Ich und Christophorus
Gesetzt den Fall, ich hätte einen Riesen an der Seite,
Gesetzt den Fall, ich hätte einen Riesen an der Seite,
‘nen starken Typ, der zu mir hält, egal mit wem ich streite,
der mich durchs tiefe Wasser trägt
und sich mit meinem Feind anlegt,
hart wie ein Fels, weich wie ein Bär -
schon klar, dass ich dann glücklich wär!
Doch leider Gottes würde mich der Riese gar nicht sehn,
denn nur dem Herrn der ganzen Welt will er zu Diensten stehn.
Will wissen, wozu er denn da ist,
und weil das überhaupt nicht klar ist,
dient er Königen und Bösen,
kann doch das Problem nicht lösen:
Wer bin ich und was ist mein Muss?
Dann steht er jahrelang im Fluss.
Was macht er hier? Er hat doch nach dem Herrn der Welt gesucht.
Statt dessen ist er jetzt als Flutenträger ausgebucht.
Tagaus tagein am Ufer stehn,
so hat er das nicht vorgesehn.
Jetzt macht er, was ihm vor die Hand kommt,
sorgt dafür, dass man sicher ankommt.
Anstatt dass er den Höchsten find‘t,
steht da am Ufer jetzt ein Kind.
Trag mich hinüber, sagt das Kind und er sagt Wird gemacht
und schultert lässig nebenbei die federleichte Fracht
und nimmt den Stock, ab durch die Flut.
Doch mittendrin gehts ihm nicht gut.
Das Kind, es wiegt jetzt tonnenschwer,
wie wenn‘s die Last von allen wär.
Mit letzter Kraft trägt er’s an Land.
Da macht das Kind sich ihm bekannt.
Du hast den Herrn der Welt gesucht, weil du ihm dienen musst.
Du hast mich übern Fluss geschleppt und bist ganz unbewusst
dem Herrn der Welt, Christus begegnet,
der dich für deine Liebe segnet.
Das Kind ist stark, der Riese klein.
Gib mir die Last. Ich lad dich ein!
Christophorus. Ich hab wie du das Kind an meiner Seite,
den Weggefährten, schwach wie ich, für den ich manchmal streite,
den ich durchs tiefe Wasser trage,
der immer da ist ohne Frage,
stark wie ein Fels, frisch wie der Wind -
ich halt ihn hoch. Den Herrn. Das Kind.
29.4.2020, Charlotte Scheller