgeschenk ansahen. Mit ihrem Bekenntnis haben sie andere zum Widerstand ermutigt. Wenige wagten es, Christus als ihrem Herrn treu zu bleiben und in ihm dem Gott, der sich jedem Menschen liebevoll zuwendet. Unter ihnen junge Menschen, Mitglieder von Schüler-Bibelkreisen. Sie trafen sich regelmäßig zum Gebet. Den Herrn anzurufen, half ihnen, ihn im Herzen zu halten. Gerade jetzt, da andere Herren in allen Lebensbereichen die Macht beanspruchten.
Jesus ist der Herr. Er ist das lebendige Wort Gottes. Mit seinen Worten und seinem Handeln hat er klar gemacht: Gottes Liebe gilt allen Menschen. Er schließt keinen aus. Er lässt alle an seinem Reichtum teilhaben. Paulus‘ Herz ist voll, sein Mund geht über, seine Worte kommen auch zu uns. Wir können teilhaben an diesem Reichtum. Wir brauchen nur anzurufen. Anders als am Telefon mancher Firma oder Praxis, landen wir nicht in der Warteschleife, unsicher, ob wir überhaupt an der richtigen Adresse sind. Wir erreichen unseren Herrn sofort. Er hört uns, wenn wir ihm fröhlich unseren Dank sagen oder ihm stumm unser Leid klagen. Er kennt es, er hat selbst geliebt und gelitten. Er ist nicht anonym. Er heißt Jesus Christus. Immanuel, Gott ist mit uns. Wenn wir seinen Namen anrufen, sind wir schon gerettet. Weil sein Name Liebe bedeutet. Und seine Herrschaft das Aufstehen von den Toten.
Aber wie soll man jemanden anrufen, an den man nicht glaubt? Oder an jemanden glauben, von dem man nichts gehört hat? Die Frage ist naheliegend. Paulus stellt sie selbst und antwortet gleich: Unmöglich. Gott hat seinen Sohn geschickt. Er hat seine Boten gesandt. Sie haben die Botschaft weitergesagt. Bis an die Enden der Erde. Jesus ist Herr, Gott hat ihn von den Toten auferweckt! Wer es gehört hat, muss es weitersagen.
„Verkünden“, nennt Paulus das. Die ungeheure, die befreiende und fröhlich machende Botschaft von Christus verbreiten. Weil dir, wenn du sie in dein Herz lässt, der Mund übergehen wird. Weil du dann gar nicht mehr anders kannst als Christus den Bestimmer sein zu lassen über dein Leben. Aber. Wenn, dann. Das Herz ist ein seltsames Ding. In Liebesdingen genauso wie in Glaubenssachen. Manchmal steht es weit offen. Dann wieder sperrt es sich. Vielleicht hat es schlechte Erfahrungen gemacht mit Vertrauen und will sich vor neuem Schmerz schützen. Oder der Verstand sucht nach Beweisen und findet keine. Nicht alle, muss Paulus zugeben, haben auf die Gute Nachricht gehört. Schon der Prophet Jesaja hat sich beklagt: Herr, wer hat unserer Botschaft geglaubt? Und selbst wenn ich glaube: Da ist diese Scheu, es jedem, egal in welcher Situation, zu erzählen. Weil ich den Spott der anderen fürchte. Oder weil ich spüre: Mein Gegenüber kann jetzt nicht hören. Dann tut es vielleicht Not, dass wir einfach nur zuhören. Wir können sogar, wie es der kluge König Salomo machte, Gott um ein hörendes Herz bitten.
Wir müssen niemanden zum Glauben überreden. Aber erzählen, was uns Mut macht und was uns zusammenhält als Gemeinde in all unserer schönen, schwierigen Verschiedenheit, das sollen wir schon. Wir sollen uns auch nicht zu sehr grämen, wenn jemand antwortet: Ich kann nicht glauben. Wir haben es nicht in der Hand. Es ist Gottes Geschenk. Wir können ihn bloß darum bitten in Jesu Namen.
Der Theologe Christian Grethlein hat vor einigen Wochen gesagt, das Wort „Verkündigung“ passe nicht mehr in unsere Zeit. Der Herold des Kaisers tat das, sagte er. Zu Paulus‘ Zeiten verkündete der Herold mit Trompetenschall, wer der Herr war und das Sagen hatte. Heute sollten wir es anders machen. Sollten in alltäglichen Worten und Taten vom Glauben erzählen. So, wie wir sonst auch im Kontakt sind mit unseren Mitmenschen.
Er hat recht, finde ich. Auf viele Arten können wir es weitersagen. Jeder und jede von uns. Vielleicht können wir für jemanden die Stimme erheben, der verstummt ist. Oder laut werden wie die jungen und alten Leute, die am Freitag für den Erhalt unserer Schöpfung auf den Straßen waren. Wir können da sein, wenn jemand uns anruft. Ans Telefon gehen, unseren Namen sagen und: Ich hör dir zu. Du bist mir wichtig. Gott behüte dich. Auch ein hörendes Herz kann Christus verkünden. Ohne Trompetenschall. Den Herrn, der sich erniedrigt hat, um den Kleinsten nah zu sein, den Einsamen und denen, die keine Stimme haben. Der den Tod eines Menschen gestorben ist. Gott hat ihn auferweckt von den Toten, damit wir es hören und weitersagen: Er ist der Herr. Am Ende ist Leben. Amen.