Predigt zur Jahreslosung 2021 von Charlotte Scheller und Anne Dill

Thu, 31 Dec 2020 13:56:36 +0000 von Anne Dill

Predigt zur Jahreslosung 2021, Lukas 6,36 (Charlotte Scheller und Anne Dill)

"Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist."
 
Bevor Sie die Predigt lesen, bitten wir Sie eine Kerze und ein Feuerzeug/Streichholz bereitzulegen.
 
AD:
An Silvester schaue ich immer zurück. Es passiert ganz automatisch. Spätestens kurz vor zwölf. Ich frage mich: Was war gut in diesem vergangenen Jahr? Und: Was hätte ich gern anders gehabt? 
Wie wird das neue Jahr werden? Ich bitte Gott, dass er dabei ist. 
 
CS: Für das Zurückschauen und das Nach-Vorne-Denken ist uns die Jahreslosung an die Hand gegeben: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist.“ (Lk 6,36). Nehmen Sie sich mit uns eine Minute Zeit zum Zurückschauen: Wo habe ich mich in diesem Jahr nach Barmherzigkeit gesehnt? Wo habe ich Barmherzigkeit durch einen anderen erfahren? Wo bin ich jemandem barmherzig begegnet?
Vielleicht entsteht ein Bild, eine Momentaufnahme.
[…]
 
AD: Vielleicht ist ein schönes Bild vor unseren Augen entstanden, an das wir gern zurückdenken. Vielleicht hat das Bild auch graue Einschläge, weil nicht alles gut war. Weil wir uns nach der Barmherzigkeit eines anderen gesehnt haben, weil wir verletzt worden sind oder selbst jemanden verletzt haben. Was war, können wir nicht mehr ändern. Aber Gott schaut das Geschehene unendlich liebevoll an. Wir können es ihm, dem himmlischen Vater, in die Hände legen. 
 
CS: „…wie auch Euer Vater im Himmel barmherzig ist.“ Himmel steht gar nicht da, aber ich denke es wie selbstverständlich mit. Ist Barmherzigkeit vor allem eine Eigenschaft Gottes? Was heißt Barmherzigkeit? Ein Herz für die Armen haben – das würde zur lateinischen Übersetzung passen: miseri cordias. Jedenfalls ist das Herz betroffen. Schaut man im Althochdeutschen nach, sind auch andere Körperteile einbezogen. „Barm“ kann mit „Schoß“ oder „Busen“ übersetzt werden. Wo das Leben entsteht. Wo sich ein kleines Kind beim Vater oder der Mutter birgt und Nahrung findet und Trost. 
 
AD: Das ist sehr körperlich. Jesus nennt in einer anderen Rede sieben Werke der Barmherzigkeit (Matthäus 25): Kranke pflegen, Gefangene besuchen, Nackte kleiden, Hungrige speisen, Durstigen zu trinken geben, Fremde aufnehmen, Tote bestatten. Das ist das, was Jesus wichtig ist und wonach er fragt. Er hat Menschen Mut und Kraft zum Leben gegeben. So sind wir auch geschickt, Leben zu ermöglichen, Nahrung zu geben und zu trösten. Mit Händen, Füßen und dem Herzen. Das hört sich viel und groß an, aber ich kann mit einem kleinen Schritt anfangen. Einem Durstigen eine Flasche Wasser kaufen oder dem frierenden Musiker vor dem Bahnhof einen heißen Kaffee bringen. 
 
CS: Das Problem ist, dass man sich dabei dann gut fühlt. Aber es ist nur ein Tropfen auf dem heißen Stein, er ist wirklich arm und ich sitze auf einem sehr hohen Ross, wenn ich so „barmherzig“ bin.
 
AD: Wenn du es wirklich nur machst, weil du dir oder anderen zeigen willst, wie toll du bist, dann ist es wirklich ein Problem. Aber es geht gar nicht darum, dass es jemand mitkriegt. Vielleicht sieht es ja keiner und du sagst es keinem und es bleibt zwischen dir und dem anderen und Gott. Jesus sagt in dieser Rede: „Das habt ihr mir getan“. Das ist eine andere Art von gutem Gefühl. Es geht nicht um mich selber, sondern um den, der mir gegenüber ist. 
 
CS: Aber irgendwie geht es auch um mich. Wenn ich auf diese menschliche Weise barmherzig bin, kann sich auch etwas in mir verändern. Es kostet mich Überwindung, ins Krankenhaus zu gehen. Die Gerüche. Die verstellbaren Betten. Die Geräusche der Überwachungsmaschinen. Ich ziehe mir einen Stuhl an das Bett des Kranken. Wir wechseln einen Blick. Ich singe etwas oder lese vor. Wir teilen einen kostbaren Moment. 
 
AD: Vor einigen Jahren saß ich am Bett einer Sterbenden. Nicht aus Barmherzigkeit. Sondern weil ich bei ihr sein wollte. Sie ist jeden Tag schwächer geworden. 
Ich habe es kaum ausgehalten. Mir haben die Worte gefehlt. 
Erst viel später habe ich es anders gesehen: Es war Gott, der da mit mir und uns beiden barmherzig war. Weil es diese Zeit für uns beide gab. 
 
CS: Wir können Gott um seine Barmherzigkeit bitten. Im Gottesdienst laden wir ein, ein Licht am Gebetsleuchter anzuzünden, der heute an der Krippe steht. Wenn Sie mögen, können Sie sich nun auch zu Hause einen Moment Zeit nehmen und die Kerze anzünden. Für einen anderen Menschen oder für sich selbst. 
 
(…) 
 
AD: „Seid barmherzig“ – zu wem sagt Jesus das eigentlich? „Euch, die ihr zuhört“, steht da. Zuerst sind das wohl seine Jünger. Und dann alle, denen seine Worte etwas sagen. Die mit ihm unterwegs sind. Wir. Was wir machen, hängt nicht davon ab, was andere davon halten. Dem barmherzigen Samariter ist egal, dazu sagen, was er gerade tut. Er kümmert sich nicht um seine Kleidung. Er lässt sich von seinem Weg abbringen und von seinem Zeitplan. Ihm ist auch egal, um wen er sich da kümmert. Er fragt nicht danach, ob er jemals ein Dankeswort bekommt. Gott schickt ihn. Vielleicht merkt er das selbst gar nicht. 
 
CS: Ich bin oft nicht gut im Barmherzig-Sein. Aber der Vater im Himmel ist es ja. Er freut sich unendlich, wenn eins seiner Kinder zu ihm zurückkommt. Egal was vorher war. Ob man Gründe hatte, es ohne ihn zu versuchen oder es einfach versemmelt hat. Jesus zeigt, Gott hat offene Arme. An ihm kann ich mich festklammern, wenn meine eigene Barmherzigkeit nicht mal bis zu dem Menschen in der Wohnung nebenan reicht. Gott erbarmt sich meiner Unbarmherzigkeit. 
 
AD: Auf unserem Bild zur Jahreslosung sind Kinder. Sie stehen am offenen Fenster und schauen erwartungsvoll den an, der ihnen etwas gibt. Sie sind hungrig. Sie haben kein Problem, das anzunehmen, was ihnen gegeben wird. Im Gegenteil, sie erwarten es sogar. 
Jesus sagt, das ist die einzig wahre Haltung gegenüber Gott. Wie ein Kind zu sein, das alles von ihm erwartet. Weil er selbst die Barmherzigkeit ist. 
Amen. 
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