Ich kann auch anders! Impuls von Vikarin Johanna Bierwirth

Sat, 30 Oct 2021 12:29:19 +0000 von Charlotte Scheller

zu  Lukas 10,30-37
Und als er ihn sah, jammerte es ihn; und er ging zu ihm, goss Öl und Wein auf seine Wunden und verband sie ihm, hob ihn auf sein Tier und brachte ihn in eine Herberge und pflegte ihn. Am nächsten Tag zog er zwei Silbergroschen heraus, gab sie dem Wirt und sprach: Pflege ihn; und wenn du mehr ausgibst, will ich dir's bezahlen, wenn ich wiederkomme.
 
In der Göttinger Innenstadt gibt es vor einem Bekleidungsgeschäft ein Plätzchen, wo jeden Tag immer derselbe Mann auf einer Decke sitzt. Ich habe schon oft ein Geldstück 
in der Jackentasche bereit und ein Lächeln auf dem Gesicht, wenn ich auf ihn zugehe. Im Winter war es schon auch mal ein Heißgetränk oder eine Packung Mund-Nasen-Schutz. So kann ich sein. An meinen guten Tagen. Ich kann aber auch ganz anders sein. Denn an den meisten Tagen bin ich in Eile. Dann hole ich kein Geldstück heraus, dann gibt es gerade mal ein verschämtes Lächeln. Dabei kommt es mir auf die 50 Cent oder so ja gar nicht an. Aber die Zeit! Es ist doch so viel zu tun! 
 
An der Universität Princeton wurde 1970 von zwei Psychologen ein Experiment dazu durchgeführt. Das Ergebnis lautet im Kern: Wer Zeitnot hat, hilft eher selten. Das hat bei mir einen wunden Punkt getroffen. Freiwilliges Soziales Jahr im Altenheim? Ja, spannend, aber ich möchte lieber jetzt zügig das Studium durchziehen. Geflüchteten Menschen beim Deutsch-Lernen helfen? Oh, wichtige Sache, aber ich muss da noch eine Seminararbeit fertig schreiben. Das könnte ich noch weiterführen, ich habe schon oft Ausreden gefunden. Dabei helfe ich ja prinzipiell gerne. Ich weiß nicht, wie Ihre Erfahrungen sind, aber vielleicht geht es dem einen oder der anderen ähnlich. Wir könnten uns jetzt darauf einigen, dass das alles schon so okay ist. Wir sind ja alle irgendwie nur Menschen. Das wäre jetzt der einfache Weg für alle die, die sich ertappt fühlen. Aber das macht unsere Geschichte vom barmherzigen Samariter nicht mit. 
 
Da liegt ein Mensch verwundet und hilflos auf dem Boden. Alle gehen vorbei. In Eile. Sie bleiben nicht mal kurz stehen. Keine Zeit. Und dann kommt der Samariter. Er nimmt sich die Zeit. Und zwar nicht nur ein bisschen Zeit zwischen Tür und Angel. Sondern richtig viel Zeit. Er versorgt den Verwundeten. Er bringt ihn in Sicherheit. Er verspricht wiederzukommen. Und die Geschichte hat einen Kniff: Dem Samariter geht es nämlich ähnlich wie uns. Auch er hat nicht unbegrenzt viel Zeit. Auch er hat ein Reiseziel, einen Termin, was auch immer. Deswegen vertraut er den Verwundeten dem Wirt an. Er gibt ihn in gute Hände, er weiß ihn versorgt. 
 
Und das ist doch irgendwie eine tolle Anleitung: Nimm dir die Zeit, anderen zu helfen. Aber es ist gut, wenn wir es als eine gemeinsame Aufgabe verstehen. Jeder trägt dann nach seinem Talent etwas bei. Wir brauchen Menschen, die das Leid des Anderen wahrnehmen. Wir brauchen Menschen, die in der Hoffnungslosigkeit den Anderen trösten. Wir brauchen Menschen, die eine Hand reichen, damit der Andere wieder aufstehen kann. Dann ist Zeit nicht Geld, dann ist Zeit Begegnung. 
 
Übrigens: Das eben genannte Experiment hatte eine Besonderheit. Diejenigen Versuchsteilnehmer, die zu Beginn des Experimentes die Geschichte vom barmherzigen Samariter gelesen haben, waren am Ende hilfsbereiter. Das ist doch ein schöner Grund, um diese Geschichte in der kommenden Zeit weiter im Herzen zu bewegen.
 
 
Gebet
Herr, mach mich 
zu einem Werkzeug deines Friedens, 
dass ich Liebe übe, wo man hasst;
dass ich verzeihe, wo man beleidigt; 
dass ich verbinde, wo Streit ist; 
dass ich die Wahrheit sage, 
wo der Irrtum herrscht; 
dass ich den Glauben bringe, 
wo der Zweifel drückt; 
dass ich die Hoffnung wecke, 
wo Verzweiflung quält; 
dass ich Licht entzünde, 
wo die Finsternis regiert; 
dass ich Freude bringe, 
wo der Kummer wohnt.

Herr, lass mich trachten: 
nicht, dass ich getröstet werde, 
sondern dass ich tröste; 
nicht, dass ich verstanden werde, 
sondern dass ich verstehe; 
nicht, dass ich geliebt werde, 
sondern dass ich liebe. 
Denn wer da hingibt, der empfängt;
wer sich selbst vergisst, der findet;
wer verzeiht, dem wird verziehen 
und wer stirbt, der erwacht 
zum ewigen Leben. Amen. 
Franz von Assisisi zugeschrieben
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