zu Apostelgeschichte 17,22-34 von Charlotte Scheller Audio unter diesem Beitrag
Konfi-Treff. Ein Stoffstreifen liegt in der Kirche, aus Bettlaken geschnitten und zusammengenäht. Der Stoff füllt den Mittelgang und zieht sich die Altarstufen hoch. Das komplette Glaubensbekenntnis. Oben, am Altar, der Anfang: Ich glaube an Gott, den Vater, den Schöpfer des Himmels und der Erde. Weit hinten, unter der Empore, im Dunkeln, das Ende: Auferstehung der Toten und das ewige Leben. Stellt euch zu einem Satz, werden die Konfis aufgefordert, zu dem ihr stehen könnt. Die Jugendlichen schreiten das Banner ab. Schauen, wo die anderen stehen. Bilden Grüppchen oder stehen vereinzelt. Ein Knäuel bildet sich am Altar, bei „Schöpfer des Himmels und der Erde“. Ein kleineres bei „gekreuzigt, gestorben und begraben“. Einige stehen bei „Vergebung der Sünden“.
Wozu könnt ihr nicht stehen, fragen wir. „Gemeinschaft der Heiligen“. Weil sie nicht heilig sind und es eigentlich auch nicht sein wollen. Aber ihr seid schon heilig, sagt die Vikarin. Ihr gehört längst dazu. Dadurch, dass ihr hier seid und euch Gedanken macht und uns Fragen stellt, eure Zweifel aussprecht, euch vortastet zu dem, wozu ihr stehen könnt. Die Konfirmanden bleiben skeptisch. Ein jugendlicher Mitarbeiter sagt: Als ich dreizehn war, konnte ich auch nichts damit anfangen. Jetzt ist es anders. Jetzt bedeutet es mir sehr viel.
Auch unter der Empore steht ein Konfirmand. Bei „Auferstehung der Toten“. Andere daneben, mit etwas Abstand, von einem Bein aufs andre tretend. Meine Oma ist gestorben, sagt er leise. Ich glaub an die Auferstehung.
An einem anderen Altar steht Paulus. Athen. Seine zweite Missionsreise. Paulus hält Predigten in der Synagoge und diskutiert mit den Bürgern draußen auf den Plätzen. Über Gott und die Welt. Er hat sich die Stadt angesehen. Athen ist trotz der römischen Besatzung immer noch Kulturhauptstadt, das Zentrum von Kunst und Bildung. Paulus hat die Heiligtümer besichtigt, Statuen von Göttern, Halbgöttern und Heroen, ist vor den Altären stehen geblieben, hat die Inschriften studiert. Die Athener opfern hier, damit die Götter ihnen wohlgesonnen bleiben. Das macht Paulus wütend. Er hält dagegen mit seinem Glauben an den einen Gott. An Christus und die Auferstehung. Auf Griechisch: Anastasis. Was will dieser Schwätzer sagen, sagen die Gebildeten. Eigentlich nennen sie ihn „Körnerpicker“. Verächtlich. Er redet von dem einem Gott und führt zwei neue ein. Christus und Anastasis. Ein komischer Vogel, dieser Paulus, schnappt hier und da einen Gedanken auf und will damit Eindruck machen. Sie unterschätzen ihn.
Paulus steht auf dem Marktplatz, vor dem Gerichtsgebäude, dem Areopag. Ihr Männer von Athen, ruft er. Ich sehe, dass ihr die Götter in allen Stücken sehr verehrt. Ihr seid sehr religiös. Ihr habt viele prachtvolle Tempel. Ich habe sie mir angesehen. Ich habe hier einen Altar gefunden, auf dem steht: Für einen unbekannten Gott. Hut ab, Paulus, denke ich, du hast dich im Griff. Du lässt deinem Zorn nicht raus, du findest einen Weg, respektvoll ins Gespräch zu kommen.
Einen Altar mit der Inschrift „Dem unbekannten Gott“ hat man nicht gefunden in Athen. Aber man weiß von Altären, die „unbekannten Göttern“ gewidmet waren. In der Mehrzahl. Man brachte ihnen Opfer, um ganz sicher zu sein, dass man keinen der Götter vergessen hat. Dass man wirklich alles getan hat, um den Himmel günstig zu stimmen.
Und nun legt Paulus los. Ich will euch zeigen, sagt er, wo ich stehe. Ich will euch verkünden, wer er ist, dieser Gott. Er hat Himmel und Erde geschaffen und allem den Lebensatem eingehaucht. Er hat die Menschen gemacht, damit sie die Erde bewohnen. Er legt Anfang und Ende fest. Er hat uns Grenzen gesetzt und die Neugier in uns gelegt. Die Sehnsucht, uns selbst zu überschreiten, Gott zu suchen und zu fühlen und zu finden. Ja wirklich, keinem von uns ist Gott fern. In ihm leben wir und bewegen uns. In ihm sind wir. Paulus zitiert einen alten Dichter, der sagt: Wir sind göttlichen Geschlechts. Und deshalb, meint er, sind wir klug genug, das Göttliche nicht einzwängen zu wollen in Bilder oder Statuen oder in Gotteshäuser, die wir selbst gemacht haben.
Schon möglich, höre ich die Philosophen unter seinen Zuhörern sagen. Und nicht ganz neu. Aber was dann kommt, regt sie auf. Es ist Zeit umzukehren, ruft Paulus. Bisher hattet ihr keine Ahnung, wer Gott ist. Aber Gott hat sich uns bekannt gemacht in dem Menschen Jesus Christus. Jesus hat geliebt und gefeiert. Er wurde gequält und musste sterben. Er ist ins Dunkle hineingegangen. In den Tod. Ich verstehe Paulus so: Der Schöpfer ist heruntergekommen vom Himmel auf die Erde. Er ist mir nah, wenn ich kraftlos bin und im Dunkeln tappe. Er trägt mit, was auf mir lastet. Er kennt meine Verletzungen und meinen Schmerz. Er sieht die Sehnsucht, die mich antreibt. Gott hat das Gesicht eines Menschen. Ihm hat er Macht gegeben im Himmel und auf Erden.
Kann ich das glauben? Für die Leute damals in Athen auf dem Marktplatz ist es eine Zumutung. Paulus steht vor dem Gerichtsgebäude und kündigt einen anderen Richter an. Der wird kommen, zu richten die Lebenden und die Toten. Er muss nicht günstig gestimmt werden. Er will keine Opfer von uns, er hat selbst sein Leben hingegeben. Er steht auf der Seite der Schwachen. Gott der Allmächtige, der Schöpfer von allem, was lebt, steht bei den Ohnmächtigen. Bei den zu Unrecht Verfolgten und Getöteten. Bei der geschundenen Kreatur. Gott hat Jesus von den Toten auferweckt. So erhebt er Einspruch gegen jede Ungerechtigkeit in dieser Welt.
Von den Toten auferweckt. Den Athenern geht das zu weit. Die einen spotten. Die anderen verabschieden sich höflich. Wir wollen dich darüber ein andermal weiterhören. Eine elegante Art, das Gespräch abzubrechen, sagen die Ausleger. Ich kann mir die Hoffnung nicht verkneifen, dass sie es ernst meinen. Dass sie wiederkommen und mehr hören wollen. Dass sie sich offen halten für das Un-Glaubliche und Gott am richtigen Ort suchen. In Jesus, dem Gekreuzigten und Auferstandenen. Dass das Pflänzchen Glauben, von Paulus begossen, doch noch keimt und wächst.
Eine Gemeinde gründet Paulus nicht in Athen. Die meisten gehen weg. Wenige schließen sich ihm an und bekennen sich zu Christus. Zwei werden mit Namen genannt: Dionysios aus dem Areopag. Und eine Frau namens Damaris. Keine Erfolgsgeschichte. Und doch ist sie weitergegangen bis heute. Ich lerne von Paulus‘ kluger Gesprächsführung. Dem Gegenüber zuhören. Seine Überzeugung respektieren. Eine gemeinsame Sprache finden. Und selbst Farbe bekennen. Den Spott der anderen riskieren. Das Pflänzchen Hoffnung begießen. Darauf vertrauen, dass Gott seine Kraft in den Schwachen erweist. Dranbleiben an meinen Fragen und Zweifeln und wiederkommen, um mehr zu hören.
Die Konfirmanden, von denen ich erzählt habe, haben sich alle hinter das Bekenntnis des einen von ihnen gestellt: Ich glaube an Gott, / den Schöpfer meiner Welt, / den man nie sieht, / aber immer fühlt, wenn man ihn braucht. / Ich glaube an seinen Sohn, / den Boten des Friedens, / der für uns gestorben / und für den Frieden auferstanden ist.
Ich glaube an den Heiligen Geist, / der immer da ist / und die Christen und Christinnen verbindet / sowie mich mit meinen Eltern. / Ich glaube an die Kirche, die Herberge der Christen, / wo sie sich versammeln / und zusammen zu ihrem Glauben bekennen.
In dieser Herberge darf ich auch zu Hause sein. Für immer und ewig. Grund zum Feiern!
zu Johannes 10,11a.27-28 (Audio unter diesem Beitrag) „Christus spricht: Ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben.“ Wochenspruch Johannes 10, 11a. 27–28a
Pfarrwiese Roringen. Die Schafe sind wieder da. Sie kommen mehrmals im Jahr, für ein paar Wochen, bis sie die Wiese kahlgefressen haben. Und gedüngt. Die Pfarrwiese hat schattenspendende Bäume. Leckere Kräuter und Wildblumen. Einen kleinen Bach. Trampelpfade über Stock und Stein.
Wir haben uns kennengelernt im Laufe der Zeit, die Schafe und ich. Ihr Blöken ist mir vertraut geworden. Wenn ich sie rufe, kommen sie angetrabt. Sie kennen meine Stimme und begrüßen mich. Irgendwann kehren sie mir den Rücken und wenden sich wieder dem Grasen und Widerkäuen zu.
Ich bin der gute Hirte, sagt Jesus. Meine Schafe kennen meine Stimme. Ich kenne sie. Sie folgen mir. Ich gebe mein Leben für sie. Ich gebe ihnen das ewige Leben.
Das ist viel mehr als ein Schafhirte seinen Tieren geben muss. Selbst wenn er ein guter Hirte ist. Es ist wie zwischen Eltern und Kindern. Ein Säugling erkennt die Mutter an der Stimme. Und Mutter oder Vater würden ihr Baby unter Tausenden heraushören, wenn es schreit oder lacht. So eng ist die Beziehung zwischen dem Guten Hirten und seinen Schafen. So liebevoll. So unzertrennlich. Er liebt sie mehr als sein eigenes Leben.
Wie gut, denke ich, dass er auch mein Hirte ist. Er kennt mich; unter Tausenden hört er meine Stimme heraus. Wenn ich in Not bin. Oder wenn ich lache. Und wenn ich mich abwende von ihm, zu beschäftigt, um ihm zu antworten, weil mich die Sorgen des Tages total einnehmen oder weil ich auf alten Verletzungen herumkaue? Dann geht er mir nach. Sammelt mich wieder ein. Durch einen Menschen, ein Lied, einen Frühlingssonnenstrahl öffnet er mir wieder die Tür zu Gottes Haus. Hier und in der Ewigkeit.
am Sonntag Misericordias Domini zu Hesekiel 34 in Auswahl
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600 vor Christus:
Ezechiel saß am Fluss von Babylon und war leer. Er fand keine Worte mehr vor Trauer und Mutlosigkeit.
Die Könige und die Minister Israels, die eigentlich hätten Hirten für ihr Volk sein sollen, hatten es stattdessen ins Elend geführt, in die Verbannung. Sie hatten mit den falschen Mächten paktiert, Gefahren falsch eingeschätzt und ihre Armen ausgebeutet. Die Babylonier hatten schließlich den Tempel zerstört und sie aus Jerusalem fortgeschleppt.
Jetzt saß er hier, weit entfernt von seiner Heimat, in einem fremden Land, und wusste nicht mehr ein noch aus. Doch plötzlich wich seine Resignation und Ezechiel spürte neue Kraft! Er sprang auf und die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus. Er fühlt wieder etwas! Er ist wütend! Und plötzlich verstand er, was da mit ihm geschah:
Es waren Gottes Worte, die ihn belebten. Gott legte seine eigenen Worte in seinen Mund. Gott selbst sprach durch ihn und klagt an:
Wehe den Hirten Israels, die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden?
Aber ihr esst das Fett und kleidet euch mit der Wolle und schlachtet das Gemästete, aber die Schafe wollt ihr nicht weiden. Das Schwache stärkt ihr nicht, und das Kranke heilt ihr nicht, das Verwundete verbindet ihr nicht, das Verirrte holt ihr nicht zurück, und das Verlorene sucht ihr nicht; das Starke aber tretet ihr nieder mit Gewalt.
Siehe, nun gehe ich gegen die Hirten vor und will meine Herde von ihren Händen fordern; ich will ein Ende damit machen, dass sie Hirten sind, und sie sollen sich nicht mehr selbst weiden. Ich will meine Schafe erretten aus ihrem Rachen, dass sie sie nicht mehr fressen sollen.
Ca. 2121 Jahre später - 1521 nach Christus:
Der junge Theologieprofessor Martin Luther aus Wittenberg wurde durch Kaiser Karl V. in Worms verhört. Er war auf Grund der Inhalte seiner 95 Thesen als Ketzer angeklagt.
Denn Luther hatte seinerseits angeklagt:
Die Bischöfe und den Papst, die eigentlich hätten für ihr Volk Hirten sein sollten.
Aber in Luthers Augen hatten sie die Menschen kleingehalten, ihnen Angst vor einem strafenden Gott eingeflößt und den Armen mit dem Ablasshandel den letzten Penny genommen. Sie hatten den Menschen den direkten Zugang zu Gott verwehrt, indem sie alles durch ihre kirchlichen Institutionen kontrollierten.
Wehe den Hirten (…), die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden?
Da stand er nun vor dem Kaiser und sollte widerrufen, was er geschrieben hatte. Doch er konnte es nicht. Alles in ihm sträubte sich dagegen. Stattdessen sagte Luther:
„Ich kann und ich will nicht widerrufen, weil weder sicher noch geraten ist, etwas wider das Gewissen zu tun. (…) Ich glaube weder dem Papst noch den Konzilen allein, weil es offensichtlich ist, dass sie oft geirrt und sich selbst widersprochen haben. Gott helfe mir. Amen“.
Luther kam durch das Lesen der Heiligen Schrift zu einem anderen Standpunkt als Bischöfe und Papst. Hatte nicht Gott selbst die selbstsüchtigen Hirten angeklagt, die ihre Herde vernachlässigt hatten?
Noch einmal 500 Jahre später.
Die Pflegerin Evelyn Müller auf der Intensivstation des Göttinger Klinikums war verzweifelt. Die letzten Tage, Wochen und Monate über hatte sie COVID-19 Patienten an Beatmungsgeräte angeschlossen und versorgt. Viele davon waren gestorben. Aber inzwischen lagen nur noch unter 80-jährige Patienten hier, weil die älteren inzwischen geimpft waren. Die Jüngeren starben nicht so schnell, weil ihr Immunsystem noch stärker war. Deshalb blieben sie länger auf der Station, was zu einer größeren Knappheit der Betten und zu noch mehr Arbeit führte…
Einen Corona-Zuschlag hatte Evelyn trotz der schweren Arbeit noch nicht erhalten. Da gab es noch bürokratische Hürden. Und überhaupt:
Von ihrem niedrigen Lohn kam Evelyn gerade so über die Runden. Eine grundsätzliche Lohnerhöhung war vor kurzem bei Tarif-Verhandlungen von der katholischen Caritas ausgebremst worden. Und auch die evangelische Diakonie hatte sich ganz passiv verhalten und stillschweigend dabei zugesehen.
In Ihrer Not griff Evelyn zur Bibel und las:
So spricht Gott der Herr: Wehe den Hirten (…), die sich selbst weiden! Sollen die Hirten nicht die Herde weiden? (…)
Ja, dachte Evelyn. Predigten die kirchlichen Träger nicht nach außen hin Nächstenliebe und Solidarität mit den Schwachen? Evelyn las weiter:
Siehe, ich will mich meiner Herde selbst annehmen und sie suchen. (…)
Ich will meine Schafe suchen und will sie erretten von allen Orten, wohin sie zerstreut waren zur Zeit, als es trüb und finster war. Ich will sie auf die beste Weide führen, und auf den hohen Bergen in Israel sollen ihre Auen sein; (…) Ich selbst will meine Schafe weiden, und ich will sie lagern lassen, spricht Gott der Herr.
Ja, ihr sollt meine Herde sein, die Herde meiner Weide, und ich will euer Gott sein, spricht Gott der Herr.
Wo, um alles in der Welt, war denn dieser Hirten-Gott heute, wo es bei ihr trüb und finster aussah, dachte sich Evelyn. Und warum wurde eigentlich immer von einem Hirten gesprochen?
War es nicht die Aufgabe eines Hirten, sich liebevoll um die Schwachen, Kranken und Leidenden zu kümmern, was man heute im Volksmunde mit der sogenannten Care-Arbeit bezeichnete? Und wurde diese schwere Aufgabe nicht überwiegend von Frauen verrichtet, die Kinder betreuten oder Eltern und Großeltern pflegten und dafür gar nicht bezahlt wurden oder in schlecht bezahlten Care-Berufen arbeiteten, als Erzieherin oder, wie Sie selbst, Evelyn, als Intensivkrankenschwester?
Waren es nicht überwiegend Männer, die seit Jahren die Politik in Staat und die Kirchen dominierten? Die eigentlich hätten Hirten sein sollen aber sich dann persönlich bereicherten, wie neulich erst wieder bei der Maskenaffäre?
Für Evelyn stand fest: Der Gott, der sie suchte und sie erretten wollte aus ihrem trüben und finsteren Ort, der Gott, der ihr nachging, ihr beistand und sie verstand, dieser Gott war kein Hirte. Er war eine Hirtin.
Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn.
Amen.
Quelle: Anton von Werner (gemeinfrei); Charlotte Scheller
Anton von Werner (1877): Luther vor dem Reichstag in Worms (Wandbild, Staatsgalerie Stuttgart); Schafherde im Roringen Pfarrgarten
nacherzählt von Charlotte Scheller Audio unter diesem Beitrag
Das Johannesevangelium erzählt eine Reihe von Ostergeschichten. In der Begegnung mit dem Auferstandenen werden Menschen ermutigt. Sie folgen dem Auftrag Jesu: Geh hin und sag es weiter!
Ich stelle mir vor, aus Jerusalem kommt ein Schreiber nach Galiläa. Er erkundigt sich, was es mit diesem Jesus auf sich hat, der auferstanden sein soll. Der Schreiber heißt Rufus. Auf der Suche nach Menschen, die Jesus gekannt haben, trifft er auf Maria von Magdala. Ich stelle mir ein Gespräch zwischen ihnen vor.
Rufus: Bist du Maria, Maria von Magdala, die Jesus gekannt hat?
Maria: Ja, ich bin Maria. Wer bist du und was willst du von mir?
Rufus: Ich bin Rufus, Schriftgelehrter. Ich komme, weil die Gemeinde von Jerusalem mich beauftragt hat. Ich soll für sie alles über, nun ja, das leere Grab herausfinden. Du warst doch die erste, die damals erfahren hat, dass Jesus – angeblich - auferstanden ist?
Maria: Ja und nein.
Rufus: Was soll das heißen? Entweder ja oder nein!
Maria: Sagen immer noch einige Leute in Jerusalem, wir verbreiten über Jesus Lügen?
Rufus: Deshalb bin ich hier. Ich soll Licht in die Sache bringen. Ich werde alle Leute fragen, die dabei waren. Ich werde alles aufschreiben, was wirklich geschah.
Maria: Also gut.
Rufus: Nun erzähl schon!
Maria: Ich war bei euch in Jerusalem. Am dritten Tag nach dem Schrecklichen. Jesus war tot. Der liebste Mensch, den ich hatte. Ich bin zu dem Grab gegangen mit einer Flasche Öl. Ich wollte ihn einreiben. Wenigstens seinem toten Körper etwas Gutes tun. Als der Feiertag endlich vorbei war.
Rufus: Vorher war Sabbat. Da durftet ihr keine Arbeit tun.
Maria: Ich habe mir Gedanken gemacht, wie ich den großen Stein vor dem Grab wegbewegen kann. Aber der Stein war nicht mehr da.
Rufus: Wie das?
Maria: Er war weg! Ich dachte, jetzt haben sie Jesus weggenommen. Seine Feinde haben den Körper von Jesus gestohlen.
Rufus: Gestohlen? Warum sollten sie?
Maria: Ich dachte, sie wollten, dass wir ihn gar nicht mehr sehen, nicht mal seinen Leichnam. Damit wir noch trauriger sind.
Rufus: Das klingt ziemlich verrückt. So viel Aufwand wegen eines einfachen Wanderpredigers!
Maria: Für uns war er nicht bloß ein Prediger. Er war – er ist unser bester Freund.
Ich habe den anderen Bescheid gesagt, Simon und Johannes. Sie sind gekommen und ins Grab hineingegangen.
Rufus (schüttelt sich): Und?
Maria: Da waren nur die Tücher, in die sein Körper eingewickelt war. Die Freunde sind wieder weggegangen. Ich bin geblieben. Ich wusste nicht, wohin. Ich weinte und weinte,
Rufus (ungeduldig): Ja, ja. Und weiter?
Maria: Schließlich habe ich vorsichtig ins Grab geschaut. Zuerst dachte ich, ich träume. Drinnen war es hell. Wo der Kopf von Jesus gelegen haben musste, saß ein Mann mit weißem Gewand. Da, wo die Füße gewesen waren, ein anderer. Sein Kleid leuchtete ebenso weiß.
Rufus: Gespenster!
Maria: Nein Engel. Boten von Gott. Frau, was weinst du, fragen sie mich. Ich sage: Sie haben meinen Herrn weggenommen und ich weiß nicht, wo sie ihn hingelegt haben.
Rufus (zu sich selbst): Sie hat ihn wirklich gern gehabt.
Maria: Ich sehe mich draußen um. Vielleicht ist irgendwo im Friedhofsgarten eine Spur von ihm. Da steht plötzlich ein Mann vor mir und spricht mich an. Frau, was weinst du, wen suchst du?
Rufus: Vielleicht einer vom Friedhof.
Maria: Der Gärtner, denke ich. Herr, sage ich im Vorbeigehen, wenn du ihn weggenommen hast, dann zeig mir doch, wo er ist. Ich will ihn mit duftendem Öl einreiben. – Ich gehe Richtung Ausgang, der Mann hinter mir her. Maria, ruft er.
Rufus: Er kannte dich?
Maria: Ich bleibe wie angewurzelt stehen. Unter tausenden würde ich diese Stimme heraushören. Es ist Jesus! So oft hat er meinen Namen genannt. Hat mich getröstet, mir Mut gemacht, mit mir gelacht. Ich drehe mich um und sehe ihn an. Er sieht anders aus, aber er ist es. Rabbuni, rufe ich. Meister! Ich will auf ihn zustürmen, ihn umarmen, seine Hände berühren …
Rufus (seufzt): Schön.Ende gut, alles gut.
Maria: Du hast ja keine Ahnung. Rühr mich nicht an, sagt er. Ich bin noch nicht zum Vater hinaufgegangen. Du, geh zu meinen Brüdern und sage ihnen, dass ich zu meinem Vater gehe, der auch euer Vater ist, und zu meinem Gott, der auch euer Gott ist.
Rufus: Das klingt wie ein Rätsel.
Maria: Ich habe überhaupt nichts verstanden außer: Jesus ist am Leben! Er hat den Tod besiegt, wie er gesagt hat. Er geht zu Gott im Himmel.
Rufus: Also war er erst da und dann wieder weg?
Maria: Er ist noch da. Auch wenn wir ihn nicht mehr sehen. Ich habe es den anderen erzählt. Alles, was er gesagt hat. Die Trauer war wie weggeblasen. Wir wussten: Jesus lebt. Er kennt uns. Er nennt uns beim Namen. So ist es immer noch.