Sprich nur ein Wort! Predigt zu Matthäus 8,5-13

Sat, 22 Jan 2022 15:23:08 +0000 von Charlotte Scheller

von Charlotte Scheller. Audio unter diesem Beitrag
mit einem Gebet von Pastorin Anne Dill

Danke, dass Sie zurückrufen, sage ich. So spät noch, nach Feierabend. Haben Sie zwei Minuten? - Ja sicher, sagt er. Ich erkläre ihm die Lage. Er ist Arzt, aber mir geht es nicht um Medizin, ich brauche einen Rat. Er hört zu. Wägt ab. Nimmt behutsam Stellung. Aber dann sagt er: Die Verantwortung nimmt Ihnen keiner ab. Es sind schwierige Zeiten. Sie müssen selbst entscheiden. Beten Sie darüber, bringen Sie Ihre Frage vor Jesus! Ja, sage ich. Das mach ich. Danke. 
 
Deshalb hab ich ihn angerufen. Weil er sachlich ist und nüchtern. Und weil er Christ ist. Manchmal kann ich mir das entscheidende Wort nicht selbst sagen. Es braucht einen andern, der mich an Gottes Wort erinnert. Nicht bloß in der Kirche, auch im Leben. Da vor allem. „Ich schäme mich des Evangeliums nicht“, schreibt Paulus den Römern, „denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben. Die Juden zuerst und dann die Griechen“. Offenbar war es zu Paulus' Zeit schon peinlich in gewissen Situationen, vom Evangelium zu reden. Offenbar ist es das immer noch. Dass einer vom Glauben spricht, nicht in der Kirche, sondern draußen, auf der Straße zum Beispiel, in der Arztpraxis oder im Einkaufsladen, dass eine Jesus ins Spiel bringt, wenn es darum geht, eine Alltagsfrage zu beantworten oder einen Knoten in der Seele zu lösen, das kommt selten vor. 
 
Matthäus erzählt von einem Gespräch auf der Straße. Kapernaum, Ortseingang. Auf der einen Seite Jesus mit seinen Leuten. Ins Gespräch vertieft, denk ich. Sie kommen vom Berg, Jesus hat lange gepredigt. Selig sind die Barmherzigen. Liebt eure Feinde. Wenn dich einer nötigt, eine Meile mitzugehen, geh zwei mit ihm. Klug ist, hat Jesus gesagt, wer meine Rede hört und danach lebt. Eine Menge Leute haben zugehört, Neugierige, Sinnsuchende, Bedürftige. 
 
Jetzt kommt ein anderer auf ihn zu. Er passt nicht ins Bild. Ein Hauptmann der Garnison des römischen Herrschers Herodes Antipas. Die Stadt liegt im Grenzgebiet. Die Begegnung ist grenzwertig. Der Wanderprediger mit seiner bunten Truppe, in Sandalen und staubigem Umhang. Und der Soldat mit Helm, Schwert und Schild. Herr, sagt der Hauptmann. Dann fällt er mit der Tür ins Haus. Mein Knecht liegt zu Hause, gelähmt, er quält sich fürchterlich! Jesus bleibt stehen. Soll ich etwa kommen und ihn heilen? Das ist ganz normal aus seiner Sicht, ein Rabbi der jüdischen Gemeinde darf das Haus eines Nichtjuden, eines Unreinen nicht betreten. Der Hauptmann weiß das. Er baut Jesus eine Brücke. Herr, ich bin es nicht wert, dass du unter mein Dach gehst. Aber sprich nur ein Wort, dann wird mein Knecht gesund! 
 
Der Hauptmann ist eingespannt zwischen Oben und Unten, ein Rädchen im Getriebe. Er muss gehorchen und wenn er befiehlt, tun es seine Untergebenen. Geh hin! – Komm her! – Tu das! Er macht seinen Dienst, sachlich und nüchtern. Aber jetzt hat etwas anderes Vorrang. Jetzt treibt ihn das Mitgefühl. Herr, mein Knecht leidet Qualen! Gut, wenn Vorgesetzte so mit ihren Mitarbeitenden umgehen! 
 
Offenbar ist für ihn Jesu Vollmacht eine ebenso klare Sache zwischen Oben und Unten. So wie er seinen Knechten befehlen kann im Namen des Kaisers, so traut er Jesus zu, der Krankheit zu befehlen im Namen des Allmächtigen. Komm her! Geh weg! 
Aber. Wenn ich krank wäre, wenn ich zu Hause liegen würde und mich nicht bewegen könnte, wenn ich mich quälen würde mit all den Schmerzen und der Einsamkeit, mit all den Selbstvorwürfen, weil irgendwas muss ich doch falsch gemacht haben, und den Fragen, wie es weitergehen soll, wenn - dann würde ich mich womöglich nicht ernst genommen fühlen von Jesus. Mir wäre wohl einer, der meiner Krankheit befiehlt abzuhauen, noch dazu von ferne, eher suspekt. Aber offenbar geht es in der Geschichte nicht vorrangig um den kranken Mitarbeiter. Zu allererst geht es um den Hauptmann. Um sein Vertrauen in Jesu Kompetenz. Um sein Mitleid und sein Verantwortungsgefühl.
 
Jesus ist überrascht. Zunächst antwortet er dem Hauptmann nicht. Er redet mit denen, die mit ihm unterwegs sind. Wirklich, solchen Glauben habe ich in Israel nicht gefunden! Einer, der nicht zur Gemeinde gehört, einer mit einer ganz anderen Weltanschauung zeigt uns, was Gottvertrauen ist! Das ist erst der Anfang, sagt Jesus und greift auf, was immer Israels Hoffnung gewesen ist. Die Vision in Zeiten der Gottverlassenheit: Einmal werden alle Gottes Macht erkennen. Einmal werden alle kommen, von Osten und von Westen, von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, und sich an einen Tisch setzen mit den Glaubenden aller Zeiten! 
 
Das Gottesvolk hat den Glauben nicht gepachtet. Ich stelle mir vor, der Hauptmann würde mir heute begegnen. Ein Offizier. Er gehört nicht zur Kirche, aber er hat viel zu sagen zum Sinn des Daseins. Er praktiziert Nächstenliebe. Setzt sich ein für ein respektvolles Miteinander bei der Truppe. Er kriegt mit, wenn einer seiner Untergebenen sich quält. Er hält Ausschau nach Hilfe. Vielleicht mag er nicht tiefer einsteigen in diese Glaubenssachen, aber Jesus ist für ihn eine gute Adresse. Herr, ich hab gehört, du kannst Menschen gesund machen. Du brauchst nicht gleich zu mir nach Hause zu kommen. Aber sag was zu meinem Mitarbeiter. Schick deine Gotteskraft zu ihm, damit er sich nicht mehr quält. 
 
Jesus weist den Hauptmann nicht ab. Obwohl er doch zuerst gefragt hat: Soll ich etwa in dein Haus kommen? Jesus ergreift das Bisschen Glauben und jetzt ist er es, der befiehlt: Geh hin! Dir geschehe, wie du geglaubt hast! Genau in der Stunde wird der Knecht gesund. Nicht weil er selbst irgendwas geglaubt oder gesagt oder getan hätte. Bloß weil sein Hauptmann Jesus zugetraut hat, dass er ihn gesund macht aus Gottes Kraft.
 
Herr, ich bin nicht würdig. Aus der katholischen Abendmahlsliturgie kenne ich diese Worte. Nahe gekommen sind sie mir in Taizé. Ein ökumenisches Jugendtreffen in der Weite Burgunds. Es sind mehrere tausend Jugendliche da. Sie reden über Gott und die Welt, über Bibelworte und ihr eigenes Leben heute und was sie damit anfangen sollen. In der Kirche treffen sich alle zum Gebet. Morgens wird Abendmahl gereicht. Das Brot wird gebrochen. Seht das Lamm Gottes, das hinwegnimmt die Sünde der Welt. Und dann die Antwort, von tausend Stimmen gemurmelt, in hundert Sprachen: Herr, ich bin nicht würdig, dass du eingehst unter mein Dach, aber sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund. So weit ich mich manchmal entfernt sehe von Gott, von meinen Mitmenschen, von mir selber, so klamm und starr sich manchmal mein Körper anfühlt oder meine Seele, so sehr bin ich aufgehoben in diesen Worten. Sie sind heilsam wie das Zeichen, das gebrochene und geteilte Brot. Wie ein Mensch, der mir zuhört, der den Gesprächsfaden nicht abreißen lässt, der zu mir sagt: Komm her mit dem, was dich belastet und lähmt. 
 
Kennen Sie HioB? Eine Initiative hier in Göttingen. Der Name erinnert an den Mann in der Bibel, der alles verloren hat. Der mit Gott hadert und mit seinen Freunden streitet und doch am Schöpfer festhält. Zuletzt kehrt das Leben zurück in sein Haus. Gott schenkt ihm neues Glück. Der Name der Initiative ist auch eine Abkürzung. Hilfe ohne Bedingungen. Im Haus Hiob können Menschen unterkommen, die auf der Straße leben oder gerade aus ihrer Wohnung geflogen sind. Die in Göttingen keine Chance auf eine Wohnung haben. Jeder kann anrufen. Für jede Notlage wird eine Lösung gesucht. Ehrenamtliche kümmern sich um die Hilfesuchenden. Ein Arzt versorgt sie. Ich habe eingangs von ihm erzählt. Ein Mensch ist für den andern da in Jesu Namen. Ohne Kirchenmitgliedschaftsbescheinigung. Ohne irgendwelche Bedingungen. 
 
Dir geschehe, wie du geglaubt hast. So verabschiedet Jesus den Hauptmann und der Knecht wird gesund. Was kann ich lernen vom Hauptmann? Meine Bitten und die Sorgen um andere zu Jesus tragen. Meine Fragen, meinen Kummer, meinen Zwiespalt ins Gebet nehmen. Was kann ich lernen von Jesus in dieser Begegnung? Mich immer wieder öffnen. Über die Kirchenmauern hinaus schauen. Den Glauben, das Vertrauen in meinem Gegenüber wahrnehmen, selbst wenn es nur eine klitzekleine Spur sein sollte. Und Gott zutrauen, dass er den Knoten löst. In meiner Seele und, wenn nötig, in der meines Gegenübers. Amen.

Gebet (Anne Dill)
 
Herr, guter Gott,
Du hörst, was wir Dir sagen.
Wir bitten Dich für die, die krank sind.
Für die, die auf Besserung hoffen
und für die, die wissen, 
dass es nicht besser werden wird.
Sei da – sei nahe!
 
Gott, Du bist die Liebe.
Wir bitten Dich für die,
die sich um einen Menschen sorgen,
die nicht wissen, wie es weitergehen soll
und die nachts nicht schlafen können.
Sei da – sei nahe!
 
Gott, Du schenkst Hoffnung.
Wir bitten Dich für alle,
die Sehnsucht haben:
Nach Zusammensein und Feiern 
und dem Leben,
nach den Kindern und Enkeln,
nach einem guten Wort,
nach Licht und Hoffnung
Sei da – sei nahe!
 
Gott, Du bist Herr über die Welt,
wir bitten Dich für alle Mächtigen
und die, die Verantwortung tragen:
Leite sie in ihrem Handeln.
Lass sie weise und mutig entscheiden.
Sei da – sei nahe!
 
Barmherziger Gott,
was uns im Innersten 
bewegt und umtreibt,
sagen wir Dir in der Stille:
Sei da – sei nahe!
 
Alles legen wir in die Worte,
die Jesus Christus uns gesagt hat:
Vater unser im Himmel ...
Amen.
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