von Anne Dill und Charlotte Scheller. Die Predigt wird in Hardegsen und in Christophorus zu hören sein.
Mose. Der Weg runter ist mühsamer als der bergauf. Er spürt seine Knie bei jedem Schritt. Seine Hände spürt er nicht mehr. Sie halten die Tafeln umklammert, die Finger rau vom Stein und taub vom Werkzeug, mit dem er die Worte eingegraben hat, die zehn Worte, Gottes Wegweiser zum Leben für sein Volk. Die ersten Tafeln hat der Allmächtige selbst beschrieben mit seiner göttlichen Hand. Und er, Mose, als er vom Berg runterkam, erfüllt von der Begegnung mit dem Höchsten, hat die Tafeln wütend von sich geworfen und zerschmettert. So zerschmettert war er selbst von dem, was er sah. Seine Leute, Gottes Volk, im Tanz, im Gebet niedergeworfen vor einer Statue aus Gold. Ein Kalb, mein Gott! Sie hatten seine Unterredung mit dem Herrn nicht abwarten können, hatten es nicht mehr ausgehalten in der Wüste ohne Plan. Hatten ihren Schmuck eingeschmolzen und sich selbst einen Gott geschmiedet. Mose hatte sein Herz, seine Hände nicht im Griff gehabt, als er das sah, und alles hingeschmissen. Sollten sie ihren Mist allein machen. Sollten sie sehen, wo es sie hinbrachte, wenn sie dem Herrn, ihrem Gott, untreu wurden.
Mose. Der Weg runter ist mühsamer als der bergauf. Er spürt seine Knie bei jedem Schritt. Seine Hände spürt er nicht mehr. Sie halten die Tafeln umklammert, die Finger rau vom Stein und taub vom Werkzeug, mit dem er die Worte eingegraben hat, die zehn Worte, Gottes Wegweiser zum Leben für sein Volk. Die ersten Tafeln hat der Allmächtige selbst beschrieben mit seiner göttlichen Hand. Und er, Mose, als er vom Berg runterkam, erfüllt von der Begegnung mit dem Höchsten, hat die Tafeln wütend von sich geworfen und zerschmettert. So zerschmettert war er selbst von dem, was er sah. Seine Leute, Gottes Volk, im Tanz, im Gebet niedergeworfen vor einer Statue aus Gold. Ein Kalb, mein Gott! Sie hatten seine Unterredung mit dem Herrn nicht abwarten können, hatten es nicht mehr ausgehalten in der Wüste ohne Plan. Hatten ihren Schmuck eingeschmolzen und sich selbst einen Gott geschmiedet. Mose hatte sein Herz, seine Hände nicht im Griff gehabt, als er das sah, und alles hingeschmissen. Sollten sie ihren Mist allein machen. Sollten sie sehen, wo es sie hinbrachte, wenn sie dem Herrn, ihrem Gott, untreu wurden.
Später hat es ihm Leid getan. Er hat für sie gebetet, für sein geliebtes, eigensinniges Volk. Was sollte es denn sonst sein, wenn nicht Gottes Volk? Aber irgendwas ist anders geworden. Der Allmächtige wohnt nicht mehr bei ihnen, er besucht sein Volk bloß, der Herr kehrt ein in dem heiligen Zelt, wenn Mose da hineingeht. Dann sieht man eine Wolkensäule über dem Zelt stehen, kein Kalb, kein Gold, nicht mal Stein, bloß ein Zelt und eine Wolke, die von Gott weiß wo her geweht sein könnte. Es wird ihrem Glauben einiges abverlangt.
Moses Griff um die Tafeln wird fester. Er hat das Wiedersehen herbeigesehnt. Wieder Essen und Trinken und Reden nach vierzig Tagen Fasten und Schweigen. Wieder Blickkontakt, seiner Frau in die Augen sehen nach knapp sieben Wochen im gleißenden Licht von Gottes Gegenwart. Wer das Gesicht des Höchsten sieht, hat der Herr gesagt, muss sterben. Du kannst bloß seiner Herrlichkeit hinterherschauen. Wenn du hoch genug hinaufgestiegen bist und lange ausgehalten hast, nur mit der Hand des Allmächtigen als Schutz.
Moses Schritte werden langsamer. Denn wieder runterkommen heißt auch, in den Alltag zurückgehen. Einen Weg finden durch die Wüste ins Gelobte Land. Lösungen suchen für tausend Alltagsprobleme. Gefahren abwehren. Wilde Tiere. Böse Gedanken. Mangel an Wasser und Brot. Er muss die Hoffnung hochhalten. Die Motivation stärken. Die Gesellschaft zusammenhalten. Ihnen Gottes Wort vor Augen halten, die zehn Worte, den Kompass für den Weg durch die Wüste und das ganze Leben. Seine Schritte sind schwer. Sein Körper ist müde vom Weg. Seine Seele hinkt hinterher, ist noch irgendwo unterwegs zwischen dem Berg und dem, was hier unten ist.
Jetzt ist er fast da. Das Lager. Ein paar Kinder kommen ihm entgegen gerannt. Als sie ihn sehen, machen sie kehrt. Kein Wunder, er muss wild aussehen mit dem Staub und der Bergsonne von vierzig Tagen in seinem Gesicht.
Sonja. Mit mulmigem Gefühl geht sie durch die große Eingangstür, fragt nach der richtigen Station, nimmt den Fahrstuhl. Nach oben, 5. Stock rechts. Sie ist nicht gern im Krankenhaus. Die Gerüche, die vielen Kranken, die weißen Kittel machen sie immer ganz beklommen. Dann kommt sie vor der richtigen Tür an. Sie zögert. Muss sich regelrecht überwinden. Dann hebt sie die Hand und klopf zaghaft. Herein, erschallt es von innen. Sie drückt die Klinke runter, betritt den Raum. Da liegt die Freundin. Sicher, sie hatte gewusst, dass es ihr nicht gut geht. Aber so... Ihr Blick fällt auf die vielen Schläuche, das blasse Gesicht. Sie weiß nicht, was sie sagen soll. Die Freundin lächelt sie an. Ein mühsames Lächeln ist es, aber voller Wärme. Die Besucherin zieht sich einen Stuhl ans Bett. Hallo, sagt sie leise. Ich wollte nach dir gucken. Die im Bett nickt. Dann schweigen sie. Schließlich schläft die Freundin ein. Die Besucherin bleibt noch eine Weile auf dem Stuhl sitzen. Rührt sich kaum, aus Angst, die andere wieder aufzuwecken. Insgeheim ist sie ganz froh, dass sie nicht reden müssen. Schließlich verlässt sie auf Zehenspitzen den Raum. Im Auto überfällt sie das schlechte Gewissen. Nun warst schon da und du hast nicht mal auf die Reihe gekriegt, dich eine halbe Stunde zu unterhalten. - Was bist du nur für eine Freundin? In den nächsten Tagen denkt sie oft an den Besuch im Krankenhaus. Ihr Herz ist schwer. Sie fühlt sich wie in einem dunklen Tal.
Dann klingelt das Telefon. Die Freundin ist dran. Danke, sagt sie. Danke, dass du da warst! Allen anderen texten mich immer zu. Dass es schon besser werden wird. Dass die Sonne scheint. Und was es zu essen gab. Aber mit dir konnte ich einfach schweigen. Selbst durchs Telefon spürt sie, dass die andere lächelt. Und da legt sich auch auf ihr Gesicht ein Glanz.
Susanne. Endlich, sagt sie leise und atmet tief durch. Es muss eine Ewigkeit her sein, dass sie die Sonne zuletzt gesehen hat. Sie bleibt stehen, hält ihr Gesicht in den Himmel, spürt, wie das Licht ihre Stirn glattstreicht. Sie geht weiter, ihre Schritte leicht wie seit Tagen nicht. Trotz der Müdigkeit. „Dir scheint‘s ja gut zu gehen“, sagt ihr Kollege zur Begrüßung und sie merkt jetzt, dass sie grinst wie ein Honigkuchenpferd. „Ist was passiert?“, fragt er und ihr Grinsen vertieft sich. „Nö“, antwortet sie, setzt ihren Rucksack ab und schaltet den Computer ein. Dass man es ihr ansieht, hätte sie nicht gedacht. Es lässt sich einfach nicht verbergen, das Grinsen. Dabei ist wirklich nichts passiert. Nichts, was man erzählen könnte jedenfalls. Da war dieses Schweigen, über Wochen hat ihr Sohn nicht mit ihr geredet. Sie hat genau gemerkt, dass ihn was bedrückt. So wie er am Tisch gesessen hat, die Kapuze ins Gesicht gezogen, als ob ihm kalt wär in der geheizten Wohnung. Wie er auf seinem Teller rumgestochert hat, sogar wenn sie sein Lieblingsessen gekocht hat. Wie er ausgewichen ist, wenn sie gefragt hat, wie es ihm geht. Okay, hat er gesagt und sie hat genau gewusst, dass das nicht stimmt. Dass gar nichts okay ist seit ihrem Streit, seit sie so sauer geworden ist und ihn angeschrien und er die Tür zugeschmissen hat. Letzte Nacht hat er wieder dagesessen. Hat sein Glas mit der Cola hin und her gedreht in seinen Händen und geschwiegen. „Es tut mir Leid“, hat sie gesagt. „Bitte verzeih“. Er hat nichts gesagt. Ist zum Kühlschrank gegangen und hat die Colaflasche geholt. Sie hat geseufzt. „Ich geh schlafen“, hat sie gesagt. Und leise, als sie schon in der Tür war: „Ich hab dich lieb“. – „He, warte doch mal“, hört sie ihn plötzlich. „Ich muss dir noch was erzählen. Die Prüfung“, sagt er, „ich darf sie wiederholen“. Sie hat sich umgedreht, die Türklinke losgelassen und sich wieder an den Tisch gesetzt. Ihr Herz hat geklopft. Sie hat ihn angesehen. Er hat gegrinst. Sie hat sich auch ein Glas Cola eingeschenkt. Dann hat sie wachgelegen, ob es nun an der Cola lag oder an ihren Gedanken. Er redet wieder. Er hat mir verziehen. Danke, Gott. Danke, danke, danke!
Jannik. Der Enkel schaut den Opa an. Er sieht die müden Augen, die zittrigen Hände, die geschwollenen Beine. Es tut ihm weh zu sehen, dass der Opa nicht mehr so kann und wie beschwerlich sein Leben geworden ist. Wie geht es dir, fragt er und überlegt nebenbei, was er überhaupt antworten kann auf so viele Beschwerden.
Ach, sagt der Neunzigjährige, ganz gut. Heute Morgen konnte ich endlich wieder die Losungen lesen. Ich habe nur eine halbe Stunde gebraucht.
Eine halbe Stunde für ein paar Worte, denkt der Enkel. Er schaut den Opa an. Auf dessen Gesicht liegt ein stiller Glanz. Er strahlt Dankbarkeit aus und Ruhe, trotz aller Beschwerden. Geborgenheit in Gott. Der Jüngere bemerkt es und ist angerührt. Er bewahrt das kurze Gespräch noch lange in seinem Herzen. Und manchmal, wenn ihm alles zu viel wird, dann denkt er an den Opa, an seine Dankbarkeit, sein Aufgehobensein in Gott.
Mose. Er ist fast angekommen bei seinen Leuten. Jetzt kommen ihm Erwachsene entgegen. Sein Bruder Aaron und andere von den Ältesten. Mose sieht den Schrecken in ihren Augen. „Dein Gesicht“, murmelt Aaron, „es glänzt wie die Sonne“. – „Komm her“, sagt Mose und breitet die Arme aus. „Kommt alle her zu mir!“ Sie tun, was er sagt, obwohl ihnen die Furcht in den Augen steht. Irgendwas muss mit seinem Gesicht geschehen sein durch die Gottesbegegnung auf dem Berg. Ein schmaler Hang vor dem Lager. Sie setzen sich, Männer und Frauen, Mose und alle, die ihm entgegengegangen sind. Mose zeigt ihnen die Tafeln. Liest ihnen vor. Gottes Wort. Die Zehn Gebote. Gottes Ja zu ihnen trotz allem. Wenn ihr mit mir gehen wollt durch die Wüste ins Gelobte Land, sagt Gott, hier geht es lang. Gott den Herrn lieben. Keine anderen Götter haben. Den Feiertag heiligen. Vater und Mutter ehren. Ehrlich sein. Dem Nächsten lassen, was ihm gehört. Das ist die Anleitung. Die große Chance zum Leben mit Gott.
Und ich? Ich war noch nie 40 Tage ununterbrochen mit Gott im Gespräch auf einem heiligen Berg. Die meiste Zeit bin ich eher unten, in der Ebene, im Alltag. Mose hat sich gewünscht, Gott sehen zu dürfen. Hat sich nicht zufriedengegeben nur mit Gottes Worten. Wollte ihn sehen mit eigenen Augen. Das kann ich verstehen. Gerade im Alltag, im normalen Trott, brauche ich ihn, will wissen, dass er mit mir ist. Ich sehne mich nach Geborgenheit, nach Gottes Nähe, nach Aufgehobensein in ihm.
Mose hat das erlebt. Erst auf dem Berg und später unten im heiligen Zelt. Immer wieder ist er hineingegangen, um mit Gott zu reden. Da musste er keine Decke über dem Gesicht tragen. Vor Gott konnte er sein, so wie er ist. Mit dem Glänzen auf seinem Gesicht, und vielleicht auch mit Sorgen im Herzen. Alles hat er mit Gott beredet. Und der Glanz auf seinem Gesicht ist geblieben.
Wir brauchen keinen Berg, kein heiliges Zelt. Eine geht vor dem Gottesdienst zum Gebetsleuchter. Zündet eine Kerze an und bringt ein Anliegen vor Gott. Ein anderer findet seinen Raum mit Gott in der Stille. Eine liest jeden Morgen die Losungen. Ein anderer guckt in die Bibel-App auf dem Handy. In so einem Moment kann ich ganz ich selbst sein. Muss mich nicht verstellen, brauche keine Decke über meinem Kopf. Ich bin da und Gott ist auch da. Und etwas von seinem Glanz kann übergehen auf mich.
Und wenn mir Gott trotz allem fern scheint? Es gar nicht zum Leuchten ist in meinem Leben?
Dann kann ich auch das vor Gott bringen. Ihn um seine Nähe bitten. Oder sie mir zusprechen lassen mit einem Segen. Der Herr lasse leuchten sein Angesicht über dir und sei dir gnädig. Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und schenke dir Frieden.
Wir gehen gesegnet aus jedem Gottesdienst.
Amen.