zu Matthäus 6,16-21
Der Friede Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.
Der Friede Gottes, die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.
Liebe Gemeinde,
am nächsten Mittwoch beginnt die Passionszeit, die Fastenzeit: von Aschermittwoch bis Ostersamstag.
Die Fastenzeit berührt und bewegt viele Menschen - und auch mich. Da wir kurz vor dieser besonderen Zeit stehen, habe ich das Fasten als Thema für die heutige Predigt ausgewählt.
Nun könnten Sie bei sich denken: „Worauf soll ich denn noch verzichten? Fasten wir nicht schon genug in dieser Zeit von „Corona“, wo wir auf vieles verzichten müssen?“
Ja, zwangsläufig haben wir die letzten 12 Monate auf viel verzichten müssen …
Beim Fasten allerdings geht es zuallererst nicht um Zwang und auch nicht immer um Verzicht.
Fasten ist keine Diät. Fasten ist vielmehr eine Übung in Konzentration. Also ein „Sich-Ausrichten“ hin auf eine bestimmte Sache.
Im religiösen Sinne bedeutet Fasten das „Sich-Ausrichten auf Gottes Wort“. So berichtet es uns die Bibel in vielen Beispielen: Mose, Elia und Jesus fasteten – meist ganze 40 Tage lang – um sich auf die Begegnung mit Gottes Wort vorzubereiten. Meist fand diese Fastenzeit in der Wüste statt.
Wenn wir an Wüste denken, denken wir an Trockenheit ohne Leben spendendes Wasser, an Kargheit.
Wüste steht aber auch dafür, dass jegliche Alltagsumstände ausgeblendet sind. In der Wüste ist der Suchende allein, frei von allem, was ihn ablenken könnte. Auf sich gerichtet kann der Suchende den Blick schärfen und neu ausrichten.
In diesem Sinne ist die Fastenzeit eine „Wüstenzeit“, eine Zeit, sich von unnötigem Ballast zu befreien und seinen Blick auf das Wesentliche zu richten.
Es handelt sich weniger um das Einhalten religiöser Vorgaben, als vielmehr um ein „Sich-neu-Ausrichten“.
Beim Fasten kann Platz für Neues in den Blick kommen und oft auch Platz für Gottes Wort.
Eine gute Gelegenheit, sieben Wochen als Chance zu erfahren, das eigene Leben zu überdenken und sich auf das Wesentliche zu besinnen, auf das, was mich wirklich trägt. Und vielleicht aufzudecken, was mich immer wieder davon abhält, dieses Wesentliche auch langfristig im Blick zu behalten.
Bei unseren katholischen Schwestern und Brüdern ist das Fasten schon immer Brauch gewesen. In der evangelischen Kirche wurde es 1983 wieder entdeckt oder wieder belebt.
Der Pastor und Journalist C.G. Westphal erzählt von dieser Wiedergeburt des Fastenbrauches in der evangelischen Kirche Folgendes: „1983 saßen wir bei unserem Hamburger Journalistenstammtisch beieinander und ordneten die Welt. Als die Flaschen leer und die Aschenbecher voll waren, sagte ich: >Ab Aschermittwoch trinke ich keinen Alkohol mehr<. Meine Mitteilung stieß auf großes Erstaunen. >Du bist doch nicht katholisch?<, entfuhr es einem, aber ich schüttelte lächelnd den Kopf: >Auch einem Evangelischen kann es nicht schaden, die Passionszeit etwas bewusster zu erleben. Und meiner Leber täte es auch ganz gut.<“
Eine Diskussion entbrannte unter den Journalisten und schloss mit einer Abmachung: Mehrere Journalisten wollten versuchen sieben Wochen auf Alkohol zu verzichten. Einer wollte bis Ostern nicht rauchen, ein Anderer Chips und Cola meiden, ein Weiterer das Fernsehen deutlich reduzieren. So suchte sich jeder seine eigenen schädlichen Gewohnheiten oder gar Abhängigkeiten aus, um sieben Wochen von ihnen zu lassen.
Als dann eine Kirchenzeitung von dieser Fasteninitiative berichtete, schlossen sich 300 Teilnehmende spontan an. Das war der legendäre Start der Fastenaktion „7 Wochen ohne“.
Heute nehmen mehr als zwei Millionen Teilnehmer an der Aktion teil. Das muss man sich mal vorstellen!
„Klar sehn. Frei sein. Leben finden.“ So lautete einer der frühen Fastenslogans.
Fasten bedeutet für viele Menschen und auch für mich eine faszinierende Möglichkeit, mit klarem Kopf Neues zu wagen. Da gibt es nur ein Problem: Veränderungen machen uns manchmal Angst. Darum halten sich manche lieber an alten Ufern fest, bleiben kleben an dem, was sie gewohnt sind.
Wer aber frei schwimmen will im Fluss des Lebens, wer die Fesseln von allerlei Gewohnheiten und Abhängigkeiten lösen möchte, für den ist Aschermittwoch eine echte Chance auf Veränderung.
Und Veränderung bedeutet nicht immer, etwas wegzulassen.
Sich auf Unbekanntes einzulassen, kann auch bedeuten, eine neue Gewohnheit zu erlernen.
Der ökumenische Verein „AndereZeiten e.V.“, dessen Begründer der evangelische Pastor C.G. Westphal ist, von dem ich Ihnen eben erzählte, ruft jedes Jahr zur Fastenaktion auf, die da heißt: „7 Wochen anders leben“.
Was in den Anfängen nur der Verzicht auf bestimmte Genußmittel war, hat sich im Laufe der Jahre zu einem bunten Strauß von Fastenvorhaben entwickelt.
Besonders das Hinzulernen von guten Gewohnheiten finde ich höchst interessant. Da nimmt sich die Eine vor, jeden Tag einen Psalm zu lesen. Ein Anderer versucht, täglich Sport zu treiben, und ein Dritter möchte lernen, offen auf andere Menschen zuzugehen.
Von einem Fastenvorhaben, das mich tief berührt hat, möchte ich Ihnen noch erzählen:
Thomas hat sich im letzten Jahr vorgenommen, jeden Tag ein Herz zu verschenken. Er hatte das Jahr über viele kleine Herzen in einem Karton gesammelt. Die Aktion stellte sich für ihn als schwerer heraus, als zuvor gedacht. Schon am ersten Fastentag schlich er die ganze Zeit herum und wagte es nicht, auf jemanden zuzugehen. Schließlich faßte sich Thomas am Abend des ersten Tages im wahrsten Sinne des Wortes ein Herz und sprach eine Frau an einer Tankstelle an und schenkte ihr das erste Herz. Die Frau war perplex. Später traf er die Frau an der Kasse wieder und da hat sie sich ganz doll bedankt.
Jeden Tag traute sich Thomas etwas mehr.
Dann hat ihm Corona einen Strich durch die Rechnung gemacht. Er konnte die Menschen nicht mehr einfach ansprechen. Also stellte er jeden Tag einen goldenen Teller vor seine Haustüre und legte ein Herz darauf. „Am nächsten Morgen waren die Herzen immer weg.“
Über seine Fastenerfahrung sagt Thomas: „Es hat mir die Augen geöffnet für meine eigene Scham, aber auch für die von anderen Menschen.“ Einfach auf Menschen zuzugehen und ihnen etwas zu schenken, das erscheint in unserer Gesellschaft als fremd.
Auch für mich ist die Fastenzeit in jedem Jahr eine neue Entdeckungsreise.
Vielleicht möchten auch Sie sich auf diese Entdeckungsreise begeben. Über die Fastenaktionen unserer Kirche oder die vom ökumenischen Verein „AndereZeiten“ können Sie sich im Internet informieren.
Die entsprechenden Links dafür sind auf dem Liedblatt abgedruckt.
Jesus spricht:
„Wenn ihr fastet, sollt ihr nicht sauer dreinsehen wie die Heuchler; denn sie verstellen ihr Gesicht, um sich vor den Leuten zu zeigen mit ihrem Fasten.“ (MT 6,16)
Ich denke nicht, dass Jesus uns mit diesen Worten davon abhalten möchte, anderen von unserem Fastenvorhaben zu erzählen. Aber wir sollten uns damit nicht wie mit bunten Federn schmücken oder es als Lorbeer aushängen.
Jedes individuelle Fastenvorhaben bleibt eine ganz persönliche Angelegenheit, die in erster Linie dazu dient, frei zu werden von dem, was uns das Leben schwer macht und uns den Weg zu Gott und zu unserem Nächsten versperrt.
Liebe Gemeinde,
ich hoffe, es ist mir gelungen, Sie heute neugierig zu machen auf das Thema Fasten. Vielleicht entdecken Sie ja diese besondere Zeit auch für sich als Möglichkeit einer ganz neuen Freiheit.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine gesegnete Fastenzeit.
Amen
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen in Christus Jesus.
Evangelische Kirche: