am 15. Sonntag nach Trinitatis, 20. September 2020, von Charlotte Scheller
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1. Einen Garten anlegen oder ein Beet. Ein Stück Land abmessen. Die Umrisse mit dem Spaten abstechen und den Rasen abheben. Den Boden lockern und umgraben. Die Steine heraussammeln. Sich mit erdigen Fingern den Schweiß aus der Stirn wischen. Schwarzen Mutterboden untergraben. Die Samenkörner in den Boden setzen, die Blumen-zwiebeln. Vorsichtig gießen. Das Beet einfassen mit Steinen oder Holz, damit der Rasen nicht hineinwuchert, Tiere nichts abfressen, Menschen nicht auf den zarten Trieben herumtrampeln. Täglich wiederkommen zum Gießen und Jäten, zum Abschneiden der trockenen Blätter und Wassertriebe, zum Hochbinden der Ranken, zum Teilen der Stauden, zum Pflücken und Ernten. Auf den Knien herumkriechen, mit den Händen in der Erde wühlen, den Duft atmen, mit der Schöpfung verbunden sein.
Und Gott der HERR pflanzte einen Garten in Eden gegen Osten hin und setzte den Menschen hinein, den er gemacht hatte. Und Gott der HERR ließ aufwachsen aus der Erde allerlei Bäume, verlockend anzusehen und gut zu essen, und den Baum des Lebens mitten im Garten und den Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen.
Und es geht aus von Eden ein Strom, den Garten zu bewässern, und teilt sich von da in vier Hauptarme. Der erste heißt Pischon, der fließt um das ganze Land Hawila und dort findet man Gold; und das Gold des Landes ist kostbar. Auch findet man da Bedolachharz und den Edelstein Schoham. Der zweite Strom heißt Gihon, der fließt um das ganze Land Kusch. Der dritte Strom heißt Tigris, der fließt östlich von Assyrien. Der vierte Strom ist der Euphrat. Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte.
2. Der zweite, der ältere Schöpfungsbericht. Anders als der erste hat dieser Bericht nicht die ganze Welt im Blick. Nur einen einzigen Garten. Es gibt noch keinen Acker, keine Sträucher und Kräuter, keinen Regen und keinen Menschen, der das Feld bestellt. Nur ein Nebel ist da, der macht die Erde feucht, und Gott nimmt von ihr. Gott nimmt etwas von dem feuchten Staub in seine Hände und formt den Menschen daraus und bläst ihm den Lebensatem ins Gesicht. Gottes Atem lässt ihn Mensch werden, vom staubigen Erdboden genommen, der auf Hebräisch Adama heißt, Adam, ein lebendiges Wesen.
Gott legt einen Garten an. Weit im Osten, wo die Sonne aufgeht, friedet Gott der Herr ein Stück Land ein mitten in der Wüste. Bäume wachsen aus der Erde, sie spenden Schatten, sie locken mit ihren Früchten. In der Mitte der Baum des Lebens und der Baum der Erkenntnis. Irgendwo liegt es, das Paradies. Der Garten Eden, ein unbekannter Ort.
Gott nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten. Er „nahm“ ihn, das heißt, Gott hat etwas Besonderes mit ihm vor. Auch Abraham „nahm“ er so, auch König David, auch den Propheten Amos. Der Mensch wird ausgewählt, in Gottes Garten zu leben. Der ist kein Schlaraffenland. Er braucht Pflege und Schutz. Die Arbeit gehört zum Menschsein. Aber sie ist keine Plackerei. Der Garten ist bewässert. Gott hat Voraussetzungen geschaffen dafür, dass etwas wächst. Es ist erlaubt, von allen Bäumen zu essen. Auch vom Baum des Lebens. So könnte es ewig weitergehen. Es gibt nur eine Einschränkung. Vom Baum der Erkenntnis des Guten und des Bösen darfst du nicht essen, sonst musst du sterben. Ohne das Verbot genau zu verstehen, ahne ich: Auch im Paradies lauert ein Abgrund, auch hier gibt es die Möglichkeit einer Unordnung.
3. Wo liegt der Garten Eden? Euphrat und Tigris münden im heutigen Irak. Die anderen Flüsse sind nicht wiederzufinden. Auf mittelalterlichen Weltkarten liegt Eden fern im Osten, dort, wo noch niemand hingekommen ist. Zu Beginn der Neuzeit glaubte man oft, Spuren des Paradieses zu finden. In fernen Ländern mit angenehmem Klima, majestätischen Bäumen, köstlichen Früchten. Auch andere Religionen kennen einen verborgenen Ort des Friedens und des Glücks. Wo die Gottheit wohnt. Wo vier Flüsse entspringen. Auf Landkarten lässt sich das Paradies nicht mehr finden. In unserer Sehnsucht sehr wohl. Adam und Eva müssen den Garten Eden verlassen. Statt vom Baum des Lebens haben sie vom Baum der Erkenntnis gegessen. Sie erkennen: Wir sind nackt, sterblich, von der Erde genommen, in die wir zurück müssen. Nun müssen sie selbst für sich sorgen, die Kinder mit Schmerzen gebären, das dürre Land mit Müh und Not bewässern. Der Zugang zum Paradies ist versperrt, Gott hat seine Cherubim davor gestellt, Engel mit gekreuzten Schwertern, hier kommt ihr nicht mehr hinein, nie mehr. Es sei denn.
4. Es sei denn, du hast dein Leben ganz nach Gottes Regeln gelebt. Zur Zeit Jesu machten die Menschen sich Gedanken, wie man ins Paradies zurück kommt. Gerecht wäre, wenn diejenigen hinein dürfen, die auf Erden eng mit Gott verbunden waren. Die alle Gebote und Gesetze gehalten haben. Jesus wendet diesen Gedanken. Er macht die Tür zum Paradies weit auf für den, der sich zu ihm hinwendet. Egal wann im Leben. Sogar an Orten, die absolut gottverlassen scheinen. Wie Golgatha, der Hinrichtungsplatz vor den Toren Jerusalems. Der Verbrecher, der neben Jesus am Kreuz hängt, bekennt sich zu ihm. Kurz bevor er stirbt. Gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst. Jesus antwortet. Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein. Zeit und Raum sind aufgehoben im Moment des Todes. Der Übeltäter, der selbst schuld ist an seinem Unglück, kriegt Zutritt zum Paradies durch Jesus. Gott ist sterblich geworden und auferstanden, Bein von meinem Bein, Fleisch von meinem Fleisch, wie Adam zu Eva sagt, ein Gegenüber, eine Hilfe zum Leben, meine Rettung. Ich werde mit ihm im Paradies sein!
5. Wie gern bin ich im Garten. Freue mich an dem, was da wächst, bade die Augen im Rot der Dahlien, atme den Geruch der Schmetterlings-büsche, den Duft der Heckenrosen. Hier kann ich mit andern zusammen arbeiten. Mit mir selbst ins Reine kommen. Teil von Gottes Schöpfung sein. Das Paradies kosten. Es wartet auf uns in Gottes neuer Welt. Und auf dieser Erde. Im Gemeinschaftsgarten in Geismar wachsen Kartoffelsorten, von denen ich noch nie gehört habe. Nachbarn aus unterschiedlichen Ländern und Situationen ackern zusammen und feiern. Und die Hoffnung wächst, dass eines Tages jeder kriegt, was er braucht, schon vor dem Tod. In Mellendorf gibt es den Garten „Grüne Stunde“. Vereinsmitglieder haben Gemüse und Blumen von früher angepflanzt und arbeiten da zusammen mit Menschen, die an Demenz erkrankt sind. Diese wissen nichts mehr von Gut und Böse. Aber sie kennen die Namen der Blumen und Kräuter aus den Gärten ihrer Kindheit. Ihre Hände haben noch nicht vergessen, wie man Erdbeeren pflückt und Kartoffeln rausholt. Ein Stück Paradies schon jetzt. So sind wir auch zusammen. Auf dem Kirchplatz, um den Altar herum, auf dem Brot ist und Traubensaft, oder in unseren Gedanken. Wir freuen uns an dem, was wächst. Wir schmecken, was Gott uns schenkt. Und können dankbar sein für jeden Atemzug.