Erklär mir die Liebe!

Sat, 12 Feb 2022 14:32:53 +0000 von Charlotte Scheller

Dialogpredigt im Literaturgottesdienst von Johanna Bierwirth und Katharina Grots
Mark Twain (1835-1910) ist bereits ein welt-berühmter Schriftsteller durch Werke wie Die Abenteuer des Tom Sawyer und Die Abenteuer des Huckleberry Finn, als einiges in seinem Leben durcheinander gerät. Mit seinem Verlag geht er Bankrott, er häuft einen riesigen Berg Schulden an. Seine Tochter stirbt an Meningitis, kurz darauf stirbt auch seine Frau. In dieser schwierigen Zeit entsteht zuerst das Tagebuch von Adam, später das Tagebuch von Eva. Die beiden Werke retten ihn aus dem Ruin, das Tagebuch von Eva gilt als Hommage an seine verstorbene Frau.
In den Tagebüchern beschreibt Twain mit viel Witz und Herz die erste Liebesgeschichte der Welt und zieht die Schöpfungsgeschichte der Bibel ganz schön durch den Kakao. Hier ist Adam ein kleiner Müßiggänger, der sich schwer durchsetzen kann. Eva packt zu und erforscht alles, aber manchmal zieht sie auch falsche Schlüsse. Und eine Tätigkeit von Eva geht Adam ganz schön auf die Nerven: Sie benennt alles! Für alles denkt sie sich Namen und Worte aus. So hält sie Adam davon ab, weiterhin die Niagara-Fälle runterzuspringen, und erklärt ihm das Wort „Angst“. Und nun hat Adam plötzlich so ein ganz neues, mulmiges Gefühl…
Die richtigen Worte finden ist gar nicht so einfach. Eva fällt es gar nicht leicht, Adam immer jede Bedeutung erklären zu können. Und wie erklärt man eigentlich das Wort Liebe? Das ist gar nicht so einfach! Auch Paulus versucht in seinem ersten Buch an die Korinther die Liebe zu beschreiben: Die Liebe höret nimmer auf. Sie glaubt alles. Sie hofft alles. Und sie hält allem stand.
Im Gottesdienst kommen die Texte ins Gespräch: Twains Tagebücher, das Hohelied der Liebe von Paulus und eigene Fortschreibungen der ersten Liebesgeschichte der Welt, daneben auch viele moderne Lieder über die Liebe.

Predigt zu Mark Twains "Die Tagebücher von Adam und Eva"
Adam:
Montag. Dieses neue Wesen ist ganz schön lästig. Es lungert herum und läuft mir dauernd nach. Das kann ich nicht leiden; ich bin Gesellschaft nicht gewöhnt. Wenn es doch nur bei den anderen Tieren bliebe… Heute bewölkt, Ostwind. Ich glaube, wir kriegen Regen. Wir? Wo habe ich dieses Wort her? Jetzt fällt es mir wieder ein. Das neue Wesen benützt es. 
Eva: Montag. Gestern Nachmittag bin ich dem anderen Wesen in einigem Abstand gefolgt, um wenn möglich zu sehen, wozu es da ist. Aber ich konnte es nicht herauskriegen. Ich glaube, es ist ein Mann. Ich habe noch nie einen Mann gesehen, aber es sah so aus, und ich bin mir sicher, dass es einer ist. Nach und nach habe ich gemerkt, dass es vor mir wegläuft. Ich habe es dann verfolgt, stundenlang. Das machte es nervös und unglücklich. Am Ende war es regelrecht verstört und kletterte auf einen Baum. Manchmal bewerfe ich es mit Erdklumpen, wenn es herunterkommt. Wenn dieses Wesen ein Mann ist, dann ist es kein Es, oder? Das wäre grammatikalisch nicht korrekt, oder? Ich glaube, es ist ein Er.
Eva: Hallo?!
Adam: Hallo.
Eva: Du kannst ja sprechen! Das ist ja toll! Ich liebe es zu sprechen!
Adam: Schön.
Eva: Hast du dich hier schon mal umgesehen? Hast du gesehen, wie viele Tiere es hier gibt? Schau, da ist ein Hase. Sieht doch aus wie ein Hase, oder? Und dort….
Adam: Das neue Wesen benennt alles, was daherkommt, bevor ich einen Einwand erheben kann. Und immer mit der gleichen Ausrede- es sieht so und so aus. Es ist ermüdend, sich darüber aufzuregen, und es hat keinen Zweck.
Eva: …und das ist ein Löwe. Sieht absolut so aus wie ein Löwe. *nimmt sich ihr Tagebuch und schreibt* Mittwoch. Wir kommen jetzt wirklich gut miteinander aus und lernen uns immer besser kennen. Er versucht nicht mehr, mir auszuweichen, was ein gutes Zeichen ist und zeigt, dass er mich gern um sich hat. Das freut mich. *klappt Buch zu* Schau …dort sind die Niagarafälle!
Adam: Niagarafälle? Das ist doch nur ein Wasserfall…
Eva: Stimmt. Und ich nenne sie nun „Niagarafälle“!
Adam: Wenn du meinst… und warum?
Eva: Na, das ist doch ganz logisch: Die Niagarafälle sind – wie du richtig erkannt hast – ein Wasserfall. Im Übrigen geht es da ganze 57 Meter runter! Dieser Wasserfall muss ja irgendwo seinen Ursprung haben. Der Fluss, der irgendwann zu den Niagarafällen wird, heißt „Niagarafluss“. Deswegen also „Niagarafälle“. Außerdem sehen sie so aus!
 
…ein paar Wochen später…
 
Eva: Du, Adam. Könntest du bitte nicht mehr die Niagarafälle überqueren?
Adam: Warum nicht?
Eva: Ich weiß nicht. Ich finde das irgendwie nicht so gut. Du könntest dir wehtun…
Adam: Ach, ich tu mir nicht weh! Aber um dich zu beruhigen: Ich nehme das nächste Mal ein Boot.
Eva: Nein, bitte auch kein Boot!
Adam: Gut, dann schwimme ich mit einem Feigenanzug auf die andere Seite
Eva: Nein, auch damit nicht! Das hilft doch nicht!
Adam: Dann nehme ich ein Seil zur Hilfe, um mich auf das andere Ufer zu ziehen!
Eva: Sag mal, verstehst du mich nicht? Ich habe ANGST um dich! Ich möchte nicht, dass du auf die andere Seite schwimmst, fährst oder dich ziehst!
Adam: Was soll denn das heißen? Angst?! Was ist das schon wieder für ein komisches Wort von dir? Ich verstehe nie, was du mir sagen willst! Das geht mir gehörig auf die Nerven! Ich gehe!
Eva:  Freitag. Ich versuchte noch einmal ihm auszureden, den Wasserfall hinunterzurutschen. Und zwar deshalb, weil mir die Sache ein neues Gefühl offenbart hat, ganz neu und deutlich anders als die Gefühle, die ich bisher kannte- Angst. Und sie ist entsetzlich! Ich wünschte, ich hätte sie nie kennengelernt. Sie bereitet mir düstere Stunden, sie zerstört mein Glück, sie macht mich zittern und schaudern. Aber ich konnte ihn nicht überzeugen, er kennt die Angst noch nicht und so konnte er mich nicht verstehen. Ich aber habe Angst um ihn, weil ich ihn so gern habe.
 
Eva: Hallo, Adam. Es tut mir leid. Hier, ich habe dir einen Apfel mitgebracht.
Adam: Wir sollen nicht von den Äpfeln nehmen! Das bringt Unglück! Also lass die Äpfel an dem Baum hängen und rühre sie nicht an!
Eva: Adam, ich habe mit der Schlange gesprochen und die hat mir geraten von dem Baum zu essen. Das Ergebnis soll nämlich eine erstklassige, eine glänzende und vortreffliche Bildung sein….
Adam: Ja, aber das würde auch bedeuten, dass du den Tod in die Welt bringen würdest!
Eva: Aber, das wäre doch fantastisch! Du weißt doch, dass ich die Tiere alle so in mein Herz geschlossen habe! Dann können die verzweifelten Löwen und Tiere endlich Fleisch essen – was ja schließlich auch deren Natur ist! Ich sehe doch, dass ihnen der Löwenzahn nicht schmeckt.
Adam: Mittwoch. Ich habe eine abwechslungsreiche Zeit hinter mir. Letzte Nacht bin ich geflohen und die ganze Nacht so schnell wie möglich auf einem Pferd geritten, in der Hoffnung, aus dem Park zu verschwinden und mich in einem anderen Land verstecken zu können, bevor das Unheil losbricht. Aber es sollte nicht sein. Eva hatte die Frucht gegessen.
Eva: Ach, hier bist du! Ich habe dich schon gesucht! Hier, ich habe dir Äpfel mitgebracht! Du musst doch sicherlich Hunger haben!
Adam: Danke! Schmeckt wirklich gut! Ich war aber auch sehr hungrig.
 
….einige Monate später….
 
Adam: Freitag. Wir haben es „Kain“ genannt. Eva hat es im Wald gefangen. Ich weiß noch nicht genau, was es für ein Wesen ist…ein Fisch vielleicht? Komisch ist nur, dass das Wesen irgendetwas mit Eva gemacht hat. Sie ist total verändert: Alles dreht sich nur noch um dieses Wesen. Und mir geht einfach nicht die Frage aus dem Kopf, was für ein Wesen dieses Kain sein soll. Vielleicht ja doch eher ein kleines Känguru. Ich würde es gerne aufschneiden und reingucken, aber Eva will es nicht und hat panische Angst um dieses Kain bekommen. Wie lächerlich! Sonst ist sie doch auch immer so neugierig. Und dann freut sie sich so, wenn das Kain seltsame Laute macht. Es klingt fast wie Wörter, aber sehr simple. Es sagt Silben doppelt, das klingt dann ungefähr so: Ma-Ma oder Pa-Pa. Lächerlich.
Eva: Adam, versteh doch endlich: Das ist kein Fisch und kein Känguru. Schau doch mal! Es sieht aus wie wir, nur kleiner!
Adam: Ich sehe ganz sicher nicht so aus! Diese kleinen dicken Ärmchen, die es immer zum Laufen braucht. Es kriecht so seltsam über die Erde. Machen wir sowas etwa auch?
Eva: Er muss das Laufen doch erst lernen.
Adam: Er?!?
Eva: Ja, er ist ein Er, so wie du. 
Adam: Nichts an ihm ist wie ich! Schau es dir an! Du machst dich doch lächerlich!
Eva: Aber Adam, das ist doch unser Kind.
Adam: Unser was?!?! Das ist doch schon wieder so ein ausgedachtes Wort von dir!
Eva: Es ist aber das richtige Wort, das weiß ich! Wenn ich ihn ansehe, dann fühle ich ein bisschen das, was ich auch fühle, wenn ich dich ansehe. Aber irgendwie nochmal anders. Mir wird so warm und ich muss lächeln.
Adam: Wenn er ein Kind ist, was bin dann ich? 
Eva: Du bist ein Vater, und ich bin eine Mutter. Ich glaube, sowas ist Gott auch für uns beide und für Kain glaube ich auch.
Adam: Wie kommst du denn auf sowas? 
Eva: Also irgendwie ist da was, was uns so zusammenhält. Dich und mich, und auch Kain und mich und ich glaube auch dich und Kain. Und irgendwie hält mich sowas Ähnliches auch mit Gott zusammen. Ich glaube, wenn es mehr von uns gäbe, dann würden wir das ganz oft sowas beobachten können. Menschen, die etwas zusammenhält. Ich weiß nicht, woher ich das weiß, aber da sind so Worte in meinem Kopf: Schwestern, Freunde, Großeltern, Nachbarinnen, Brüder, Patinnen, und so viel mehr. Seit Kain da ist, weiß ich, dass dieser Zusammenhalt nicht nur zwischen dir und mir, zwischen einem Mann und einer Frau ist. Sondern in so vielen Formen und Farben. Ich glaube, man kann in ganz vielen Menschen dieses eine Etwas finden. Ach Mensch, das Wort liegt mir auf der Zunge! Warum finde ich es nicht?
Adam: Eva, ich glaube, ich kenne das Wort, das du suchst. Gott hat es gesagt. Und vielleicht, ganz vielleicht, gehört es zu diesen Worten, mit der er diese Welt geschaffen hat. Ich glaube, das was du sagen willst, das Wort, das du suchst, ist Liebe.
Eva: Ja, genau das ist es! Liebe! Natürlich! Ich liebe dich und ich liebe Kain! 
Adam: Ich glaube, die Liebe war schon immer da. Wir wussten das Wort nur nicht. Die Liebe muss ganz am Anfang dagewesen sein. Gott hat uns zuerst geliebt, und aus seiner Liebe sprudelt unsere Liebe heraus.
Eva: Das hast du schön gesagt. Die Liebe war von Anfang an da. Und die Liebe höret nimmer auf. Die Liebe kommt einfach und man kann sie nicht erklären.
Adam: Die Liebe ist geduldig. Du hast so lange gewartet, bis ich mit dir gesprochen habe. Gut, dass du so beharrlich warst.
Eva: Die Liebe ist gütig. Ich spüre, dass Gott sich noch um uns kümmert, dass er uns liebt, auch wenn wir nicht mehr im Garten sind. Gottes Liebe ist stärker als alles andere. Kein Apfel kann uns von der Liebe Gottes trennen.
Adam: Die Liebe erträgt alles. Wir haben uns so oft gestritten. Und irgendwie immer wieder zueinander gefunden.
Eva: Die Liebe glaubt alles. Und ich glaube an die Liebe. Ich glaube, dass Gott selbst die Liebe ist, und wenn wir in ihm bleiben, dann bleiben wir auch in der Liebe. 
Adam: Die Liebe hofft alles. Ich hoffe, dass meine Kinder und Kindeskinder und alle, die nach uns kommen, die Liebe nicht vergessen, wenn sie einander begegnen. 
Eva: Am Ende aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei. Doch die Liebe ist die größte unter ihnen.

Adam: Ich begreife nach all dieser Zeit, dass ich mich in Eva getäuscht habe; außerhalb des Gartens mit ihr zu leben ist besser als im Garten ohne sie. Zuerst dachte ich, dass sie zu viel redet, jetzt würde es mir leidtun, wenn diese Stimme verstumme und nicht mehr Teil meines Lebens wäre. Gepriesen sei der Apfel, der uns zusammenführte und mich gelehrt hat, die Güte ihres Herzens und die Anmut ihres Geistes zu erkennen! Ich liebe ihre lebhafte und freundliche Art! Ihr Lächeln! Ihr Gerede! Einfach Alles! 
Eva: Nachdem ich aus dem Garten vertrieben worden bin, habe ich gemerkt: Ich liebe Adam! Wenn ich mich frage, warum ich ihn liebe, stelle ich fest: Ich weiß es nicht! Und im Grunde, ist es mir auch egal, es zu wissen! Er ist stark und hübsch und dafür liebe ich ihn. Und ich bewundere ihn für sein handwerkliches Geschick, und ich bin natürlich stolz auf ihn, dass er die Familie so gut umsorgt, aber ich würde ihn auch lieben, wenn er all das nicht wäre. Wenn er klein wäre, würde ich ihn lieben; wenn er schwach wäre, würde ich ihn lieben. Ich glaube, ich liebe ihn einfach nur, weil er MEIN ist! Er ist, wie Gott ihn erschaffen hat, und das ist genug! 
Adam: Eines Tages ist meine geliebte Eva gestorben. Und auf ihren Grabstein habe ich geschrieben: Wo auch immer sie war, dort war Eden!“
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