Predigt am zweiten Sonntag nach Trinitatis, Matthäus 11,25-30

Sat, 20 Jun 2020 19:43:03 +0000 von Charlotte Scheller

von Charlotte Scheller (Audio siehe unten)
Ein Summen. Dein Hemd brummt, sage ich. Mein Gegenüber tastet in seiner Tasche, das Summen hört auf. Er lehnt sich zurück, horcht einen Moment in sich hinein, dann wendet er sich wieder mir zu. Ein Langzeit-Blutdruck-Messgerät, frage ich, weil ich ihn gut kenne. Oder musst du ein Medikament einnehmen? - So ähnlich. Er grinst. Das Summen erinnert mich an etwas. Daran, dass ich Gott danken will. Alle zehn Minuten. Jeden Tag, solange ich wach bin. 
Ich staune. Stresst dich das nicht, frage ich, dauernd unterbrochen zu werden? Im Gegenteil, sagt er. Es hilft mir, meine Gedanken zu ordnen. Und meine Schritte auszurichten. Ein Moment Pause. Und die Blickrichtung wird anders.
 
In unserem Predigttext am Schluss von Matthäus 11 hören wir, wie Jesus eine Pause macht. Mitten in einer wütenden Rede. Über die Menschen, die die Zeichen der Zeit nicht erkennen, sondern Gottes Boten verfolgen und misshandeln. Über die Städte, die seine Wunder nicht anerkennen und seine Gegenwart nicht feiern. 
 
Jesus klagt. Dann unterbricht er sich und ruft:
»Ich preise dich, Vater, du Herr über den Himmel und die Erde! Denn du hast das alles vor den Weisen und Klugen verborgen. Aber den einfachen Leuten hast du es offenbart. Ja, Vater, so hast du es gewollt! Alles hat mir mein Vater übergeben. Niemand kennt den Sohn, nur der Vater. Und niemand kennt den Vater, nur der Sohn – und die Menschen, denen der Sohn den Vater zeigen will.«
»Kommt zu mir, ihr alle, die ihr euch abmüht und belastet seid! Bei mir werdet ihr Ruhe finden. Nehmt das Joch auf euch, das ich euch gebe. Lernt von mir: Ich meine es gut mit euch und sehe auf niemanden herab. Dann wird eure Seele Ruhe finden. Denn mein Joch ist leicht. Und was ich euch zu tragen gebe, ist keine Last.« (BasisBibel)
 
Eine Atempause. Wie bei meinem Gesprächspartner. Einen Moment innehalten. Gott loben. Jesus dankt Gott aber nicht für etwas, das ihm selbst geschehen ist. Sondern für die Erfahrungen anderer Leute. Jesus dankt dafür, dass Gott sich den einfachen Leuten zu erkennen gibt. Wörtlich steht „Säuglinge“ da. Wir würden „Babys“ sagen. Jesus nennt sie im Gegenüber zu den „Weisen“ und „Klugen“. Er hat nichts gegen die Klugen. Aber er feiert es richtig, dass Gott sich speziell den „Unmündigen“ zeigt. Denen, die wie Säuglinge alles von Mutter oder Vater erwarten und gar nichts selbst hinkriegen wollen. Gott hat nicht zuerst die eifrig Studierenden im Blick. Nicht diejenigen, die als klug gelten oder sich dafür halten. Jesus hat die Ungebildeten vor Augen. Die Leute auf dem Land. Die nirgends Zugehörigen. Die Deklassierten. Ihnen zeigt sich Gott. Und er zeigt sich freundlich. Wie ein Vater, der sein Kind in die Arme schließt und es tröstet. Wie eine Freundin, die mir am Bahnhof den Rucksack abnimmt, ihn für mich nach Hause trägt, mir Tee kocht und mich reden lässt. „Kommt zu mir, ihr alle, die ihr euch abmüht und belastet seid! Bei mir werdet ihr Ruhe finden.“ 
 
Gut. Ich komme zu ihm. Aber er nimmt mir mein Päckchen nicht ab. Er sagt „Bei mir findet ihr Ruhe“ und dann: „Nehmt das Joch auf euch, das ich euch gebe“. Packt er mir noch etwas drauf? 
 
Ich stelle mir ein Joch vor. Einen Balken, den man sich auf die Schultern legt. Rechts und links ein Korb mit etwas Schwerem drin. Die Last drückt im Nacken. Oder ein Balken mit einem Geschirr, in das zwei Ochsen eingespannt sind. Die ziehen einen Karren hinter sich her. 
 
Kommt her zu mir, die ihr euch abmüht und belastet seid! Jesus denkt weniger an die Lasten, die das Schicksal uns auferlegt. Mit „Joch“ meint er die Auflagen, auf die einer sich einlässt, der zu Gott gehören will. Die Gebote, die Mose vom Berg Sinai mit heruntergebracht hat. In Stein gemeißelt. Grundlegend für seine Leute und doch unmöglich zu erfüllen. Gott über alle Dinge lieben und deinen Nächsten wie dich selbst. 
 
Nehmt mein Joch auf euch, sagt Jesus. Lernt von mir. Ein guter Lehrer nimmt sich selbst zurück. Er ist kein Star. Eher wie der seltsame König, der auf einem Esel in die Stadt Jerusalem einzieht. Er will nicht groß rauskommen. Er will seine Auszubildenden stark machen. Er ist freundlich. Gewaltfrei. Leitet mit den Augen, die sehen, wozu die Lernenden fähig sind, und mit seinem Vertrauen. Er lebt, was er lehrt. Was bringt Jesus uns bei? Er lehrt uns, wie Gott zu uns ist. Wie ein Vater, der uns liebt. Und uns etwas zutraut. 
 
Jesus ruft uns auf den Weg des Lernens. Er ruft die Unmündigen. Mehr als die Gelehrten spricht er die einfachen Leute an. Die Glaubens-Anfängerinnen. Die Unsicheren, die sich nicht selbst für klug halten. Uns alle, sofern wir uns als Lernende begreifen. Er will uns gewinnen. Uns einspannen für seine Sache. Uns mitnehmen auf dem Weg der Menschenfreundlichkeit. Mit uns tragen, was schwer ist. Uns die Last unseres Scheiterns abnehmen, damit wir weitergehen können.
 
Viele wollen uns etwas weismachen in diesen Tagen. Wie wir uns vor dem Virus schützen. Wer an der Krise Schuld trägt und wer notgedrungen dafür bezahlen muss. Vor wem wir uns in acht nehmen sollten. Wer sowieso nicht zu retten ist. Manche der Weisen, auch der heutigen, sind demütig. Sie halten sich nicht selbst für klug. Auf die können wir ruhig hören. In aller Vorläufigkeit. Wir erwarten ja nicht alles Heil von ihnen. 
 
Alles Heil können wir von Gott erwarten. Es kommt uns in Jesus entgegen. Zu allererst für die Armen. Für Leute, die sich abmühen. Für solche, die nirgendwo gern gesehen sind. Wir sind gut beraten, wenn wir auf Jesus hören. Uns mit einspannen lassen für sein Heil. Und wenn wir nicht vergessen, Gott zu danken. Einmal am Tag oder alle zehn Minuten. Eine Atempause. Ruhe und Medizin für Leib und Seele. Das hilft, dass wir unsere Gedanken und unsere Schritte an ihm ausrichten. So werden wir an einem Strang ziehen. In Jesu Namen.

Lied
Offene Hände, / Kreis ohne Ende,
über mir Himmel, / unter mir Erde.
Dass ich trage, / getragen werde -
Nehmen und Geben / ist Leben!
Siegfried Macht
Quelle: gemeinfrei
Bestätigen

Bist du sicher?