zu einer Nikolaus-Ikone (über diesem Beitrag) und Jesaja 61,1.2.10a
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AD: Gibt es den Nikolaus?
CS: Ja, denn alle Klaus‘, Nicholas‘ und Colin dieser Welt heißen ja nach dem Nikolaus. Auch Colja und Nicole.
AD: Aber gab es den heiligen Nikolaus wirklich?
CS: Ja, es gab ihn, vor ungefähr tausendsiebenhundert Jahren. Wir haben seine Unterschrift. Im Jahr 325 hat er eine Urkunde unterschrieben bei einer Versammlung vieler Bischöfe. Beim Konzil von Nicäa.
AD: Wenn ich an Nikolaus denke, dann denk ich an einen großen Mann mit rotem Mantel und tiefen Taschen. Auf dem Rücken hat er einen Sack, in der Hand einen Stab. So hab ich ihn mir als Kind vorgestellt und im Grunde genommen denke ich noch immer so an ihn.
CS: Mir fällt eine Geschichte ein, wie er zu den tiefen Taschen gekommen ist.
AD: Erzähl!
CS: Nikolaus ist in wohlhabenden Verhältnissen aufgewachsen. Er ist noch ein Kind, als er beide Eltern verliert. Der ganze Reichtum macht nicht, dass er wieder froh wird. Er geht vor die Tore der Stadt. Da sieht er Elende und Hungernde. Sie strecken die Arme aus und betteln. Nikolaus sucht in seinen goldbestickten Gewändern, aber die haben keine Taschen. Er hat kein Geld dabei. Also verschenkt er seine goldene Halskette und den Fingerring. Abends lässt er sich Taschen auf seinen Mantel nähen. Er geht durch den Garten und stopft sich Äpfel, Birnen und Mandarinen hinein. Dann geht er wieder raus und verteilt, was er hat. Das macht er jeden Abend. Besonders den hungrigen Straßenkindern macht er so eine Freude.
AD: Sein Herz ist noch größer als seine Taschen.
Einmal hört er von drei jungen Frauen. Ihr Vater war ein reicher Mann, aber er hat all sein Vermögen verloren. Jetzt kann er ihnen keine Aussteuer kaufen. Seine Töchter können nicht heiraten. Das ist schlimm, denn weiter für sie sorgen kann er auch nicht. Als es dunkel wird, schleicht Nikolaus zu ihrem Haus. Er wirft einen Beutel mit Goldstücken durch das Fenster. Am nächsten Morgen findet die älteste Tochter das Säckchen. Ihre Hochzeit ist gerettet. In der folgenden Nacht kommt Nikolaus wieder. Ein weiterer Beutel mit Goldstücken fliegt durch das Fenster. Jetzt kann auch die zweite Tochter Hochzeit feiern. So geschieht es auch in der dritten Nacht. Alle Töchter können heiraten. Ein wunderbares Fest.
CS: Nikolaus kommt heimlich. Es geht nicht darum, dass er ein großer Wohltäter ist. Es geht darum, dass Menschen erfahren: Gott ist hier, auf der Erde, bei euch, wenn ihr in Not seid. Oder wenn ihr euch nach einem Fest sehnt.
AD: Wir haben hier ein Bild. Aufbewahrt ist es im Katharinenkloster auf dem Sinai im heutigen Ägypten. Vermutlich wurde es Ende des 12. Jahrhunderts gemalt. Es ist 83 Zentimeter hoch und 57 breit. Nicht irgendein Bild, sondern eine Ikone. Das Wort „Ikone“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Urbild“ oder „Abbild“. Ikonen sind wie ein Fenster zum Himmel.
CS: Eine Ikone zu betrachten, ist wie eine Kirche zu betreten. Ich komme in einen Raum. Vielleicht ist er mir fremd. Die Farben wirken auf mich ein. Ich bin aus dem Alltag herausgenommen. Ich öffne mich für Gottes Nähe. So ist das Betrachten der Ikone ein Gebet. Eine Verbindung über die Sinne, nicht über den Verstand.
Keine Linie ist zufällig, keine Farbe. Die Muster in dem Bild sind für mich wie Melodien. Die Farben wie Töne eines Liedes. Verschlungene Wege. Dissonanz und Harmonie.
AD: Ich sehe ganz viel Gold auf der Ikone. Nikolaus ist ganz groß in der Mitte. Seine Hand ist zum Reden erhoben oder zum Segnen. Er trägt einen Mantel. Am Hals ist er golden. Und blau. Die Farbe des Himmels. Um die Schultern trägt er einen weißen Stoff. Ähnlich wie eine Stola. Darauf sind goldene Kreuze. Im Arm hat er ein goldenes Buch mit Kreuzen. Die Seiten sind blau. Darin ist der Himmel. Sein Gesicht ist groß dargestellt. Man kann die Falten auf der Stirn erkennen. Haare und Bart sind schon grau. Die Locken im Bart sind fast wie die Wogen des Meeres. Die Stirn ist hoch. Er guckt konzentriert. Sein Blick ist nach innen gekehrt. Rechts und links des Mundes haben sich Furchen eingegraben. Er hat gelitten. Aber die Augen schauen gütig.
Um das große Bild in der Mitte ein Band von 12 kleinen Bildern. Sie erzählen, wie Nikolaus von Geburt an besonders mit Gott verbunden ist. Später rettet er Seeleute im Sturm, befreit Gefangene und vertreibt Dämonen. Seine Kraft kommt aus dem Glauben. Gottes Geist ist mit ihm.
CS: Links über der Schulter von Nikolaus erkenne ich Jesus. In seinen Heiligenschein ist das Kreuz eingezeichnet. In der Rechten hält er ein Buch, als ob er es weggeben will. Rechts über der anderen Schulter Maria mit Kopftuch und Heiligenschein. Sie neigt ihren Kopf über ein weißes Tuch, ähnlich dem Schultertuch, das Nikolaus trägt. Ihr Blick geht nach unten zur erhobenen Hand. Auch Jesus schaut nach unten, auf das Himmelsbuch. Wie zwei Linien sehe ich die Blickrichtungen von Maria und Jesus. Sie kreuzen sich in Höhe von Nikolaus‘ Herz.
AD: Nikolaus ist aufgewühlt. Auf diesem Konzil in Nicäa, 325, gibt es Streit. Vieles hat sich angestaut. Die Gemüter sind erhitzt. Es geht um eine Herzensangelegenheit. Wie ist Gott überhaupt zu denken, wenn wir uns auch an Christus wenden können und an den Heiligen Geist? Der Theologe Arius und andere sagen, Jesus ist Gott dem Vater untergeordnet. Nikolaus sagt, Gottes Kraft ist genauso stark in Christus und im Heiligen Geist wie im Vater. Für dieses Bekenntnis hat er früher schon gelitten und ist gefoltert worden. Der Streit schaukelt sich hoch. Nikolaus springt auf. Er scheuert Arius eine. Sie haben richtig gehört: Nikolaus gibt Arius eine Ohrfeige!
CS: Moment mal. Niklas ist ein guter Mann, singen schon die kleinen Kinder!
AD: In der Ikone geht es aber nicht um den Wohltäter Nikolaus, sondern um den Bischof. Der wird nach dem Eklat von den anderen Bischöfen festgenommen. Sie werfen ihn ins Gefängnis wegen seines unbischöflichen Verhaltens. Der Kaiser will ihm sein Bistum wegnehmen.
CS: Dann wäre er ein einfacher Mann. Ohne Schultertuch und ohne das Evangelienbuch, das wir Himmelsbuch genannt haben. Aber auf der Ikone sehe ich: Christus gibt ihm das Buch zurück. Maria reicht ihm das weiße Schultertuch. Christus hält an ihm fest, obwohl der Zorn mit ihm durchgegangen ist und er sich nicht wie ein Bischof aufgeführt hat. Die anderen Bischöfe spüren wohl die starke Verbindung zum Himmel. Nikolaus wird rehabilitiert.
AD: Ich habe meinen eigenen Zugang gefunden zu der Ikone. Ich schau sie an und erinnere mich an die Geschichte mit Nikolaus. So wie Jesus Christus an ihm festhält, hält er auch an mir fest. Auch wenn ich mich gar nicht christlich verhalte. Wenn ich zornig werde oder an jemandem vorbeigehe, der meine Hilfe braucht.
CS: Das heißt, du kannst machen was du willst?
AD: Nein! Denn durch meine Taufe bin ich genau wie Nikolaus mit Gottes Geist beschenkt. Er schickt mich in die Welt, so wie sie ist. Um dort Hoffnung zu geben. Einer weinenden Frau zuzuhören. Kindern von Jesus zu erzählen. An der Seite eines Freundes zu sein, um die Dämonen der Einsamkeit zu vertreiben.
CS: Nikolaus hat Gefangene aus der Haft befreit. Ist Seeleuten im Sturm zu Hilfe gekommen und hat noch viel mehr Gutes getan. Ich habe nicht alle Bilder betrachten können. Aber ich verlasse den Raum der Farben und Formen jetzt wieder. Ich nehme etwas mit. Ich will ich mich wie Nikolaus an Christus festhalten. Ich bin kein Bischof und keine Märtyrerin. Aber ich habe Teil am Priestertum aller Gläubigen. Allen Getauften hat Gott den Mantel des Heils angezogen.
AD: Gott lässt uns sagen durch den Propheten Jesaja:
Der Geist Gottes des HERRN ist auf mir, weil der HERR mich gesalbt hat. Er hat mich gesandt, den Elenden gute Botschaft zu bringen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden, zu verkündigen den Gefangenen die Freiheit, den Gebundenen, dass sie frei und ledig sein sollen; zu verkündigen ein gnädiges Jahr des HERRN und einen Tag der Rache unsres Gottes, zu trösten alle Trauernden.
Ich freue mich im HERRN, und meine Seele ist fröhlich in meinem Gott; denn er hat mir die Kleider des Heils angezogen und mich mit dem Mantel der Gerechtigkeit gekleidet. (Jesaja 61,1-2.10a)