Liebe Gemeinde,
ich erinnere mich noch ziemlich genau an damals, als ich klein war:
Ich stehe vor der Scheibe der Eisdiele und darf mir zwei Kugel aussuchen. Ich gucke von ganz links nach ganz rechts: Schokolade, Erdbeere, Zitrone, Nuss, Minze, Kinderschokolade, Kokos, Banane. Wie soll ich mich da entscheiden? Während ich langwierige Überlegungen anstelle, wird meine Oma neben mir langsam ungeduldig.
ich erinnere mich noch ziemlich genau an damals, als ich klein war:
Ich stehe vor der Scheibe der Eisdiele und darf mir zwei Kugel aussuchen. Ich gucke von ganz links nach ganz rechts: Schokolade, Erdbeere, Zitrone, Nuss, Minze, Kinderschokolade, Kokos, Banane. Wie soll ich mich da entscheiden? Während ich langwierige Überlegungen anstelle, wird meine Oma neben mir langsam ungeduldig.
Der Eismann sieht ein, dass es wohl noch eine Weile dauert und wendet sich zu ihr:
„Wer die Wahl hat, hat die Qual“, sagt er und lacht.
Irgendwann habe ich es dann doch geschafft.
„Wer die Wahl hat, hat die Qual“, sagt er und lacht.
Irgendwann habe ich es dann doch geschafft.
Meine Oma bezahlt.
Ich glaube, sie hat aufgeatmet, als wir endlich gehen konnten.
Die Qual der Wahl haben ist so eine Sache: Einerseits bin ich frei zu wählen, andererseits kann ich mich kaum entscheiden.
Die Qual der Wahl haben ist so eine Sache: Einerseits bin ich frei zu wählen, andererseits kann ich mich kaum entscheiden.
Kaffee oder Tee?
Das blaue oder doch lieber das rote Kleid?
Urlaub am Meer oder in den Bergen?
Tagtäglich sind wir vor solche Entscheidungen gestellt.
Sollten wir im Nachhinein entdecken, dass wir uns doch besser anders entschieden hätten, sind die Auswirkungen gering.
Beim nächsten Mal macht man’s halt besser.
Manche Entscheidungen sind dagegen schon schwerwiegender:
Auf welche Schule soll unser Kind gehen?
Für welche Ausbildung soll ich mich entscheiden?
Erkennt man da im Nachhinein, dass die getroffene Wahl doch nicht die beste war, fließen vielleicht Tränen. Aber es ist auch nicht alles verloren.
Das Kind freut sich vielleicht sogar auf den Schulwechsel. Und heutzutage drehen viele eine Schleife, bevor sie ihren Traumberuf gefunden haben.
Andere Entscheidungen haben dagegen so große Auswirkungen, dass ich sie selbst nicht wieder einfangen kann.
Von so einer Erfahrung handelt die Geschichte von Jona, wie sie im Alten Testament aufgeschrieben ist:
Jona ist Prophet. Er mag sein Leben. Eines Tages bekommt er von Gott einen Auftrag:
„Geh nach Ninive!“, fordert Gott ihn auf. „Warne die Menschen dort! Sie richten viel Unheil an.“
Jona erschrickt fürchterlich. „In Ninive wohnen doch meine Feinde!“, denkt er. „Soll ich da wirklich hin?“
Jona hat die Qual der Wahl: Soll er Gottes Auftrag annehmen, ohne zu wissen, wie es ausgeht? Oder soll er lieber sein eigenes Ding machen?
Auf einmal verspürt er eine ungeheure Sehnsucht nach Meer. Er packt seine sieben Sachen und eilt los zum großen Wasser. Man könnte es auch Flucht nennen. Denn Jona will nur eins: Gott aus den Augen kommen. Bei Eltern oder Lehrerinnen oder den Nachbarn mag das manchmal gelingen. Sie vergessen einen dann für eine Weile. Doch Gott ist ein anderes Kaliber. Aber das spürt Jona erst später.
Erst läuft alles gut. Er findet ein Schiff, das ihn mitnimmt und zwar in genau entgegengesetzte Richtung von Ninive. Weiter weg kann er gar nicht.
Doch nachts bricht auf einmal ein gewaltiger Sturm los. Die Seeleute tun alles, damit das Schiff nicht sinkt. Jona merkt davon nichts. Er liegt im Bett, schläft und wiegt sich in Sicherheit.
Da rütteln ihn die anderen wach.
„Du musst beten!“, sagen sie zu ihm, dem Gottesmann. Darauf ist er selbst gar nicht gekommen. Als Prophet ist er ganz schön neben der Spur. Doch es hilft alles nichts. Der Sturm wird nur schlimmer.
Plötzlich weiß Jona, dass das kein normales Unwetter ist, sondern er spürt, Gott hat ihn gefunden. Seine Entscheidung kommt ihm jetzt ziemlich dumm vor: Wer kann schon vor Gott davonlaufen?
Was also tun? Schon wieder Qual der Wahl. Schließlich ruft er: „Werft mich ins Meer!“ Es sollen nicht noch Unschuldige seinetwegen zu Schaden kommen. Erst wollen die Matrosen nicht und rudern nur noch kräftiger. Aber dann sehen sie ein, dass es keinen Sinn hat. Jona wird über Bord gestoßen. Das Meer beruhigt sich. Die Seeleute sind gerettet.
Doch für Jona wird die Qual der Wahl zur Qual mit Wal. Denn unter ihm taucht so ein riesiges Tier auf, öffnet das Maul und - verschluckt ihn.
Und dann sitzt Jona gefangen im Bauch von diesem Koloss.
Besonders schön stelle ich mir das nicht vor. Nicht, dass ich auch schon mal vom Wal verschluckt worden wäre. Vermutlich auch kein anderer von uns. Aber die Erfahrung, die dahintersteht, die kenne ich schon:
Ich treffe die falsche Entscheidung und es geht so richtig schief. Die Auswirkungen nehmen Formen an, die ich nie beabsichtigt habe. Ich werde schuldig an Gott, an einem anderen Menschen oder an mir selbst.
Das haben schon Unzählige erlebt. Denn Gott lässt den Menschen die Wahl. Wir sind frei, uns so oder so zu entscheiden.
Gut so, könnte man sagen. Schließlich sind wir Menschen keine Marionetten. Stimmt! Aber es heißt auch, dass Menschen in die tiefste Verzweiflung geraten können, sogar bis an die Todesgrenze.
Also selbst schuld?
Ich glaube, so einfach ist das nicht. Wir sind Menschen. Die Folgen unseres Tuns können wir manchmal überblicken und manchmal eben auch nicht. Manchmal entscheiden wir uns bewusst gegen das Richtige. Aus Angst oder aus Bequemlichkeit. Und manchmal sind wir ganz sicher, das Richtige zu tun, aber wissen nicht, wohin dieser Weg führt.
Es tröstet mich, dass das auch einem Mann passieren kann, der Gott eigentlich ganz nah ist. Jona verhält sich so gar nicht vorbildlich. Obwohl er Gottes Willen klar und deutlich vernommen hat, wendet er sich von Gott ab. Fremde müssen ihn, den Gottesmann, ans Beten erinnern. Und schließlich landet er allein in absoluter Dunkelheit. Die Chance, dass er doch noch mal ans Licht kommt, ist eher gering.
Als Prophet und als Mensch ist Jona am Ende.
Wenn man in Dunkelheit gefangen ist, gibt es viele Möglichkeiten, wie man der Wirklichkeit entfliehen kann: Netflix suchten, zum Beispiel. So lange lesen, bis die Augen ganz von selbst zufallen. Den Tag so voll planen, dass man gar nicht zum Nachdenken kommen kann.
Oder man verfällt in Schockstarre.
Alles irgendwie legitim, vielleicht ist es auch der Situation angemessen.
Jona hat kein Netflix, kein Buch, keinen vollen Terminplaner. Er verfällt aber auch nicht in Schockstarre.
Stattdessen fängt Jona an mit Gott zu reden:
„Gott, ich schreie Du Dir. Ich weiß nicht mehr aus noch ein. Antworte mir in meiner Not! Ich bin dem Tode nah! In die Tiefe hattest du mich geworfen. Mitten ins Meer. Rings um mich türmten sich die Wellen auf; die Fluten rissen mich mit und spülten mich fort.
Ich dachte schon, du hättest mich aus deiner Nähe verstoßen. Die Strudel zogen mich in die Tiefe, bis ich fast ertrank. Seetang schlang sich mir um den Kopf; bis zu den Fundamenten der Berge sank ich hinab in ein Land, dessen Tore sich auf ewig hinter mir schließen sollten.
Aber du, HERR, mein Gott, hast mich heraufgezogen und mir das Leben neu geschenkt! Als ich schon alle Hoffnung aufgegeben hatte, dachte ich an dich, und mein Gebet drang zu dir.
Wer sein Heil bei anderen Göttern sucht, die ja doch nicht helfen können, verspielt die Gnade, die er bei dir finden kann. Ich aber will dir Danklieder singen und dir meine Opfer darbringen. Was ich dir versprochen habe, das will ich erfüllen. Ja, der HERR allein kann retten!“ (Jona 2,2-11; Hoffnung für alle)
Als Jona es so richtig verbockt hat, fängt er an zu beten. Er betrachtet vor Gott, was geschehen ist. Nach drei Tagen und drei Nächten ändert sich sein Blickwinkel. Jona hört auf, Gott für sein Unglück verantwortlich zu machen und erkennt, dass er zumindest erstmal gerettet ist. Ertrinken wird er nicht. Wie es weiter geht, weiß er nicht. Aber er weiß, an wen er sich wenden kann und sagt zu Gott: Wer sein Heil bei anderen Göttern sucht, die ja doch nicht helfen können, verspielt die Gnade, die er bei dir finden kann.
Gott ist gnädig – das ist Jonas Erkenntnis. Gott beharrt nicht auf der Schuld. Er straft den Schuldigen nicht ab.
Sondern er gibt eine neue Chance.
Jona wird schließlich vom Wal am Strand ausgespuckt.
Aber nicht der Wal ist das Wunder an dieser Geschichte. Sondern das Wunder ist, dass Gott das Schlimme wieder gut macht.
Die Dunkelheit hat ein Ende, Licht erhellt die Welt.
Qual mit Wal ist vorbei.
Wir werden immer wieder die Qual der Wahl haben. Die gehört zum Leben dazu. Vor der Eisdiele oder ganz existentiell. An manchen Tagen werden wir zufrieden mit der getroffenen Wahl sein. An anderen Tagen fühlen wir uns an Jonas Qual mit dem Wal erinnert. Dann dürfen wir gnädig mit uns selbst sein.
Denn Gott ist es auch.
Amen.