Jetzt war ich schon zweimal unterwegs, um die "Post von Christophorus" zum Wochenende mit auszuteilen. Beide Mal mit meinem Fahrrad. Das war wirklich toll: Zu sehen, wo Sie so wohnen, Schleichwege durchs Gemeindegebiet zu entdecken und mit dem ein oder anderen auch persönlich zu reden. Ich freue mich auf ein Wiedersehen! Ihre Anne Dill
(Zum Hören im mp3-Format weiter unten auf dieser Seite)
Sonntag Judika, 29.3.2020: Dialog zu Hebr 13,12-14 von Anne Dill und Charlotte Scheller
CS: Ein schöner Herbsttag. Ein Straßencafé in der Weender Straße. Ich habe den letzten freien Tisch ergattert. Kinder rennen hinter Seifenblasen her. Der Didgeridoo-Mann spielt seine rhythmische Musik. Paare gehen Hand in Hand. Freunde umarmen einander. Ich halte mein Gesicht in die Septembersonne. Genieße meinen Café Crème. „Ist hier noch frei?“, fragt jemand. „Klar!“ Ich nehme den Rucksack vom Stuhl neben mir.
Zu einer „Re-Gnose“ hat der Zukunftsforscher Matthias Horx eingeladen*. Eine Art Blick zurück aus der Zukunft. Wie wird es sein, wenn die Corona-Krise vorbei ist, fragt er, „sagen wir im September 2020? (…) Schmeckt der Wein, der Cocktail, der Kaffee wieder wie früher? Wie damals vor Corona? Oder sogar besser?“ Wir werden uns wundern, meint Herr Horx. Wie einem, der gefastet hat, das Essen besonders gut schmeckt, so wird uns das Leben nach der tiefen Krise besonders schmecken. Die körperliche Distanz, zu der das Virus uns zwang, hat neue Nähe gebracht. „Wir haben Menschen kennengelernt, die wir sonst nie kennengelernt hätten. Familien, Nachbarn, Freunde sind näher gerückt“. Es gibt historische Momente, meint Horx, in denen die Zukunft ihre Richtung ändert. Und so ein Moment ist jetzt.
Auch den Predigttext für heute kann man als „Re-Gnose“ verstehen. Der Hebräerbrief hat seine eigene Art, zurück in die Zukunft zu schauen. Er blickt auf das Schreckliche, das Jesus durchgemacht hat. Und auf die kommende Welt, die sich dadurch komplett geändert hat.
Hebräer 13,12-14: Darum hat auch Jesus, (damit er das Volk heilige durch sein eigenes Blut), gelitten draußen vor dem Tor. So lasst uns nun zu ihm hinausgehen vor das Lager und seine Schmach tragen. Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.
AD: „Draußen vor dem Tor“: Da ist Einsamkeit. Man gehört nicht dazu. Ist nicht geborgen in den schützenden Mauern der Stadt. Sondern auf sich gestellt. Ausgeliefert.
Und da ist vielleicht auch Freiheit. Keine Vorgaben und Begrenzungen durch Mauern und Absperrungen. Da ist egal, wie ich mich gebe. Alles ist weit und ich kann sein wie ich bin, muss mich nicht verstellen.
Vielleicht begegne ich draußen vor dem Tor denselben Menschen anders als innen in der Stadt: Eine Mitarbeiterin in der Kanzlei unter mir und ich hatten einen schwierigen Start. Am Tag meines Einzugs hatten wir uns schon verkracht und dabei ist es geblieben. Zwar grüßen wir uns, aber das ist auch alles.
Jetzt haben wir uns vor der Haustür am Briefkasten getroffen. Gleich zweimal „draußen vor dem Tor“: Einmal, weil wir uns außerhalb des schützenden Hauses treffen, und einmal, weil in dieser Zeit wegfällt, was uns Halt gibt.
Ich lasse ihr den Vortritt, warte im Sicherheitsabstand, bis sie ihr Fach geleert hat. Und sie dreht sich auf einmal um und lächelt mich an. Zum allerersten Mal. Wir wechseln ein paar Worte. Wie verrückt diese Zeit ist. Wie verunsichert wir sind. Dass wir gerne wieder drin wären in den schützenden Mauern des Alltags.
Eine Begegnung, die nur draußen möglich war, vor dem Tor.
CS: „So lasst uns nun zu ihm hinausgehen vor das Lager und seine Schmach tragen“. Nach draußen vors Tor gehen – vielleicht heißt das, den Schutz loslassen und die Sicherheit von Routine und Alltag. Auch, wenn es da wirklich einsam sein kann. Wenn Richtungswegweiser fehlen. Wenn nichts klar ist. Außer, dass Jesus da auch war.
Vor den Toren ist nichts klar. Nur, dass es nichts Bleibendes gibt. Ausgerechnet im Shutdown, im Stillstand spüre ich, wie schnell sich alles ändern kann. All das, was mein Zuhause-Sein in dieser Welt ausmacht. Die Gewohnheiten, die meinen Tag ordnen. Die Menschen, für die ich da sein möchte und die es mit mir aushalten. Die Stadt mit ihren belebten Straßen und ruhigen Plätzen. Die Hügel und der Wald drum herum.
Der Hebräerbrief -Schreiber sieht es realistisch.„Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir“. Nichts hat Bestand. Außer, was in der Zukunft liegt. Immer suchen wir etwas in der Zukunft. Wenn ich erst Urlaub habe, Zeit zum Aufräumen, mich beruflich etabliert habe, die Kinder groß gekriegt .... und jetzt: wenn erst die Corona-Krise vorbei ist.
AD: Wir suchen zwar immer in der Zukunft, aber die ganz zukünftige Stadt im Himmel suchen wir nicht. Ich bin glücklich hier. Vielleicht denke und plane ich weiter: Bis zum Examen, bis ich eine eigene Familie habe oder 40 bin oder was auch immer, aber weiter geht die Planung nicht. Ich hab mich gut hier eingerichtet auf der Erde. An den Himmel denke ich nur, wenn ich an Verstorbene denke. Dass sie da warten und wir uns eines Tages wiedersehen. Aber ich suche das nicht.
Gott ist für mich hier auf der Erde. Eben „draußen vor dem Tor“. Dietrich Bonhoeffer meinte mal , wir können nur Christen sein hier mitten in der Welt. Mit allem, was dazugehört, mit Freude und Spaß und mit Not und Trauer. Alles andere wäre nur ein schlechter Trost, eine Vertröstung. Und das wäre unehrlich.
CS: Vertrösten lassen werden wir uns nicht. Aber in die Zukunft schauen müssen wir doch. Ich komme nochmal auf Matthias Horx. Den Forscher. Er sagt: „Wir setzen uns innerlich mit der Zukunft in Verbindung und dadurch entsteht eine Brücke zwischen Heute und Morgen“. Die Grenzen sind dicht, aber wir finden neue Wege, in Kontakt zu bleiben und die Welt zusammen zu halten. Auch der Hebräerbrief baut eine Brücke zwischen Heute und Morgen. Er zeigt, wo es langgeht mit uns Christenmenschen. Was wir beizutragen haben zur kommenden Welt. Wir suchen die zukünftige Stadt. Das bedeutet, wir orientieren uns an der Stadt Gottes. Ein Ort, an dem Gott wirklich sichtbar ist. Da werden die Tränen getrocknet. Schulden werden erlassen und Waffen umgeschmiedet. Die Frommen sitzen mit den Zweiflerinnen am Tisch und feiern das Leben. Gott wohnt unter den Menschen. Die Zukunft hat die Richtung geändert. Sie wirkt in unsere Gegenwart hinein.
AD: „So lasst uns nun zu ihm hinausgehen vor das Lager“. In diesen Tagen müssen wir die Sicherheit von Routine und Alltag loslassen. Es kann wirklich einsam sein draußen vor dem Tor. Aber der Richtungswegweiser ist da. Jesus. In einem Lied oder Gebet von Otmar Schulz heißt es:
Stirbst draußen vor dem Tor, stirbst mitten in der Welt.
Im Leiden lebst du vor, was wirklich trägt und hält.
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Gedanken beim Glockenläuten oder jederzeit am Tag (Mittwoch, 25. März 2020)
„Gelobt sei Gott, der Vater allen Trostes, der uns tröstet in aller unsrer Bedrängnis, damit auch wir trösten können mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden“, schreibt Paulus im zweiten Brief an die Korinther.
Anne Dill:
So fing letzten Sonntag die Epistel an. Ich habe mir vorgenommen, mit diesem Vers durch die Woche zu gehen. Ich will darauf achten, wo ich diesen Trost spüren kann. Abends erinnere ich mich immer zurück an das, was an dem Tag war. Zumindest an den letzten drei Tagen ist mir immer etwas eingefallen. Eigentlich waren es nur ganz kleine Sachen. „Hey, geht‘s dir gut“, hat mir mein Bruder bei What’sApp geschrieben. Er wollte mir nur kurz zeigen, dass er an mich denkt, und ich hab mich gefreut. Ich wusste, ich bin nicht allein, wir sind verbunden auch über die Entfernung hinweg.
Charlotte Scheller:
Ich denke an ein Schälchen Erdbeeren. Es erinnert mich an einen Nachbarn. Er wusste, dass ich Kummer habe. Er rief mich an: „Komm rüber, ich habe Erdbeeren gekauft.“ Ich dachte, ich kriege keinen Bissen runter. Er sagte: „Jetzt wird gegessen“. Ich musste nichts sagen. Er war mir nah. Seither schmecken Erdbeeren für mich tröstlich.
Anne Dill:
„Damit auch wir trösten können mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden“. Eigentlich gar nicht schwer. Ich schreibe auch einer Freundin: „Wie geht’s dir? Ich denke an dich!“ Kann ihr etwas weiterschenken von dem Trost, den ich bekomme. Dabei muss ich gar nicht selbst völlig getröstet sein. Ich werde weiter getröstet von den anderen oder von Gott durch die anderen.
Charlotte Scheller:
Als ich einmal sehr krank war, kam eine Freundin zu mir. Sie brachte mir eine Karte, auf der stand: Ich verstehe Gott gerade nicht. Auf der Vorderseite war eine Ikone. Ein altes Bild, Christus mit ausgebreiteten Armen. Es hat, solange ich krank war, auf meinem Nachttisch gestanden. Wenn es mir sehr schlecht ging, habe ich es angesehen und gesagt: Christus, du trägst das jetzt mit mir. Meine Freundin war so ehrlich zuzugeben, sie versteht Gott gerade nicht. Trotzdem hat Gott sie gebraucht, um mir Trost zu bringen.
Anne Dill:
Ich gehe in die Apotheke, um für jemand anderen ein Rezept einzulösen. Es sind starke Medikamente. Mein Herz ist schwer. Die Apothekerin, ich kenne sie nur vom Sehen, schiebt mir die Medizin über den Tresen, sieht mich liebevoll an und sagt: Ich wünsche Ihnen trotzdem einen guten Abend.
Ich möchte aufmerksam durch diese Tage gehen und über die tröstenden Momente nicht hinweggucken. Vielleicht tröstet Gott ja genau da!