Klare Ansage. Predigt am 27.2.22 von Charlotte Scheller

Sat, 26 Feb 2022 15:12:09 +0000 von Charlotte Scheller

zu Mk 8,31-38. Audio unten in diesem Beitrag
Und er fing an, sie zu lehren: Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen. Und er redete das Wort frei und offen. Und Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren. Er aber wandte sich um, sah seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach: Geh hinter mich, du Satan! Denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist.
Und er rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben behalten will, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird’s behalten. Denn was hilft es dem Menschen, die ganze Welt zu gewinnen und Schaden zu nehmen an seiner Seele? Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse? Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt unter diesem ehebrecherischen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln.
 
Liebe Gemeinde, was jetzt kommt für Jesus und seine Freunde, ist kein Spaziergang. Die Residenzstadt Cäsarea Philippi liegt im äußersten Norden des Landes. Eine Entscheidung steht an. Flucht ins Ausland oder Rückkehr nach Israel, hinein in die Stadt Jerusalem, mitten hinein in die Gefahr. Was sagen die Landsleute über Jesus? Er wird für Johannes den Täufer gehalten oder für den wiedergeborenen Elia, für einen anderen Propheten oder einen Aufrührer. Und der engere Kreis, seine Jünger, was halten sie von ihm? Petrus spricht für sie. „Du bist der Christus“, sagt er. Der Gesalbte, der Retter, den Gott schickt. Der gute Hirte für unser Volk.
 
Jetzt geht es also hinauf nach Jerusalem. Das Ziel des Weges kommt in Sicht. Jesus redet ganz offen. Frei und direkt, nicht in Gleichnissen wie vorher mit all den Leuten, die ihn kennenlernen wollten. Oder provozieren. Mit den Freunden redet er Klartext. Denn jetzt kommt es auf sie an und darauf, wie sie zu ihm stehen. Es wird schwer. Jesus wird sich stellen. Er stellt sich den Führern seines Volkes. Und seinem Schicksal. Es wird nicht gut ausgehen. Er wird, er muss verworfen werden. Hält ihre Freundschaft das aus? 
 
Petrus hat ihn den Christus genannt. Jesus selbst nennt sich Menschensohn. Gottes Kraft und Vollmacht ist in ihm. Aber er geht den Weg eines Menschen. Nicht den eines gesalbten Königs, sondern den eines Verfolgten, Verachteten, Verurteilten. Wie sollen sie das begreifen? Kein Wunder, dass sie verwirrt sind, Petrus und die anderen. Im Unklaren darüber, ob sie weiter mit ihm gehen sollen. Ob ihre Freundschaft das aushält. Sag du es uns, Jesus. Erklär uns das! Und Jesus sagt: Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und den Hohenpriestern und den Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen.
 
Dahin also soll die Reise gehen. Der Weg des Menschensohns führt in den Tod. Das kann nicht sein. Er wird sie entmutigen. Er ist ihr Lehrer. Er muss doch stark sein für sie! Petrus nimmt ihn beiseite. So darfst du nicht reden. Nicht mal denken. Du bist der Retter. Du bist unser Held. 
 
Was muss eine Freundschaft aushalten? „Dir kann ich es sagen“, flüstert die Frau. Ihr Mann hat ihr das Kopfteil hochgestellt und sie dann mit der Besucherin allein gelassen. „Er will es nicht hören. Er sagt, ich muss kämpfen. Ich soll nicht mal daran denken, dass ich es nicht schaffen könnte. Aber“, sie sinkt ins Kissen zurück, „das hier wird nichts mehr. Ich weiß es schon lange. Und ich habe meine Mutter gehört. Sie ruft mich. Ich soll zu ihr kommen in den Himmel. Glaubst du das?“ Sie sieht die Besucherin an. Hält ihren Blick fest. Die schluckt. Kriegt nur ein einziges Wort raus: „Ja“. Aber es ist alles drin in dem Wort. Ich sehe, dass du stirbst. Ich wehre die traurigen Gedanken nicht ab. Ich halte die schreckliche Wahrheit mit dir aus. Und ja, ich glaube, dass da, am anderen Ende des Todes, ein Himmel ist.
 
Petrus sagt: So darfst du nicht reden. Jesus reagiert scharf. Geh hinter mich, du Satan! Das kann heißen: Geh mir aus den Augen. Was du willst, ist nicht, was Gott will. Du denkst menschlich und redest damit dem Teufel das Wort. Aber dem Leiden auszuweichen, ist nicht meine Mission. Verschwinde! Oder es heißt: Stell dich hinter mich. Werde Teil meiner Botschaft. Stell dich in Gottes Plan, nicht auf die Seite des Bösen.
 
Jetzt öffnet Jesus den Kreis. Er ruft alle zusammen, die treuen Weggefährten und die Zufallsbekannten. Die Jüngerinnen, die sich zu ihm bekennen, und die anderen, die noch rätseln, wer er ist. Alle haben die Wahl. Will mir jemand nachfolgen, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. 
 
Der Verurteilte nimmt sein Kreuz auf, wenn das Urteil rechtskräftig ist. Wenn klar ist, da geht nichts mehr. Dein Schicksal ist besiegelt. Wenn unausweichliches Leiden die Bedingung ist, um Jesus nachzufolgen, will ich das dann? Und kann ich das, mich selbst verleugnen? Ich dachte immer, Verleugnen ist Verrat. Dreimal, sagt Jesus später dem Petrus voraus, wirst du mich verleugnen in der Nacht, bevor der Hahn kräht. Soll ich etwa mich selbst verraten, um mit Jesus zu gehen?
 
Denn wer sein Leben behalten will, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird’s behalten. Denn was hilft es dem Menschen, die ganze Welt zu gewinnen und Schaden zu nehmen an seiner Seele? Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse?
 
Es geht um alles. Um das ganze Leben, den ganzen Menschen mit Leib und Seele. Es geht darum, dass ich mich richtig sehe. Ein Mensch mit Ecken und Kanten. Mit tausend Möglichkeiten. Und mit deutlichen Einschränkungen. Ich bin unendlich hilflos am Sterbebett eines anderen Menschen. Ich kämpfe dauernd. Um Anerkennung. Um Zugehörigkeit. Ich will stark sein. Eine gute Freundin. Eine verantwortungsvolle Bürgerin. Ein freier, selbstbestimmter Mensch. Und bin doch zutiefst abhängig und verletzlich. 
 
„Jeder hat sein Päckchen zu tragen“, sagte mir vor Jahren ein Mann. Er hatte eine schlimme Diagnose bekommen. „Jetzt kenne ich meins. Ich nehme es an. Ich weiß nun, ich werde nicht alt. Aber ich werde sehen, wofür Gott mich noch braucht“. Schon dafür, dachte ich, dass du es mir erzählst. Schon dafür danke ich Gott. Vielleicht ist das „mein Kreuz auf mich nehmen“. Dass ich auch meine Endlichkeit annehme. Meine Schwäche zugebe. Meine Verletzlichkeit nicht dauernd verstecke. Vor allem nicht vor mir selbst. Ich kann zugeben, dass die Nachrichten vom Krieg in der Ukraine mir eine bodenlose, lähmende Angst einjagen. Und dass ich nur schwer aushalte, meine Nachbarin ihr Kreuz tragen zu sehen. Ich kann riskieren, zu jemandem als erste zu sagen: „Ich liebe dich“, vollkommen wehrlos, ohne Garantie. 
 
Ich habe also eine Wahl. Ich kann versuchen, aus eigener Kraft zu leben. Allein fertig zu werden mit all dem Unvollkommenen an mir und meinem Weg. Oder ich kann das Schwere annehmen und Jesus hinterhergehen. Meine eigenen Wünsche und Ziele hintanstellen. Das Kämpfen einstellen, das Ringen um Perfektion. Mich selbst loslassen und mich in Gottes Hände befehlen. 
 
„Wir hatten alles gepackt“, erzählte der junge Mann in Kiew der Reporterin, vergangene Woche. „Wir wollten fliehen“. Er zieht die Schultern hoch und lässt sie wieder fallen, breitet die Arme aus. „Wir konnten nicht. Hier ist unser Leben. Hier sind unsere Freunde. Wir bleiben hier, egal was kommt. Wir wollen unsere Nachbarn unterstützen und ihnen beistehen“. 
 
Was kann der Mensch geben, um seine Seele zu retten? Nichts. Bloß von sich selbst absehen und statt dessen den anderen in den Blick nehmen. Schauen, was sie braucht. Aussprechen, was an ihm liebenswert ist. Sich mit ihr den Himmel ausmalen und das Wiedersehen. Das Gespräch suchen nach einem Streit, auch wenn ihm der gerechte Zorn die Kehle zuschnürt. Die Waffen strecken und dem Gegner, sogar dem bösesten, der den Krieg gewinnen will und die ganze Welt, eine Brücke bauen. Sich der eigenen Wehrlosigkeit nicht schämen. Und nie, niemals die Hoffnung aufgeben, dass Frieden wird. In Jesu Namen. Amen. 
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