Gedanken aus der Himmelfahrstansprache zum Sonntag Exaudi (Charlotte Scheller und Anne Dill)
„Exaudi, Domine, vocem meam!” – „Gott, höre den Ruf meiner Stimme“. Von einem Psalmvers hat der Sonntag seinen Namen, Psalm 27,7. Jesus nimmt Abschied von seinen Jüngern. Sie bleiben beieinander im Gebet. Und in der Hoffnung auf das Wiedersehen: „Wenn ich erhöht werde von der Erde, so werde ich alle zu mir ziehen“, so der Wochenspruch Joh12,32. Wie gestalten wir die Wartezeit, bis Gott Seinen Heiligen Geist schickt? Darum geht es in den Gedanken, die wir hier für diejenigen abdrucken, die Himmelfahrt nicht dabei waren.
„Ich bin dann mal weg“ (Anne Dill)
Das hat einer ausprobiert, als er auf dem Jakobsweg pilgern war. Ich bin dann mal weg - Das habe ich schon als Kind gemacht. Aber anders: In Tagträumen. Ich habe mir vorgestellt, wie es wohl wäre, an einem anderen Ort zu leben: Zum Beispiel bei den Inuit am Nordpol. Oder zu einer anderen Zeit: Im alten Rom oder bei den Indianern.
Heute versuche ich mir manchmal vorzustellen, wie es vor 2000 Jahren in Israel gewesen ist. Wäre ich auch mit Jesus durch die Gegend gezogen? Wie wäre es gewesen, wenn er leibhaftig um mich gewesen wäre? Mehrere Jahre lang. Tag für Tag. Er hätte das, was er mir sagen will, face-to-face gesagt. Ich hätte ihn sehen, berühren, umarmen können.
Ich denke dann oft: Die Jünger hatten schon einen Vorteil. Eben weil sie persönlich mit Jesus gesprochen haben. Weil er um sie war, sie ihn sehen und sogar anfassen konnten. Aber:
Ich bin weg - das haben die Jünger auch erlebt. Die drei Jahre, die Jesus mit ihnen verbracht hat, sind auf einmal zu Ende. Und zwar ganz abrupt. Jesus stirbt. Und als sie dann dachten: „Jetzt haben wir ihn doch wieder. Er hat sogar den Tod überwunden“, da ist zurück zu Gott gegangen. In den Himmel. Himmelfahrt. Das feiern wir.
„Ich bin dann mal weg“, das klingt beiläufig, fast nebensächlich. So ist das bei Jesus nicht. Sondern er verabschiedet sich. Auf seine Art: Er betet für seine Jünger. Und für alle, die zu ihm gehören. Auch für die, die erst viel später dazukommen. Auch für uns, auch für mich. In diesem Gebet sagt er zu Gott: „Vater, ich bitte Dich, dass Du die, die zu mir gehören, bewahrst und behütest. So wie Du zu mir gehörst, gehöre ich zu ihnen. Und so wie Du in mir bist, bin ich in ihnen. Wir sind verbunden. Durch die Zeiten hindurch.“
Jesus ist durch die Zeiten hindurch da. Auch in uns. Manchmal spüre ich das:
Ich telefoniere mit meiner Familie. Jetzt haben wir uns schon lange nicht mehr gesehen. Aber trotzdem spüren wir: Wir sind verbunden, sind eine Familie. Ich bin traurig und eine Freundin nimmt mich in den Arm. - Oder es geht mir richtig gut. Ich bin glücklich, alles passt, die Sonne scheint – ein perfekter Tag.
Erklären kann ich es nicht. Aber ich weiß: Jesus ist da. Durch die Zeiten hindurch. So wie er es versprochen hat.
Wir können uns was zutrauen (Ch. Scheller)
Vater, betet Jesus in seinem großen Gebet, bevor er den Leidensweg antritt. Warum lesen wir heute davon? Jesu Weg ans Kreuz und ins Grab ist Teil des Weges in den Himmel. Er geht diesen Weg, damit wir sehen können, wo Gott zu finden ist. Der Allmächtige. Er ist hier unten. Auf der Erde. Wo es so schön ist. Wo es so furchtbar sein kann.
Vater, betet Jesus, ich will, dass, wo ich bin, auch die bei mir sein sollen, die du mir gegeben hast. Jesus betet für seine Freunde. Im Gebet wird die Zukunft zur Gegenwart. Ich gehe, aber ich lege meinen Geist in euch. Ich bleibe euch so nah wie ein Vater dem Kind. Ich bleibe eins mit euch wie ich immer schon eins war mit dem Vater im Himmel.
Wie können wir das verstehen? Ich muss an meine Großmutter denken. Sie war eine fromme Frau. Sobald ich lesen konnte, gab sie mir Bücher, in denen stand, wie ich eine gute Christin sein konnte. Von meinen Süßigkeiten abgeben. Morgens und abends beten. Und vor dem Essen. Bloß Kaffee und Kuchen waren nicht betpflichtig. Aber das Wichtigste war dies: „Wenn du böse warst, bitte den Herrn um Verzeihung. Danach kannst du die Sache in Ordnung bringen“. Der Glaube kam ziemlich streng rüber bei meiner Großmutter. Du musst dies tun und das sein lassen für Gott. Aber das machte nichts. Denn es tat unendlich gut, für meine Kinder-Sünden eine Adresse zu haben. Jemanden Liebevolles wie meine Großmutter. Der mich so sehr liebt, dass er mir alles verzeiht. Wenn ich ihn darum bitte. Auch die aller-schlimmsten Vergehen. Warum glaubte ich das? Weil sie ihm auch vertraute. Ich spürte: Meine Großmutter ist mit Jesus verbunden. Kein Blatt passt zwischen sie und ihren Heiland. Und ich durfte an der engen Beziehung teilhaben. Ihr klarer und einfacher Glaube hatte Folgen für ihre Art, uns zu lieben. Ihre Enkelkinder. Ihre Söhne. Ihren Mann. Die Leute im Bibelkreis und die, die sie auf der Straße traf. Wenn du einen hast, den du immer und für alles auf der Welt um Verzeihung bitten kannst, dann kannst du dir einiges zutrauen!
Jesus geht von der Erde in den Himmel zu Gott. Lässt er uns hier allein zurück? Er hat uns seinen Geist gegeben. Er hat uns eingeladen, hinein zukommen in die enge Beziehung zwischen ihm und dem Vater. In ihm sind wir verbunden über die Zeiten hinweg. An jedem Ort auf der Erde. Sind wir nicht ganz verloren als Glaubende in dieser Welt mit ihrem ganzen Elend? Eine Christin in St. Vinzenz hat es so gesagt: „Das Elend, die andren sehen, das ist jetzt unsre Aufgabe. Für die stärkt uns der Heilige Geist“. Mitsummen; Bild: Ossadnik
Als Kind hat mich der Glaube meiner Großmutter überzeugt. Heute sind es andere Menschen. Die Art, Gottes Kinder und seine Erde zu lieben, kann ziemlich verschieden sein. So wie wir verschieden sind in der Gemeinde. Wir haben uns einander nicht ausgesucht. Aber das macht nichts. Unsere Gemeinschaft beruht nicht auf unserer Übereinstimmung. Sondern auf der Beziehung zum Vater. Wir sind durch Jesus einbezogen. Zeuginnen seiner Gegenwart auf Erden. In ständigem Dialog mit dem Heiland oder auf der Suche nach den Spuren seiner Gegenwart. Wir alle haben jemand, den wir immer und für alles auf der Welt um Vergebung bitten können. Wir können uns also einiges zutrauen. Amen.
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