Text: Christoph Zehendner 1995 Musik: Hans-Werner Scharnowski 1994 Ergänzungsheft zum Evangelischen Gesangbuch Nr. 9 gesungen und begleitet von Thomas Plate
In der Karwoche finden Sie ab heute an dieser Stelle täglich eine kurze Andacht und ein Musikstück. Herzlichen Dank an Dr. Martin Begemann, Sup.i.R. Heinz Behrends und Thomas Plate für die Beiträge!
Heute: Hans Kotter (ca. 1480-1541), Us tiefer Not schry ich zu Dir. Aus: Schweizer Musikdenkmäler. Einer der frühesten erhaltenen Orgelsätze des Chorals, für uns gespielt auf der Orgel der St. Jacobi-Kirche Göttingen.
Küssen Judas verrät Jesus mit einem Kuss. „Den ich küsse, der ist es“. Am folgenden Nachmittag um 3 wird Jesus gekreuzigt und stirbt. Ungeheuerlich, der Kuss ist der intimste Ausdruck von Verbundenheit. Sex-Arbeiterinnen erzählen, dass sie vieles anbieten, aber ein Kuss ist verboten. Der Kuss, er bringt Jesus den Tod.
Merkwürdige Zeiten sind das, in denen wir in diesen Wochen der Corona-Pandemie leben. Ein Kuss kann wieder den Tod bringen. Ein Kuss, nicht aus Argwohn oder verräterischer Absicht, sondern ein Kuss aus Liebe. Mehr als das: Abstand halten, mindestens 1,5 m, so sollen wir uns verhalten und sehen es ein.
Unsere Enkel sehen das schwer ein. Anna ruft ihre Großmutter an und fragt: „Wann darf ich dich wieder besuchen?“ Durch die offene Tür hereinstürmen, ein kräftiger Kuss auf die Wangen, so wie immer, und dann erzählen. Bilderbücher rausholen, die Spielsachen aus dem Keller. Auf dem Sofa kuscheln. Ein Kuss zur Nacht.
Merkwürdige Zeiten sind das gerade. Die Dinge verkehren sich. Wie beim Verrat des Judas.
Der Maler unseres Tafelbild-Altares in der Klosterkirche, Carl Clobes, hat das eindrucksvoll in Szene gesetzt. Fast unterwürfig, von unten heraufblickend setzt er zum Kuss an. Er kann ihm nicht in die Augenschauen. Jesus steht aufrecht da. Er kennt die Absicht seines Jüngers. Ihre Hände scheinen sich zu berühren oder sind sie auf Abwehr?
Die Gefahr um ihn herum ist nicht zu übersehen. Schwerter und Stangen drohen.
„Hände?“ fragt er mich – „Nein“. Jetzt nicht. Ja, unsere Berührungen sind nur in der engsten Familie erlaubt in Zeiten von Corona.
Aber wir lassen uns berühren und wir berühren uns in diesen Tagen der Karwoche durch Briefe, E-Mails, gute Worte, einen Kuss im Zuwinken.
„Danke für deinen Brief, Großmama“, schreibt Anna. Corona trennt uns nicht. Und wenn alles vorbei ist, dann geben wir einander wieder die Hand und küssen wir uns wieder herzlich.
Wir leben am Ende ja doch von der körperlichen Nähe, wir sind auf den Anderen, die Andere angelegt.
Gebet Jesus Christus, du gehst Deinen Weg, verraten und verkauft, lässt dich vom Freund und Verräter berühren, gehst aufrecht deinen Weg. Wir danken Dir.
Wir vermissen die Nähe von Menschen in diesen Tagen. Mache uns erfinderisch, unsere Verbundenheit zu zeigen. Segne alle guten Gedanken, die uns verbinden. Behüte uns an diesem Tag. Amen
(Zum Hören im mp3-Format weiter unten auf dieser Seite)
Predigtgedanken zum Palmsonntag – von Anne Dill
Wir leben im Ausnahmezustand.
Alle gängigen Regeln von Anstand und Höflichkeit sind auf einmal falsch: Keiner gibt die Hand zur Begrüßung oder zur Verabschiedung. Auch die Moralvorstellungen sind anders: Wer sonst aus Umweltgründen den Zug nimmt, fährt jetzt lieber Auto, umso wenig Menschen wie möglich zu begegnen.
Liebevolles Handeln hat sich ins Gegenteil verkehrt: Jetzt ist es ein Zeichen der Liebe, wenn man Eltern oder Großeltern nicht besucht. Und der Nachbarin ein Blümchen ist Krankenhaus zu bringen, ist schlicht nicht möglich.
Der Predigttext für den heutigen Sonntag erzählt von Jesus und einer Frau:
Jesus ist da unterwegs auf dem Weg nach Jerusalem. Er übernachtet bei einem Mann namens Simon und sitzt mit ihm und mehreren anderen Männern beim Essen.
Da platzt eine Frau herein. Keiner kennt sie. Sie zieht ein Fläschchen mit wertvollem Öl aus der Tasche und gießt es Jesus über den Kopf. Salbt damit seine Haare.
Die anderen Männer sind sauer: Das kann doch nicht ihr Ernst sein!
Wer kann es ihnen verdenken? Die Frau verhält sich total daneben! Alle geltenden Regeln hat sie mal eben ignoriert:
Als Frau ist sie mitten in eine Männergesellschaft geplatzt. Ohne Einladung. Sie wartet nicht mal, bis die Männer mit dem Essen fertig sind. Nein, sie, eine Frau, berührt Jesu Haare und sein Gesicht. Unerhört ist das!
Und überhaupt: Hätte sie das Öl verkauft, hätte man das Geld den Armen geben können - das wäre immerhin sinnvoll gewesen!
Doch Jesus nimmt die Fremde in Schutz. „Lasst sie in Ruhe! Sie hat mir Gutes getan!“
Für Jesus gelten andere Maßstäbe. In seiner Gegenwart sind alle Regeln gesprengt. Wo Jesus ist, da ist auch Ausnahmesituation. Bei ihm zählt was anderes als Anstand und Höflichkeit: Er sieht die Liebe, die die Frau ihm entgegenbringt. Begegnet sind sie sich zuvor nie. Und doch opfert sie fast ein Jahresgehalt für ihn. Er sieht ihr Vertrauen, ihr Herz.
Im Ausnahmezustand zählt das auf einmal viel mehr: Das Herz. Die Innerlichkeit. Die Ehrlichkeit.
Ich muss meine Verunsicherung irgendwo lassen. Brauche jemandem, dem ich nichts vormachen muss. Dem ich mein Herz ausschütten kann, wie die Frau ihr Öl.
Im Internet habe ich gelesen, dass zur Zeit soviel auf der Welt gebetet wird, wie schon lange nicht mehr. Ich weiß nicht, wie man das herausfinden will und ob es stimmt.
Aber ich weiß, dass Jesu Nähe für mich neu an Bedeutung gewinnt:
Ich sehe abends so manche Kerze ab 19 Uhr im Fenster leuchten, angezündet als Zeichen der Hoffnung und der Verbundenheit.
Letzten Sonntag war ich allein zu einer kurzen Andacht in der Kirche. Zuerst war das ein komisches Gefühl. Aber dann habe ich mich der Gemeinde umso mehr verbunden gefühlt.
Ganz besonders beim Vaterunser. Weil die alten Worte mir so vertraut sind. In sie kann ich alles legen. Weil es von Jesus selbst kommt.
Und weil das Vaterunser von Christen in unseren Gemeinde und in der ganzen Welt gesprochen wird.
Jesus ist damals weiter nach Jerusalem gegangen. Er hat Todesangst gelitten. Am Kreuz hat er Leid und Schuld der Welt getragen. Er hat ausgehalten.
So hält er auch mit uns aus. Die Ungewissheit, die Verzweiflung, die Angst. Ausnahmezustand ist ihm vertraut. „Abstand halten“ gilt bei Jesus nicht. Bei ihm gibt’s keine Verhaltensregeln. Zu ihm kann ich kommen und alles sagen. Im Vaterunser oder mit anderen Worten. Bei ihm kann ich einfach nur da sein. Jeden Tag neu. Zu jeder Zeit. Ihm kann ich alles vor die Füße schmeißen. Sogar mich selbst.
(Zum Hören im mp3-Format weiter unten auf dieser Seite)
Mittwochsandacht am 1. April 2020 von Thomas Plate, Göttingen
Thomas Plate, von Haus aus Geologe, seit Jahrzehnten im Gebäudemanagement der Uniklinik tätig, hat als Mitglied der Damian-Gospel-Singers, als Band-Sänger und -Gitarrist und im Rahmen des Konfirmandenunterrichts in Region und Kirchenkreis etliche Gottesdienste in den Gemeinden musikalisch und mit geistlichen Impulsen gestaltet. Im Herbst beginnt er mit der Lektorenausbildung am Michaeliskloster Hildesheim.
Jetzt bemerken wir es alle, wir sind eingeschränkt, eingesperrt, isoliert, alleingelassen, getrennt, abgeschoben. Zum Wohl der Allgemeinheit, also für uns als Menschen und Christen verzichten wir auf fröhliche Kaffeerunden in der Frühlingssonne, Grillen im Garten, einen Stadtbummel, eine Wanderung, sogar auf Feierlichkeiten, Hochzeiten, Geburtstage und mehr. Und auf unsere gemeinschaftlichen Gottesdienste und andere kirchliche Veranstaltungen. Ja – Glauben und Christsein (und -bleiben) lebt von Gemeinschaft, Austausch, Trost, Zuwendung, dem ganz normalen Miteinander.
Mir gehen jetzt die Zeilen aus einem „modernen Kirchenlied“ aus den 70ern, also meiner eigenen Jugendzeit, durch den Kopf. In Anlehnung an einen Psalm heißt es dort: „Zieh mich hin zu Dir, Herr, in Deine Königskammer, in die Geborgenheit, wo Deine Liebe mich umfängt“. Glauben lebt und findet auch im Persönlichen, Privaten statt. Ich denke an Daniel im Alten Testament, der auch aufgrund der äußeren Umstände in seine Kammer gehen musste, um zu beten. Selbst Jesus fordert uns auf: Wenn du betest, geh in deine Kammer und mach es nicht prahlerisch an öffentlichen Orten.
Was hindert uns also, uns vom IHM in seine Königskammer ziehen zu lassen ganz intim, nur Gott und ich bzw. du? Durch Stillwerden, Meditation, eine einsame schweigende Runde im Park, schöne Musik, ein langes Gespräch mit dem Partner, für das man vorher ja nie Zeit hatte, abends bei offenem Fenster den Vögeln lauschen, die man jetzt auch in der Stadt wegen des geringeren Verkehrslärms viel besser hören kann. Ich wünsche mir und uns eine schöne gemeinsame Zeit- mit Gott und hoffentlich bald auch wieder untereinander.