zu Jesaja 52,13-53,12 (gehalten in der Klosterkirche Nikolausberg) Fürwahr, er trug unsre Krankheit und lud auf sich unsre Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt (Jesaja 53,4-5).
Auf Abstand
Abendbrot. Seit sie den Kindern von ihrer Krankheit erzählt haben, sitzt der Junge auf einem anderen Platz. Es ist nicht ansteckend, hat die Mutter erklärt. Es wird schwer, es wird ihr manchmal schlecht gehen, sie wird schwach sein lange Zeit, aber zusammen schaffen sie das. Die Geschwister haben nachgefragt. Er nicht. Er ist auf Abstand gegangen, als ob der Stuhl, der jetzt frei bleibt zwischen ihnen, ihn schützen könnte vor der Gefahr, in der sie schwebt. Die ihrer aller Leben bedroht. Einmal, nach der Schule, hat er sich vorgewagt. Sie haben Witze gemacht über die Mütze, die die Mutter neuerdings trägt, eine Glatze hat sie jetzt, sie selber hat auch gelacht. Er hat sehen wollen, hat ihr blitzschnell die Mütze von Kopf gezogen. Sie ist erstarrt. Es war totenstill. Dann hat sie ihn angeschrien, mit Tränen im Gesicht vor Zorn und Scham. Er ist aus dem Zimmer gegangen. Stumm. Die Augen auf den Boden geheftet, die Zähne zusammengebissen. Er hat nicht geweint. Jetzt sitzt er wieder am Tisch mit ihr. Warum kann sie nicht gesund sein und hübsch wie die Mütter seiner Freunde?
Für nichts geachtet
Siehe, mein Knecht. Das vierte Gottesknechtslied. Der Knecht ist Gottes Bote. Er ist selbst die Botschaft. Aber er ist nicht prächtig, wie man es von einem Gottesboten erwarten könnte. Er kann ein Lied singen vom Leid. Er ist so hässlich, so vom Unglück gezeichnet, dass andere den Blick abwenden von ihm. Er ist wie ein dürrer Zweig, eine krumme Wurzel auf trockenem Boden, ohne Saft und Kraft. Er leidet unter Krankheit und Schmerzen. Lieber schaut man woanders hin oder wechselt die Straßenseite, als ihn anzusehen. Denn er ist vom Schicksal geschlagen, von Gott gestraft, wer weiß wofür. Der Allerverachtetste und Unwerteste, wir haben ihn für nichts geachtet.
Das kennt sie auch. Seit sie nicht mehr zur Arbeit kommt. Seit sie die Mütze trägt und manchmal tagelang nicht raus kann. Menschen machen einen Bogen um sie. Freundinnen rufen nicht an. Die Nachbarin huscht vorbei, ohne zu grüßen. Bis sie, die Kranke, ihr laut hinterherruft. Hallo? Lange nicht gesehen. Wie geht es dir? Die Nachbarin bleibt stehen. Starrt auf die Mütze. Dann in ihr Gesicht. Ohne Augenbrauen, ohne Wimpern. Aber mit einem Lächeln: Ich hab dich vermisst. Die Nachbarin murmelt etwas, dann sagt sie: Gut, dass du mich angesprochen hast. Ich wusste nicht, was ich sagen soll. Ob du reden willst und jemanden sehen. Jetzt bin ich froh!
Gewandelt
Krankheit, die man sehen kann. Offene Wunden und Verletzungen. Sie verunsichern. Die anderen. Den Kranken selbst. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg. Wir haben ihn für nichts geachtet. Wer spricht? Die Israeliten, Männer und Frauen, die nach Gott fragen in einer unübersichtlichen Zeit. „Wir“. Sie haben gelitten, das Volk ist gespalten, ein Teil ist im Exil gewesen, verschleppt in Feindesland, ein anderer in die Diaspora geflüchtet, als die Babylonier die Herrschaft übernommen haben im Land, einige haben im Land ausgeharrt. Alle haben es schwer. Die Heimkehrer sind verändert und fühlen sich fremd, kein Stein ist auf dem andern geblieben, kein vertrautes Zuhause, kein Tempel zum Beten, kein Ort, an dem du wirklich mit Gottes Gegenwart rechnen kannst. Nur ein Mensch, der offenbar Grauenhaftes erlebt hat. Er ist entstellt, sieht fast nicht mehr menschlich aus, er ist von allen verlassen. Dass sie ihn meiden, ist verständlich. Es entspricht ihrem Glauben. So haben sie es gelernt. Krankheit und Schmerzen kommen von Gott. Wer so vom Herrn geschlagen ist, kann ihm auf keinen Fall nahe stehen. Man nimmt sich in Acht, schützt sich und andere, man sieht ihn nicht an.
Wenn ich anders gelebt hätte, fragt sich die Mutter, wäre ich dann gesund geblieben? Hätte ich meinen Kindern den Schrecken erspart, meinem Mann die Angst?
Siehe, mein Knecht, sagt Gott. Ihmwird’s gelingen. An ihm wird sichtbar, was Gott für seine Leute plant. Gott will, dass sie hinsehen, dass „wir“ ihn ansehen.Wir sehen hin, gezwungenermaßen, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen hätte. Darum haben wir ihn für nichts geachtet. Aber. Beim Ansehen des leidenden Knechts wandelt sich etwas. In denen, die ihn ansehen. Er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Jetzt erkennen sie: Sein Leiden ist nicht selbst verschuldet. Es ist unsere Krankheit, die er trägt. Unsere Schmerzen. Er nimmt unsere Gottverlassenheit auf sich, damit wir Gott wieder finden!
Schärfer gesehen
Was habe ich falsch gemacht, dass ich krank bin, dass das Schicksal mir einen Menschen geraubt hat, meine Arbeit genommen, meinen Lebensplan zerstört? So zu denken, liegt nahe. Auch für uns. Meinten wir doch, wie haben es selbst in der Hand. Mag sein, dass wir hadern mit dem Schicksal, mit Gott. Aber im Leiden, in der Nähe des Todes wird uns auch unser eigenes Versagen bewusst. Selbst wenn wir dem Tod nur in Gedanken nahe sind. Wir sehen schärfer, was uns trennt von den Menschen um uns herum. Von uns selber. Von Gott. Wir sehen, wo wir schuldig geworden sind. Aber: Gott schickt seine Botschaft. In Menschengestalt. Er schickt seinen Knecht, damit seine Leute sehen, damit wir begreifen: Er nimmt die Schuld von uns weg und versenkt sie im äußersten Meer, damit wir geheilt werden!
Sie ist im Krankenhaus. Eine Freundin kommt zu Besuch. Sitzt an ihrem Bett. Sie schweigen lange. Als die Freundin geht, lässt sie eine Karte da. Auf die eine Seite hat sie geschrieben: Ich verstehe den da oben nicht. Aber ich bete, dass er dir beisteht. Auf der anderen ist ein Bild. Eine Ikone. Christus, das Gesicht zerfurcht, die Augenbrauen bilden eine Linie, gekreuzt von der senkrechten Stirnfalte. Er hat die Arme ausgebreitet. Lange steht die Karte auf ihrem Nachttisch. Wenn es ihr schlecht geht, wenn sie keinen sehen will und von keinem gesehen werden, denkt sie: Du weißt, wie das ist. Du hast selbst Schmerzen gelitten. Bist allein gewesen, von Gott verlassen. Du trägst das mit mir.
Stellvertretend
Siehe. Gott schickt einen Menschen, mit dem keiner gerechnet hat. Wer der Gottesknecht war, wissen wir nicht. Einer, der ein Beispiel gibt. Der so ist, wie Gottes Kinder alle sein könnten. Der Gottesknecht gibt sein Leben, damit sie sehen können, welches Ziel Gott mit ihnen hat. Sie haben sich verirrt wie Schafe ohne Hirten. Jeder ist seinen eigenen Weg gegangen, jede hat ihre Ziele verfolgt. Dabei haben sie Gott aus den Augen verloren. Oder die Beziehung komplett abgebrochen. Sie lassen sich das nicht anmerken. Sie halten sich gerade. Nur er geht gebeugt. Er trägt die Kosten der Trennung. Als ob Gott nicht mehr an seiner Seite wäre. Als ob es keinen Gott gäbe. Er schleppt die ganze Last. Die Scham. Die Schande. Die unendliche Einsamkeit. Er tut den Mund nicht auf. Protestiert nicht, lehnt sich nicht auf. Er gibt sein Leben hin. Ein Lamm, das geschlachtet wird. Mit Gott zu brechen, bedeutet den Tod. Er stirbt tausend Tode, stellvertretend für uns, die wir uns aus Gottes Reichweite entfernen. Er wird an unserer Stelle weggerissen aus dem Land der Lebendigen und mit den Gottlosen begraben. Wer denkt noch an ihn?
Nachfolgend
Einige aus Gottes Volk begreifen: Er ist unsere Rettung. Er gibt sich hin für uns. Gott hat ihn geschickt, damit er sein Leben für uns ausschüttet. Und damit wir die Irrwege verlassen und ihm nachfolgen. Die das Geschenk des Gottesknechts annehmen, werden selbst zu Botinnen und Boten. Sie bekennen sich zu dem Gott, der die Schuld vergibt. Der den Leidenden sieht. Der dem Schwachen aufhilft. Die Unfruchtbare segnet. Den Ausgegrenzten in die Mitte holt. Die Sünden der Älteren, wo möglich, wieder gut macht und das Land für die Jungen aufblühen lässt. Sie folgen ihm nach und handeln wie er. So kriegt der Knecht Nachkommen, auch wenn er sterben musste. So sehen alle im Land das Licht und die Fülle. Und Gottes Plan gelingt.
Verbunden
Gottes Bund mit seinem Volk Israel bleibt bestehen. Auch wenn der vollkommene Friede noch aussteht. Weil immer wieder neue Wunden aufbrechen. Weil einige Herrscher der Welt ihren Mund weit aufreißen und den Blick abwenden von den Leidenden. Weil Gerechtigkeit immer noch an vielen Orten auf der Strecke bleibt.
Christenmenschen haben in Christus den Gottesknecht gesehen. Den grünen Zweig, der vor Gott aufwächst. Heute sehen wir ihn am Kreuz. Er teilt unser Leiden, unsere Machtlosigkeit, unsere Gottverlassenheit. Er gibt sein Leben für uns hin. Nicht, um einen rachsüchtigen Gott zufrieden zu stellen. Sondern um uns die Bürde unserer Versäumnisse und Fehler von den Schultern zu nehmen. Damit wir miteinander von vorn anfangen können. Er hält mit uns aus, wenn wir noch kein Licht sehen. Sammelt uns wieder, wenn wir bloß unsere eigenen Wege verfolgt haben und in die Irre gerannt sind.
Zum ersten Mal ist sie wieder in der Kirche. Es ist Monate her. Viele hier hat sie lange nicht gesehen. Abendmahl. Anders diesmal, als sie es kennt. Jeder hat Brot und Traubensaft neben sich. Ein Stück vom Brot des Lebens. Ein Schluck vom Kelch des Heils. Sie wird gesehen. Von ihm und von allen. Sie ist bedürftig. Sie will Brot und Wein schmecken. Lebens-Zeichen Jesu, für sie gegeben und für viele zur Vergebung der Sünden. Andere nehmen teil. Eine Gemeinschaft, so verschieden sie sind. Mit ihnen lässt sie sich aufrichten. Neu ausrichten zum Leben.
zuHebräer 11,1-2; 12,1-3 von Charlotte Scheller Audio unter diesem Beitrag
Sie schließt die Haustür auf, betritt die Wohnung. Ein warmer Duft weht ihr entgegen. Sie späht in die Küche. Die Tochter dreht ihr den Rücken zu. Kopfhörer in den Ohren, bemerkt sie die Mutter nicht. Sie bückt sich, öffnet die Herdklappe, nimmt mit topflappenbewehrten Händen die Form aus dem Ofen. Ein knappes Hallo, sie schaut an der Mutter vorbei. So macht sie es seit Tagen. Das fühlt sich fremd an. Dampfend steht der Kuchen da. Goldgelb. Der Duft ist überwältigend. Darf ich probieren? – Ich hab ihn wohl kaum für mich allein gemacht, sagt die Tochter und verlässt den Raum.
Liebe braucht Ausdauer. Genau wie der Glaube. Es gibt Zeiten der Gewissheit und des Vertrauens. Wir gehören zusammen, haben uns lieb, verstehen uns. Und Zeiten des Zweifelns und des Misstrauens. Du schweigst dich aus, ich weiß nicht mehr, wer du bist, verstehe dich nicht mehr. Kann ich dir noch vertrauen?
Liebe hat ihre Durstrecken. Dann braucht es Zeichen, die man sehen und schmecken kann. Ein Kuchen für dich, auch wenn wir im Moment nicht reden können. Greifbare Hoffnung. Auch der Glaube braucht solche Zeichen. Leidvolle Erfahrungen stellen mein Gottvertrauen auf die Probe. Schicksalsschläge. Eine Krankheit. Gibt es überhaupt einen Gott? Ich merke nichts von ihm jetzt, wo ich ihn so dringend bräuchte. Aber auch der Alltag kann einen mürbe machen. Wenn ich nicht sehen kann, wohin mein Weg führt. Oder wann es ein Ende hat mit dem Durchhalten, mit den Einschränkungen, mit dem Aufschieben all dessen, worauf ich mich gefreut habe. Wenn mir die Worte fehlen angesichts all der Not, die durch die Pandemie entstanden ist oder noch größer geworden. Wenn ich schon alle Gebete gebetet habe und mir nichts mehr einfällt, weil ich müde bin. Der Glaube selbst kann eine Anfechtung sein.
Das gehört offenbar zum Christsein dazu: Angefochten sein. Zweifeln. Müde werden im Glauben und im Leben. Deshalb sind wir hier. Wir wollen andere Leute sehen, wollen die Lieder hören von Verzweiflung und Hoffnung und die Worte, die Mut machen. Im Hebräerbrief lesen wir (Hebräer 11,1-2): Was ist denn der Glaube? Er ist ein Rechnen mit der Erfüllung dessen, worauf man hofft, ein Überzeugtsein von der Wirklichkeit unsichtbarer Dinge. Weil unsere Vorfahren diesen Glauben hatten, stellt Gott ihnen in der Schrift ein gutes Zeugnis aus.
Wer sind diese Glaubensvorfahren? Noah, der eine Arche baute um die Tiere zu retten, obwohl es nicht nach Regen aussah. Abraham, der seine Zelte abbrach und loszog. Ohne den Weg zu kennen und ohne zu wissen, wo es hingehen sollte mit ihm und seinen Leuten. Im versprochenen neuen Land war er fremd. Wieder vorübergehend, in Zelten, auf Abruf, aber voller Erwartung auf die feste Stadt, die Gott baut. Sara, die keine Kinder hatte und bloß trocken lachen konnte, als die drei Männer kamen und ihr eine Schwangerschaft in Aussicht stellten. In ihrem biblischen Alter! Aber dann – Hoffnung hin, Glaube her – wurde sie unglaublich spät noch Mutter und machte ihren Mann Abraham zum Vater der Glaubenden. Vater der Vielen bedeutet sein Name. Wie Sterne am Himmel seine Nachkommen, wie Sand am Meer. Oder Mose, der in seiner Jugend im Jähzorn einen ägyptischen Aufseher umgebracht hat. Ausgerechnet ihn berief Gott, sein Volk durchs Rote Meer zu führen.
Sie haben Zweifel gehabt. An sich selbst und an Gott. Sie waren keine Helden. Und sind trotzdem vorwärts gegangen nur auf sein Wort hin und sind so zu Zeug/innen geworden. Wir erzählen immer noch von ihnen, sind mit ihnen verbunden in der Hoffnung auf Gottes Macht.
Hebräer 12,1-3: Wir sind also von einer großen Schar von Zeugen umgeben, deren Leben uns zeigt, dass es durch den Glauben möglich ist, den uns aufgetragenen Kampf zu bestehen. Deshalb wollen auch wir – wie Läufer bei einem Wettkampf – mit aller Ausdauer dem Ziel entgegenlaufen. Wir wollen alles ablegen, was uns beim Laufen hindert, uns von der Sünde trennen, die uns so leicht gefangen nimmt, und unseren Blick auf Jesus richten, den Wegbereiter des Glaubens, der uns ans Ziel vorausgegangen ist. Weil Jesus wusste, welche Freude auf ihn wartete, nahm er den Tod am Kreuz auf sich, und auch die Sch
ande, die damit verbunden war, konnte ihn nicht abschrecken. Deshalb sitzt er jetzt auf dem Thron im Himmel an Gottes rechter Seite. Wenn ihr also in der Gefahr steht, müde zu werden, dann denkt an Jesus! Wie sehr wurde er von sündigen Menschen angefeindet, und wie geduldig hat er alles ertragen! Wenn ihr euch das vor Augen haltet, werdet ihr nicht den Mut verlieren.
Der Autor hat mit uns zurückgeschaut, auf den Weg des Gottesvolkes. Jetzt lenkt er unseren Blick nach vorn. Dem Ziel entgegen. Wie Läufer in einem Wettkampf sind Christenmenschen auf ihrem Weg. Die Athleten in der Arena legen alle Kleidung ab, die sie beim Laufen beschweren würde. Und wir: Zu einer Wanderung oder Radtour nehmen wir nur das Nötigste mit, damit uns die Last nicht herunterzieht. Und dann kommt es darauf an, das Ziel im Blick zu haben. Sicher, wir müssen einen Schritt nach dem anderen machen. Aber wer dabei nur nach unten schaut, wird schnell müde. Ein ehemaliger Rennfahrer, Tour de France, hat mir mal erklärt: Mein Vorteil war das Kopfsteinpflaster. Die anderen hatten davor Angst. Die wurden langsamer und kamen ins Schlingern. Ich habe an das Ende der Straße gedacht, bin schnell über die buckeligen Steine gefahren und ans Ziel gekommen.
Nehmen wir es also sportlich. Das Leben ist ein Lauf. Eine Herausforderung, manchmal auch ein harter Kampf. Wenn wir nach unten starren, machen wir es uns zu schwer. Wenn wir nur Augen für das Beschwerliche haben, bremsen wir uns selbst aus. Kann sein, wir wissen nicht, wohin es geht, wie Abraham. Oder wir sind eingesperrt auf unbestimmte Zeit, auf die Familie und die Haustiere beschränkt, wie Noah. Kann sein, wir haben Schuld auf uns geladen wie Mose. Oder wir trauen Gott nicht zu, unser Leben noch fruchtbar zu machen, wie Sara. Aber Gott, der die Welt gemacht hat, lässt uns nicht los. Dass Gott mitgegangen ist, auch auf den holprigsten Strecken, dass er da war, als wir in den Fluten trieben, merken wir oft erst im Nachhinein. Der Weg, auch wenn er schwer war, selbst wenn er schwer bleibt, ist Gottes Weg mit uns.
Das Beschwerliche dürfen wir ablegen wie Kleidung, die uns beim Laufen behindert. Und, so geht es weiter, uns von der Sünde trennen, die uns so leicht gefangen nimmt. Das ist wohl noch schwieriger als den Blick vom Boden hochzunehmen: Mich von meinen Sünden zu trennen. Also loszulassen von der Vorstellung, ich hätte alles im Griff. Wie oft kreisen meine Gedanken um einen Vorwurf. Um das Gefühl, nicht das Richtige gesagt oder getan zu haben. Um eine Schuld. Was mich belastet, kann ich Christus hinhalten. Ihm kann ich aufladen, was mich an mir selbst beschwert. Er trägt es für mich und bringt es ans Kreuz. Ich darf unbeschwert weitergehen. Eine Wanderin ohne Gepäck.
Wohin schauen wir? Auf Jesus, den Wegbereiter des Glaubens, der uns ans Ziel vorausgegangen ist. Wir sind nicht auf uns allein gestellt. Jesus ist uns vorangegangen. Wir haben vom Einzug in Jerusalem gehört. Wie die Leute in Massen zusammenlaufen. Ihre Kleider vor Jesus ausbreiten. Hosianna schreien. Das heißt: Hilf doch, Gott! Zu Recht erwarten sie Hilfe von ihm. Die Rettung aus ihrer Verlorenheit. Sie spüren, Jesus kommt im Namen des Herrn. Ein Höhepunkt seines Weges. Eine Bergkuppe, ein Aussichtspunkt. Unmengen von Leuten jubeln ihm zu. Kurze Zeit später rufen sie: Kreuzige ihn! Er leidet und stirbt, verlassen von allen Freunden und scheinbar auch von Gott. Er wehrt sich nicht. Er nimmt die Demütigung hin, die Schande. So läuft sein Weg ins Ziel. Jetzt ist Gott ganz unten angekommen. Bei den Müden, bei den Beladenen, bei denen, die nicht mehr weiter wissen, bei den Sterbenden. Bei uns, wenn wir erschöpft sind vom Lieben, vom Arbeiten, vom Alleinsein, vom Glauben.
Wie gut, dass das so sein darf. Dass wir müde sein dürfen. Am Kreuz ruft Jesus: Mein Gott, warum hast du mich verlassen? Ein einziges Wort, eine Silbe reicht aus: mein. Du bist mein Gott. Lässt mich nicht los, nicht mal, wenn ich das Vertrauen verloren habe. Du hast deinen Sohn hier runter geschickt, damit er an meiner Seite ist. Und am Ende hast du ihn auferweckt von den Toten, damit wir sehen, wo es hingeht mit uns, wo unser Leben an sein Ziel kommt.
Wenn ihr also in der Gefahr steht, müde zu werden, dann denkt an Jesus! Wie sehr wurde er von sündigen Menschen angefeindet, und wie geduldig hat er alles ertragen! Wenn ihr euch das vor Augen haltet, werdet ihr nicht den Mut verlieren. Allzu oft vergesse ich, mir das vor Augen zu halten. Dann brauche ich andere, die mich daran erinnern. Starke Zeuginnen aus alter Zeit und von heute. Oder Suchende wie ich selbst. Kein Mensch sollte allein auf eine Bergwanderung gehen. Ich brauche die Gemeinschaft der anderen, die mit mir laufen im Wettkampf. Wir laufen nicht gegeneinander. Müssen die anderen nicht ausstechen. Wir haben schon gewonnen. Jesus ist für uns ins Ziel gelaufen. Deshalb können wir einander jetzt aufbauen. Uns gegenseitig anspornen, erzählen, gut zureden. Miteinander schweigen. Einander aufwecken aus der Lähmung. Kuchen backen. Den Duft der Hoffnung einatmen und gemeinsam standhalten. Im Vertrauen auf Gottes Geist. Amen.
Quelle: Jens Schmitz / pixelio.de; Charlotte Scheller
Psalm 121 war Teil einer Andacht, die unsere Kindergartenkinder und -Mitarbeitenden heute mit Diakonin Sylke Schander auf dem Kirchplatz gefeiert haben.
Wofür möchtest du heute danken? Jedes Kind bekam eine Osterglocke. Die Osterglocken wurden nacheinander auf dem Tuch in der Mitte abgelegt. Dazu sagten die Kinder, wofür sie Gott danken:
- dafür, dass wir uns wiedersehen und hier zusammen sein können - dafür, dass es Frühling wird und alles so schön blüht - für meine Erzieherinnen - für meine Freunde - ... ... ...
Wofür möchten Sie heute Danke sagen?
Die Übertragung von Psalm 121 findet sich zum Mitsprechen unter diesem Beitrag. Hier der Text:
Psalm 121 Gott behütet mich.
Er behütet mich auf allen Wegen,
heute und immer.
Manchmal schaue ich hin und her und frage:
„Will mir denn keiner helfen?“
Dann fällt mir ein, dass Gott bei mir ist.
Gott behütet mich.
Er behütet mich auf allen Wegen,
heute und immer.
Gott schläft nicht. Er ist bei mir wie mein Schatten
Charlotte Scheller: Ich bin hier heute in Gruppe 10 der Diakonie Christophorus, geleitet von Juliane Machel. Sie stellt uns einen Bibeltext vor, der ihr etwas bedeutet, und sagt, warum.
Juliane Machel: Josua 1,56: Niemals werde ich dir meine Hilfe entziehen, nie dich im Stich lassen.
CS: Was spricht dich an an diesem Wort?
JM: Ich habe diesen Text als Taufspruch meines Sohnes gewählt. Bewusst habe ich einen Text aus der Bibel ausgesucht, wo nicht Gott im Mittelpunkt steht, sondern der eher meine Sicht der Mutter widerspiegelt. Ich werde dich nie im Stich lassen – das ist das Versprechen, das ich meinem Kind gegeben habe, dass ich es tun werde und nicht von oben geleitet sein muss dafür.
CS: Das heißt, dir ist wichtig, dass du selbst für das einstehst, was in diesem Bibelwort steht.
JM: Genau. Es geht eigentlich um die Beziehung, die ich zu meinem Sohn haben möchte für immer, weil ich aus theologischer Sicht oft mit dem Gedanken an Gott hadere. Gibt es ihn, gibt es ihn nicht? Es ist schon so, dass ich mich bewusst dafür entschieden habe, meinen Sohn evangelisch taufen zu lassen aufgrund der Glaubensgemeinschaft, weil ich ihm die Entscheidung für später selbst geben möchte. Aber es ist manchmal etwas schwierig, obwohl ich den christlichen Glauben im Sinne meiner Arbeit ja schon auch vertrete.
CS: Ich danke dir für dieses persönliche Statement zu dem Bibelwort und zu deiner Arbeit in einer christlichen Einrichtung!
JM: Sehr gerne!
Quelle: privat (1); S. Hofschlaeger/pixelio.de (2)
zu Johannes 12,20-25 von Charlotte Scheller 20 Es waren aber einige Griechen unter denen, die heraufgekommen waren, um anzubeten auf dem Fest. 21 Die traten zu Philippus, der aus Betsaida in Galiläa war, und baten ihn und sprachen: Herr, wir wollen Jesus sehen. 22 Philippus kommt und sagt es Andreas, und Andreas und Philippus sagen's Jesus. 23 Jesus aber antwortete ihnen und sprach: Die Stunde ist gekommen, dass der Menschensohn verherrlicht werde. 24 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und erstirbt, bleibt es allein; wenn es aber erstirbt, bringt es viel Frucht. 25 Wer sein Leben lieb hat, der verliert es; und wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird's bewahren zum ewigen Leben.
Alle Empfänge sind abgesagt. Seit einem Jahr kein Abiball, kein Neujahrsempfang, kein Fest zum Abschied oder Neuanfang. Hochzeiten und Taufen werden verschoben. Trauerfeiern im engsten Familienkreis. Wer in diesem Jahr ein Jubiläum hat, kann es nicht mit vielen feiern. Kein großer Bahnhof. Sehen und gesehen werden – Fehlanzeige! Dabei ist Gesehenwerden lebenswichtig. Nicht gesehen zu werden, lässt einen regelrecht verhungern. Ein „Guten Morgen“, ohne dass dein Gegenüber dich anschaut. Ein Gruppenbild, auf dem du nicht drauf bist. Eine Adressenliste, in der dein Name fehlt. Als Kind habe ich mir manchmal vorgestellt - ich glaube, das tun viele Kinder - wie es wäre, wenn ich tot wäre. Meine Eltern, die heute so unzufrieden mit mir waren, würden weinen. Mein Bruder müsste traurig allein spielen. Geradezu lustvoll malte ich mir aus, wie sie mich vermissten. Und mich nie, niemals wieder sehen würden. Wir brauchen die Aufmerksamkeit anderer. Einen Menschen, der sich freut, wenn wir kommen. Einen, dem etwas fehlt, wenn wir fehlen. Eine, die fröhlich sagt: Lange nicht gesehen. Wie geht‘s dir? Eine, die deinen Blick sucht und festhält, ein Lächeln schickt, mit den Augen sagt: Ich seh‘ dich. Ich will wissen, wer du bist.
Wie wollen Jesus sehen, sagen ein paar Leute, die zum Fest gekommen sind. Passah in Jerusalem. Griechen, berichtet Johannes, die zum Beten hier sind. Offenbar Leute, die zum jüdischen Glauben übergetreten sind. Gottesfürchtige werden sie genannt. Sie dürfen im Vorhof des Tempels beten. Aber nicht das Passalamm mitessen. Auf der Liste steht nur, wer von Geburt an zum Gottesvolk gehört.
Sie haben von Jesus gehört. Unerhörtes offenbar. Es wird geredet in Jerusalem. Jesus soll Lazarus auferweckt haben. Einen Toten ins Leben zurückgerufen. Und andere Dinge getan haben, in denen manche Gottes Gegenwart ahnen. Viele glauben jetzt an ihn. Man müsste ihm das Handwerk legen. Bevor der Jesus-Glaube endemisch wird. Bevor die römischen Besatzer es mitkriegen und Ärger machen. Sie befürchten Aufruhr, den Aufstand der kleinen Leute. Aber man kriegt ihn nicht zu fassen, diesen Jesus.
Wir wollen Jesus sehen! Die Griechen sprechen Philippus an. Einen aus dem Kreis um Jesus. Er sagt Andreas Bescheid. Die einzigen beiden aus dem Jüngerkreis, von denen wir keinen hebräischen Namen kennen. Die Griechen sprechen die Jünger mit den griechischen Namen an. In der Hoffnung, dass sie ihre Sprache sprechen. Wie wollen Jesus sehen heißt: Wir wollen wissen, wer er ist. Was sich hinter seinen Zeichen und Wundern verbirgt.
Philippus sagt es Andreas und der sagt es Jesus. Und Jesus ignoriert sie. Redet über sie hinweg, als ob sie nicht da wären. Wir können sie ab jetzt nicht mehr sehen. Wir sehen nur Jesus mit seinen Jüngern. Hören ihn reden, was auch die nicht verstehen können: Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es ein einzelnes Korn. Wenn es aber stirbt, bringt es viel Frucht. Klare Sache. Wer etwas ernten will, muss säen. Muss eine bestimmte Menge an Getreide opfern und in die Erde legen. Statt es jetzt zu mahlen und zu Brot zu backen, damit es den Hunger stillt. Es dauert seine Zeit, bis man sehen kann, ob es keimt. Noch länger, bis es, wenn Sonne und Regen und Wind günstig sind, Frucht bringt.
Unklar ist, warum Jesus das jetzt erzählt von dem Weizenkorn. Die Zeit ist da, sagt er zu Andreas und Philippus. Die Stunde ist gekommen. Jetzt wird der Menschensohn in Gottes Herrlichkeit aufgenommen. Das Weizenkorn muss in die Erde fallen und sterben, damit es Frucht bringen kann. Wem sein Leben über alles geht, sagt er weiter, der verliert es. Aber wer sein Leben nicht für das Wichtigste hält, der bewahrt es zum ewigen Leben.
Betrübt ist er, sagt Jesus weiter. Erschüttert über das Bevorstehende. Verrat. Einsamkeit. Schmerzen. Ein grausamer Tod. Aber er wird nicht zu Gott sagen: Vater, rette mich aus dieser Stunde! Denn dazu ist Jesus doch gekommen. Jetzt ist es Zeit, jetzt ist der entscheidende Moment, in dem etwas ganz Neues gepflanzt wird. Gott will nicht allein bleiben in seiner Größe. Er will nicht weit oben sein im Himmel, wenn seine Kinder ganz unten sind. Er hat seinen Sohn geschickt. Einen Menschen. Einen Hirten, der sein Leben einsetzt für seine Schafe. Eine Tür, durch die wir eintreten können in Gottes Haus.
Die Umstehenden mögen nur Bahnhof verstehen. Viele sind da, die haben Zeichen und Wunder gesehen. Jesus hat Wasser in Wein verwandelt. Gekrümmte aufgerichtet. Blinden die Augen geöffnet. Beladenen die Schuld vergeben. Tote aufgeweckt. Gottes Kraft ist in ihm. Wie sollen sie begreifen, dass er nun von seinem Tod spricht, dass seine Mission sich ausgerechnet in seinem Sterben erfüllt?
Später haben seine Leute sich erinnert. So wie wir es heute tun. Und immer noch nicht begriffen, so wie wir es nicht begreifen können. Und haben doch die Früchte geerntet. Wäre Jesus nicht gestorben, er wäre allein geblieben in seiner Herrlichkeit. Einer, der Gott besonders nahe war. Der heilte und Sünden vergab und so lebte, wie Gott es eigentlich gedacht hat. Aber so war es nicht. Jesus ist der Stunde nicht ausgewichen. Er ist mitten hinein gekommen in die dunkelste Zeit, die ein Mensch erleiden kann. Freunde haben sich abgewandt. Feinde haben ihn verspottet. Und Gott hat ihn da unten gelassen in der tiefsten Verlassenheit. Damit wir da nicht allein sind.
Nach seinem Tod bleibt es dunkel. Grabesstille. Schweigen. Nichts zu sehen, nicht zu erkennen, was Gott mit ihm wollte. Und dann die Auferstehung. Das leere Grab und der unverschämte Glaube, dass der Tod nicht das Letzte ist. Dass uns allen am Ende das Leben blüht. Das sind die Früchte. Jesus stirbt. Aber Gott hat ihn zu sich gezogen. Und in diese Gemeinschaft zieht Jesus uns alle mit hinein. Von Gottes Herrlichkeit aus ist er für alle Menschen da. Keiner muss draußen bleiben vor der Tür. Jede kann reinkommen, egal woher sie kommt und was sie mit sich herumschleppt. Jesus kommt hinein in die Stunden der absoluten Unsichtbarkeit, der tiefsten Betrübnis der Seele. So teilt Gott sie mit uns. Das ist nicht zu fassen. Auch die ersten Jünger haben daran gezweifelt, auch nach Ostern noch. Und doch hat ihr Glaube Kraft. Ihre Gemeinschaft hat Bestand, sie wächst und trägt Früchte bis heute. Auch wenn immer noch Männer und Frauen ihr Leben lassen für ihren Glauben oder für andere, die ihnen anvertraut sind. Auch wenn wir keine Märtyrer sind: Wer im Glauben an seine lebendige Gegenwart unterwegs ist, stellt sein Leben nicht über das eines anderen. Wir fragen nach Jesus und finden die Antwort in dem, was von seinem ganzen Weg erzählt wird. Leben und Lieben, Beten und Feiern, Freundschaft und Verrat, Sterben und Auferstehen. Wir erzählen es weiter, jeder in seiner Sprache.
Bin ich Griechin oder Jüngerin? Gehör ich zum engeren Kreis oder bin ich hier, weil ich Jesus einfach erstmal sehen will? Mal das eine, dann wieder das andere. Fest steht: Gott will jeden von uns bei sich haben. Aus dem einem Weizenkorn sind viele Körner erwachsen. Sie geben Nahrung und bringen neue Früchte. Männer und Frauen, die sich von Gott angesehen wissen.
Gott hat uns auf der Liste, selbst wenn wir uns bei ihm abgemeldet haben. Er behält uns im Blick. Mit einem unendlichen Vorschuss an Wohlwollen. So angesehen, können wir die anderen sehen neben uns. Amen.
Quelle: Charlotte Scheller (1-2); Colja Ossadnik (3)