Christophorus-Legende, erzählt von Anne Dill

Wed, 29 Apr 2020 16:32:12 +0000 von Charlotte Scheller

Die Legende von Christophorus (nacherzählt von Anne Dill)
Bäumeausreißen – das war für Ophorus kein Problem. Das konnte er wortwörtlich mit links. Denn Ophorus war groß und stark wie ein Bär. Er war der größte und der stärkste Mann weit und breit. Seine Kraft wollte er nutzen: Er wollte dem mächtigsten Herrn dienen. Ophorus war nicht für Kleinigkeiten gemacht.
Und so kam er an den Hof des größten Königs. Eine Zeit lang lief alles wie geplant: Ophorus diente diesem mächtigen Mann. 
Doch eines Tages geschah etwas: Ophorus schaute in das Gesicht des Königs. Und es war ganz offensichtlich: Der König hatte Angst. Ophorus konnte es nicht glauben: Wie konnte ein so mächtiger Mann Angst haben? Und vor wem?
 
Es war der Teufel, der dem König nachts den Schlaf raubte. Für Ophorus war die Sache damit klar: Er hatte sich geirrt. Nicht der König war der mächtigste Herr, sondern der Teufel.
Ophorus ging los, um ihn zu finden und ihm zu dienen. So geschah es. Zu zweit zogen sie durch die Lande. Ophorus hatte es geschafft: Er diente dem mächtigsten Herrn. Doch eines Tages geschah wieder etwas Seltsames: Mitten auf dem Weg zuckte der Teufel auf einmal zusammen. Er stolperte und wendete sein Gesicht panisch ab. Ophorus drehte sich um. Da stand ein Kreuz am Wegesrand.
„Wieso hast Du Angst vorm Kreuz?“ Der Teufel antwortete nicht. Doch für Ophorus war nun klar: Der Teufel war nicht der mächtigste Herr der Welt. 
Und so zog er wieder los, um den zu suchen, dem das Kreuz gehörte. Viele Jahre zog Ophorus umher, doch gefunden hat er ihn nicht. Schließlich kam er an einen großen, reißenden Fluss. Die Leute baten ihn, dort zu bleiben. Denn es gab keine Brücke und keinen Steg. Und so stand Ophorus viele Jahre am Fluss und immer, wenn ein Wanderer vorbeikam, der auf die andere Seite wollte, dann trug er ihn auf seinen starken Schultern hinüber. Nie versank Ophorus in den Fluten, nie entglitt ihm einer seiner Schützlinge. Alle Reisenden kamen wohlbehalten am anderen Ufer an.
Eines Tages stand ein kleines Kind vor Ophorus. Es reichte ihm kaum bis zur Hüfte. „Trägst Du mich auf die andere Seite?“ „Klar!“ Ophorus setzte das Kind auf seine Schultern und ging mit festen Schritten in den Fluss hinein. Erst reichte das Wasser nur bis zu seinen Knien, dann bis zur Hüfte. Mit jedem Schritt, den Ophorus ins Wasser hinein tat, wurde das Kind auf seinen Schultern schwerer. Mit letzter Kraft schaffte er es ans andere Ufer, sank entkräftet auf die Knie. „Es ist, als ob ich die Last der ganzen Welt getragen habe.“ Das Kind schaut ihn an: „Das hast Du auch. Ich bin Christus. Von nun an sollst Du Christophorus heißen – Christusträger.“
So fand Christophorus den mächtigsten Herrn der Welt.
Anne Dill
Quelle: Archiv Christophorus Göttingen
Figur in der Christophoruskirche von Angel G. Stefanov, Bulgarien (2014)
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