Die große Verwandlung. Predigt zu Jesaja 35
von Susanne Paul, Landespastorin für die Arbeit mit Frauen
von Susanne Paul, Landespastorin für die Arbeit mit Frauen
Jesaja zeichnet ein Hoffnungsbild mit Worten in schweren Zeiten.
Er kennt ihren Schmerz und ihre Sorgen und erinnert sie an die Momente, in denen sie Gott spüren können. So können sie neue Hoffnung schöpfen und sich gegenseitig stärken. Ich lese aus dem 35. Kapitel im Buch Jesaja:
Wüste und dürres Gebiet sollen sich freuen!
Das öde Land möge jauchzen
und blühen mit Narzissen!
Blühen möge es, blühen und jauchzen
mit Jauchzen und Jubeln!
Die Pracht des Libanon wird ihm verliehen,
die Zier des Karmel und des Scharon.
Sie sehen die Pracht GOTTES,
die Zier unserer Gottheit.
Macht die schlaffen Hände stark
und festigt die stolpernden Knie!
Sagt denen, deren Herz rast: »Seid stark! Fürchtet euch nicht!«
Schau hin: Eure Gottheit kommt zur Rache.
Das sind Wohltaten der Gottheit:
Sie kommt und wird euch retten. Dann werden die Augen der Blinden geöffnet
und die Ohren der Tauben aufgetan. Dann werden die Lahmen wie Hirsche springen
und die Zungen der Stummen jubeln.
Ja, in der Wüste brechen die Wasser auf
und die Bäche im dürren Gebiet. Dann
wird der Wüstensand zum Schilftümpel
und das durstige Land zur Wasserquelle.
Der Jagdgrund der Schakale
wird zum Weideplatz und das Wüstengras
zu Schilfrohr und Papyrus.
Eine Straße und einen Weg
wird es dort geben.
›Heiliger Weg‹ wird er genannt werden.
Keine Unreinen gehen auf ihm.
Er gehört denen, die ihn gehen,
auch Dummköpfe gehen dort
nicht in die Irre. Dort wird kein Löwe sein,
und kein reißendes Tier wird da gehen,
ja, in der Wüste brechen die Wasser auf
und die Bäche im dürren Gebiet.
Sie befinden sich dort nicht,
aber die Ausgelösten werden ihn gehen.
Die von GOTT Freigekauften
werden zurückkehren
und nach Zion kommen mit Jubel. Fortwährende Freude ist über ihren Köpfen. Frohlocken und Freude holt sie ein,
und es fliehen Kummer und Seufzen.
Ton Steine Scherben: Der Traum ist aus
Liebe Gemeinde!
Der Traum ist aus!
Der Traum vom dauernden Frieden in Europa zum Beispiel! Wie froh betonen die Redner*innen am 8.5. immer, dass nun schon 77 Jahre Frieden ist in Europa.
Der Traum ist aus – eigentlich schon seit dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien – der wird ja schnell einmal vergessen. Aber jetzt seit dem Krieg Russlands gegen die Ukraine gerät spürbar ins Wanken, was wie selbstverständlich zu unserem Leben gehörte: in großer Ferne zu den kriegerischen Auseinandersetzungen der Welt zu leben. Da, ganz weit weg, da gab es das, aber hier …… Dieser Traum ist aus. Und mit ihm der Traum vom unbegrenzt wachsenden Wohlstand – nicht für alle, auch das ist in diesem Traum immer schon ausgeklammert, aber doch für sehr viele. Gedanken darüber sind nötig, wie das wird im Winter mit dem Gas und dem Öl, ob es wohl kalt wird? Fragen, wie das wird, wenn die Preise immer mehr anziehen.
Und was das alles wohl für die Klimadiskussion bedeutet, die so drängend ist, und die viele – und ich gehöre dazu – so gerne wegträumen: irgendwie wird es eine Lösung geben und alles kann bleiben wie bisher.
Der Traum ist aus.
Aber wie geht es jetzt weiter? Das frage ich mich. Ist es jetzt so, dass Aufrüstung nötig ist zu unserem Schutz; Männer in Uniformen, die kämpfen müssen, auch wenn sie nicht wollen, und Frauen, die mit Kindern und den Älteren der Familie fliehen – sollen das Bilder der Zukunft sein? Und geht es jetzt in der Politik wieder um Machtdemonstrationen von größer, lauter, stärker? Wenn ich daran denke, schüttelte es mich und gleichzeitig bin ich ratlos und unsicher. Ich will nicht naiv und realitätsfremd vom Frieden reden, aber auch nicht alten längst überwunden geglaubten Herrschaftsweisen das Wort reden.
Und – dass der Traum aus ist – ich will es nicht glauben.
„Wüste und dürres Gebiet sollen sich freuen! Das öde Land möge jauchzen und blühen mit Narzissen! Blühen möge es, blühen und jauchzen und Jauchzen und Jubeln. Die Pracht des Libanon wird ihm verliehen, die Zier des Karmel und des Scharon. Sie sehen die Pracht GOTTES, die Zier unserer Gottheit. Macht die schlaffen Hände stark und festigt die stolpernden Knie! Sagt denen, deren Herz rast „Seid stark! Fürchtet euch nicht!“
Hier will einer auch nicht aufhören, den Traum des Friedens und der Gerechtigkeit zu träumen.
Die Menschen, die diese Worte hören, haben einiges hinter sich. Der Tempel, der Ort, wo Gott mit ihnen lebte, ansprechbar und präsent war, war zerstört bis auf die Grundmauern. Die Oberschicht Jerusalems wurde ins Exil nach Babylonien verschleppt, die ärmere Stadtbevölkerung lebte unter der Besatzung. Und als das Exil nach Jahrzehnten beendet wurde, weil die Babylonier durch die Perser besiegt waren, kehrten viele zurück in ihr Land, voller Hoffnung, dass nun wieder alles gut würde. Der Tempel wurde wieder aufgebaut – Gott hatte wieder einen Ort mitten unter ihnen. Aber genauso wie der Tempel nicht mehr so prächtig war wie der alte, war auch ihr Leben nicht mehr dasselbe wie vor der babylonischen Eroberung. Die Perser verlangten hohe Steuern, die Schere zwischen Arm und Reich wuchs, die Spaltung zwischen denen, die ärmer auf dem Land lebten und denen, die in der Stadt waren, wurde zusehends größer.
Auch hier: Aus der Traum! Nichts von dem in der Ferne geträumtem „Alles wird so wie vorher“. Die kriegerischen Auseinander-setzungen, der Verlust der Erfahrung, sicher zu wohnen, Armut und Existenzangst - sie zeichneten sich ein in die Leben der Menschen und ließ ihre Kraft zu träumen klein werden.
Jesaja hält dagegen. Gebt nicht auf, so lese ich zwischen den Zeilen seiner Worte. Und er lenkt den Blick auf die Hoffnungsbilder, die sie kennen: sie leben in der Wüste, die im Frühling für kurze Zeit zu einer Farbenpracht wird, die den Atem nimmt. Monatelang ist der Boden karg und trocken – nicht möglich, dass da Leben drinsteckt. Und auf einmal bricht es mit Macht durch die harte Erde und wird grün und rot und bunt und leuchtet – nur für kurze Zeit. Aber wer das einmal gesehen hat, schaut anders in die Wüste, kann träumen von der wunderbaren Schöpfung Gottes, der auch die dürren Zeiten nichts anhaben kann. „Denkt an diese Kraft, die ihr kennt, die ihr seht, die mit euch ist!“
Und ich spüre die Kraft dieser Bilder, denke an die Blumenzwiebeln, die ein Jahr wie tot in der Erde liegen und auf einmal so prachtvoll sind, liebe das Gelb der Osterglocken im Frühling und das Grün der Blätter an Bäumen, die im Winter wie tot sind. „Gib nicht auf, diese Kraft kennst du und sie ist bei dir!“
Und Jesaja sieht, wie das Leben ist in dieser immer noch besetzten Stadt, in der viele einfach nur überleben wollen und andere einfach nur das halten wollen, was sie haben, in der manche müde sind vom Lebenskampf und andere nicht mehr wissen, was denn nun ihr Weg, ihr Ziel ist. „Macht die schlaffen Hände stark und festigt die stolpernden Knie“.
Jesaja weiß, dass sich die Erfahrungen der Menschen in ihren Körpern einzeichnen: Kämpfen und Verlieren, Bleiben und Aushalten, Weggehen und Wiederkommen, arm sein und die Angst davor, es zu werden: all das nimmt den Knien den halt und den Händen die Kraft. Aber gegenseitig, so schreibt Jesaja, gegenseitig könnt ihr euch Halt geben und aufrichten – weil Gott, eure Kraft, da ist so wie sie schon immer da war: in all den Wüstenzeiten, die ihr und eure Mütter und Väter, Generationen vor euch erlebt haben.
Jesaja erinnert die Menschen an das, auf das sie zurückschauen können, lässt Hoffnungs-bilder aus der Vergangenheit zur Zukunft werden.
Und ich überlege, was meine Hoffnungsbilder sind, die für mich Zukunft werden können.
Und ich sehe mich als junge Studentin auf der großen Demonstration in Bonn gegen die Aufrüstung und für den Frieden mit 100.000 anderen, denke an das lila Kirchentagstuch: Umkehr zum Frieden.
Sehe die, die sich seit 2015 für die syrischen Flüchtlinge und heute für die ukrainischen Frauen und Kinder engagieren.
Sehe die jungen Leute, die freitags demonstrieren und ihr Recht auf Zukunft einfordern.
Sehe uns heute Morgen hier in der Kirche Gottesdient feiern – obwohl wir vielen anderen wie aus der Zeit gefallen erscheinen.
Rio Reiser singt: „Der Traum ist aus – aber ich werde alles geben, dass er Wirklichkeit wird.“
In genau dieser Spannung lebe und glaube ich. Es ist Krieg und Menschen sterben. Aber ich will nicht aufgeben, an die Möglichkeit des Friedens zu glauben. Es geht nicht gerecht zu bei uns, aber ich will nicht aufhören, daran zu glauben, dass es anders sein kann. Ich weiß oft genau genau, was gut zu tun wäre, und schaffe es nicht – aber ich will nicht aufhören, daran zu glauben, dass ich mich ändern kann.
Wüsten blühen – nur für kurze Zeit, aber sie blühen. Ich glaube, Gott träumt auch, dass sie einmal für immer blühen – wenn wir diesen Traum teilen.
Rio Reiser: Der Traum ist aus.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, schenke uns die Kraft zum Träumen und die Bilder der Hoffnung, die zum Leben einladen. Amen.