von Charlotte Scheller
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Ich erinnere mich an das Quietschen der Kreide auf der Tafel im Klassenraum. Vor der ersten Stunde schrieb der Mitschüler, der Tafeldienst hatte, das Datum in die rechte obere Ecke. Der Tag konnte kommen. Der Satz des Pythagoras. Unregelmäßige Verben und unflätige Kritzeleien.
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Ich erinnere mich an das Quietschen der Kreide auf der Tafel im Klassenraum. Vor der ersten Stunde schrieb der Mitschüler, der Tafeldienst hatte, das Datum in die rechte obere Ecke. Der Tag konnte kommen. Der Satz des Pythagoras. Unregelmäßige Verben und unflätige Kritzeleien.
Ich erinnere mich an ein Restchen Kreide zwischen Daumen und Zeigefinger. Ich schreibe das Wort „Himmel“ in das oberste Feld des Hüpfkästchens. Die Kreide ist zerrieben vom Asphalt der Straße. Die Fingernägel sind rissig und schwarz.
Auch Martin Luther soll manchmal ein Stück Kreide in die Hand genommen haben. Auf den Tisch vor sich schrieb er, in Latein: „Ich bin getauft“. Ich stelle mir vor, er tat das am Morgen. Wenn sich die Aufgaben des Tages wie Berge vor ihm türmten. Wenn er mit den Anfeindungen seiner Gegner kämpfte. Oder mit Selbstzweifeln und Ängsten. Gegen das Rissige, Dunkle um ihn und in seinem Innern erinnerte sich Luther, Kreide auf Holz: Ich stehe in der Macht des Himmels. Ich stelle mir vor, wie sich im Laufe des Tages Bücher und Papiere über die Kreideschrift schieben. Wie Luther die Ellbogen auf den Tisch stützt und den Kopf in den Händen vergräbt. Wie er abends unter Zetteln und Krümeln die verwischten Buchstaben wieder freilegt: „Ich bin getauft“.
Ich erinnere mich nicht an meine Taufe. Aber an die Taufe des kleinen Emmet am frühen Ostermorgen in unserer Kirche. Sein Taufspruch: „Alles, was Gott uns gibt, ist gut und vollkommen. Er, der Vater des Lichts, ändert sich nicht; niemals wechseln bei ihm Licht und Finsternis.“ Jakobus 1. Die Großeltern konnten nicht dabei sein. Sie wurden per Video Zeugen der Taufe. Ich erinnere mich an die Taufe von Anabel Wolter am vergangenen Samstag. Zeiten des Lesens sind vorausgegangen und eine Reihe Gespräche. Am Taufbecken, im Saal, auf dem Kirchplatz. „Dein Wort ist meines Fußes Leuchte und ein Licht auf meinem Weg“, ihr Taufspruch aus Psalm 119. Gottes unbedingtes Ja-Wort zu seinen Kindern ist mein Wegweiser. Es ermutigt mich, auch Ja zu sagen zu mir, zu meinen Mitmenschen, zum Leben. „Ich bin getauft“, hat Anabel Wolter fröhlich auf die Altarstufe geschrieben, das können ruhig alle wissen.
Jede Taufe ein Fest! Es erinnert mich: Auch ich stehe in der Macht des Himmels. Gott gibt mir Gutes. Der Tag kann kommen. Der Satz des Pythagoras. Die Aufgaben, Anfeindungen, Ängste und Glücksmomente. Ich bin getauft. Eingeschrieben, unauslöschlich, in das Buch des Lebens.