Trinken, auffüllen, trinken und weitergehen. Predigtgedanken zu Johannes 7

Sat, 15 May 2021 12:01:02 +0000 von Charlotte Scheller

von Charlotte Scheller. Zum Nachhören unter diesem Beitrag

Eine Wanderung in den Bergen. Eine kleine Gruppe. Wie Bergziegen springen uns die Jugendlichen voraus. Ich muss meine Kräfte einteilen. Und auch meinen Vorrat an Essen und Trinken. Längst haben wir die Baumgrenze hinter uns gelassen. Die Sonne brennt, obwohl es noch Morgen ist. Immer wieder bleibe ich stehen und trinke. Lauwarm kommt es aus der Flasche, dann ist sie leer. Die Freundin, die uns führt, hat geraten, nicht zu viel Wasser mitzuschleppen. Aber nun habe ich gar nichts mehr. Dankbar nehme ich die Spende eines Mitwanderers entgegen. Dann kommen wir an eine Quelle. Ein Bach springt aus dem Felsen, eiskalt. Ich schöpfe mit der Hand und trinke. Schütte mir Wasser ins Gesicht. Halte meine Flasche hinein und höre, wie sie sich glucksend füllt. Trinken, auffüllen, trinken und weitergehen. Kurz vor dem Gipfel lassen wir unsere Rucksäcke zurück. Ich stopfe meine Wasserflasche in die Tasche meines Anoraks. Nun brauchen wir Hände und Füße, um auf den schmalen Felsvorsprüngen Halt zu finden. Arme strecken sich aus und helfen mir auf das Plateau am Gipfel. Ich lasse mich fallen und taste nach der Flasche. Trinke wie eine Verdurstende. Dann seh ich mich um. Unendliches Blau. Wolken und Berge und über mir nichts als Himmel. 
 
Nicht von einem Berggipfel erzählt unser Predigttext aus Johannes 7, aber von einem anderen Höhepunkt. Jesus in Jerusalem, am höchsten Tag des Laubhüttenfestes. Das populärste Fest, das fröhlichste. Im Herbst wird es gefeiert. Die Ernte ist zu Ende. Die Regenzeit beginnt. Israel denkt zurück an die Wanderung durch die Wüste. Als Gott Brot vom Himmel schickte. Als sie in Zelten wohnten. In Erinnerung daran stellen sie Laubhütten auf. Durch das Dach kann man den Himmel sehen. Am letzten Tag, am Höhepunkt des Festes, schöpfen die Priester Wasser aus dem Teich Siloah. In einer feierlichen Prozession wird es zum Tempel getragen und über den Stufen ausgegossen. Zur Erinnerung an das Wasser, das aus dem Felsen quoll, als sie Durst hatten in der Wüste. Und an eine Vision des Propheten Ezechiel. Er sieht eine Quelle aus dem Tempel fließen, Gottes lebendige Gegenwart am Ende der Zeit. 
 
Jesus hat nicht zu dem Fest gehen wollen. Du musst hingehen, haben seine Brüder gesagt, damit alle sehen können, was du bewirkst. Nur wer sich öffentlich zeigt, hat Erfolg! Jesus weigert sich, ihm ist es nicht um seinen persönlichen Erfolg zu tun. Später geht er doch nach Jerusalem hinauf. Er predigt und legt die Heiligen Schriften aus und es gibt Ärger. Was maßt er sich an, sagen die Gegner. Er hat keine theologische Ausbildung, er ist kein anerkannter Rabbi. Und dann dieser Auftritt. Ich lese Johannes 7,37-39:
 
Am letzten, dem höchsten Tag des Festes trat Jesus auf und rief: Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden, wie die Schrift sagt, Ströme lebendigen Wassers fließen. Das sagte er aber von dem Geist, den die empfangen sollten, die an ihn glaubten; denn der Geist war noch nicht da; denn Jesus war noch nicht verherrlicht.
 
Jesus will nicht, aber er muss reden bei diesem Fest. So sieht es der Evangelist: Das Fest zeigt, wozu Jesus gesandt ist. Was sein Auftrag ist. Wasser wird über die Tempelstufen ausgegossen am höchsten Tag des Festes. Wo Gott gegenwärtig ist, sprudelt eine Quelle. Und jetzt ist Gottes Gegenwart hier in einem Menschen. Es gibt nichts mehr zu verstecken, nichts zu diskutieren. Der Festtag ist da. Jesus ist da. 
 
Wen da dürstet, der komme zu mir und trinke! Das mag ärgerlich klingen für alle, die schon satt sind. Es stört das Fest. Und es ist anmaßend. Als ob Jesus sich selbst als Quelle sieht. Aber wie klingt das, wenn du Durst hast? Überhaupt, was für ein Durst ist gemeint? Eine Wanderung kann die Kehle trocken werden lassen. Eine lange Rede. Aber es gibt noch einen anderen Durst. Er betrifft die Seele.
 
In der hebräischen Sprache sind Kehle und Seele verwandt. Das Wort kommt aus derselben Wurzel. Was wir mit „Seele“ übersetzen, bedeutet eigentlich „Rachen“ oder „Schlund“. Unsere Seele ist immer eine durstige Kehle. Darauf angewiesen, dass jemand sie sättigt. Eigentlich ist sie unersättlich. Sie kriegt immer wieder Durst, muss immer wieder zur Quelle gehen und trinken. Die Seele hat Durst nach Leben. Nach der Nähe eines Menschen. Nach Gott. Mag sein, dass wir körperlich so satt sind, dass wir diesen Durst gar nicht spüren. Dann brauchen wir eine Störung. Wie den Auftritt von Jesus auf dem Fest. Wer sich so stören lässt von Jesus, den lädt er ein: Komm zu mir und trinke!
 
Wir tun viel, um den Durst zu stillen. Suchen Herausforderungen. Versuchen uns zu beweisen im Beruf, in der Familie, im Sport. Ich denke an die beiden EichsfelderRadfahrer, die im heißen Sommer gestartet und 13.000 Kilometer von Heiligenstadt bis nach Ho-Chi-Minh-Stadt in Vietnam gefahren sind. Was hat sie angetrieben? Was habe ich gesucht bei der Bergwanderung? Manche sagen: Such gar nicht erst, es gibt keine Antwort auf die Frage nach dem Sinn. You only live once. Feiere, lebe jetzt und denk nicht drüber nach. Jesus sagt: Doch, es gibt eine Antwort. Hier ist sie. Wer durstig ist, soll zu mir kommen und trinken.
 
Jesus ist der Fels, die Wasserquelle in der Wüste. Aber das Wasser, erinnert Johannes, ist der Heilige Geist. Er ist gekommen, als Jesus sterben musste. Als Gott ihn aus dem Tod ins Leben gerufen hat. Schon die Propheten haben Wasser und Geist zusammen gesehen. Gott ist die Quelle des Lebens. Aus ihr sprudelt Lebendigkeit. Der Geist des Lebens. Bei mir findest du dieses Wasser, sagt Jesus. Komm und trinke davon! 
 
Allerdings kriegt man da, an der Quelle, nicht einen Zaubertrank, der stark macht ohne Ende. Oder der alle Wünsche und Sehnsüchte auf einmal verstummen lässt. Man kriegt bloß das Elementare. Was man zum Weitergehen braucht. Einen Freund. Ein Ja zu mir, so wie ich bin. Ein Wort der Vergebung. Einen Neuanfang, ein Fest der Auferstehung mitten im Leben. Jesus wendet sich gerade den Gezeichneten zu und lädt sie zur Quelle ein. Die Verletzten. Die Trost-Bedürftigen. Vielleicht ist das ein Punkt, der mir nicht schmeckt. Ich bin nicht gern bedürftig. Ich möchte mein Versagen und meinen Kummer keinem andern zeigen. Vielleicht nicht mal mir selbst. Zuzugeben, dass ich Durst habe, dass der Weg schon weit war, dass er jetzt gerade steil ist, wäre der erste Schritt zur Quelle hin. 
 
An der Quelle angekommen, dreht sich die Strömung um. Wer an mich glaubt, von dessen Leib werden, wie die Schrift sagt, Ströme lebendigen Wassers fließen. Wer bei Jesus ankommt, wird selbst zur Quelle für seine Mitmenschen. Wie wenn ich meine Hand unter einen Wasserfall halte. Sie wird gefüllt und läuft über. Der Heilige Geist bleibt nicht für sich. Er fließt weiter. Erfüllt sich im Weitergeben. Und das ist der Unterschied zu all den anderen Erfüllungen. All die Erfahrungen, in denen ich mich finden kann, an meine Grenzen gehe, über mich selbst hinauswachse, sie machen nicht satt. Weil ich mich nur um mich selber drehe. Wer das satt hat und zu Jesus kommt, der lebt aus einem neuen Geist. 
 
Erfüllt im Weitergeben. Bei manchen Menschen spüre ich das besonders. Ich rufe an. Wie geht es dir, fragt sie am anderen Ende. Sie fragt mich, obwohl sie selbst mit Schmerzen zu kämpfen hat und mit Erschöpfung. Gut, sage ich atemlos, aber. Ich erzähle, was mir Freude macht. Und wo der Kummer sitzt. Wer mir Sorgen macht. Worüber ich mich ärgere. Wo ich mich selbst nicht leiden kann. Sie hört zu. Bewertet nicht. Hört das Gute heraus. Erinnert mich an das Liebenswerte an den Menschen, mit denen ich es schwer habe. Bestärkt das Liebevolle in mir. Du bist Gottes Kind. Das Gespräch ist wie die Rast an einer Quelle. Ich spüre, wie etwas von Gottes Liebe bei mir ankommt. Mich erfüllt. Ich muss nicht sofort weitermachen. Ich darf in Ruhe auftanken. Trinken, auffüllen, trinken und weitergehen. Und etwas weitergeben vom Wasser des Lebens. Amen. 
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