Sommerkirche in Roringen: Bileams Eselin

Fri, 23 Jul 2021 16:37:18 +0000 von Charlotte Scheller

Geschlagen, verachtet, unterschätzt – Bileams Eselin. Predigt zu Numeri 22,21-35 von Anna-Katharina Diehl
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Liebe Gemeinde,
Gott billigt die Wege Bileams nicht. 
 
In der Erzählung im Buch Numeri des Alten Testaments wird berichtet, dass der Prophet Bileam von den Moabitern gekauft worden ist, um das Volk Israel zu verfluchen. Die Moabiter fürchten sich vor Israel und wollen es gerne vernichtet sehen. Es wird erzählt, dass der König der Moabiter, Balak, Bileam bittet, das Volk Israels durch einen Fluch zu stoppen. Zuerst lehnt Bileam eine Einladung von Balak ab. Aber beim zweiten Mal folgt Bileam der Einladung und knickt ein. 

Bileam reitet also auf seiner Eselin los, um Balak zu treffen. Und nun geschieht etwas Außer-gewöhnliches: Das Tier gehorcht nicht! Die Eselin weicht vom Weg ab und geht auf dem Feld. 
 
Der Prophet Bileam ist verwirrt. So kennt er sein Tier doch gar nicht. Aber er fackelt nicht lange und schlägt sie, um sie wieder auf den Weg zu bringen. 
 
Ein zweites Mal verweigert sich das Tier seinem Herren: Die Eselin drängte sich an eine Mauer und klemmte Bileam den Fuß ein. Das kann doch nicht wahr sein! Bileam wird wütend. Er schlägt die Eselin noch mehr.
 
Und schließlich kommen sie an eine enge Stelle, wo kein Platz mehr zum Ausweichen ist, weder auf der rechten noch auf der linken Seite. Und Bileam will durch die Felsen hindurchreiten. Doch die Eselin macht wieder nicht, was er möchte. Sie fällt einfach unter ihm auf die Knie. In unserem Text heißt es: Da entbrannte der Zorn Bileams, und er schlug die Eselin mit dem Stecken…
 
Liebe Gemeinde, nachdem wir die Lesung des Bibeltextes gehört haben, wissen wir, dass Gottes Engel mit einem Schwert in der Hand der Eselin erscheint und sie warnt: Geh hier nicht weiter! Der Weg, auf dem dein Herr gehen will, der führt ins Verderben!
 
Aber Bileam sieht den Engel Gottes nicht. Er hat sein eigenes Ziel vor Augen. Er hat seinen eigenen Kopf. Er hat Gott nicht richtig zugehört. Er will mit dem Kopf durch die Wand. Und er verlangt Gehorsam von seinem Tier. Die Eselin soll gefälligst machen, was er von ihr verlangt. Sie soll sich seinem Willen beugen.
 
Bileam traut seiner Eselin nichts zu. Es kommt ihm gar nicht in den Sinn, dass sie nach dem Willen Gottes handeln könnte. Dass sie mehr sieht als er. Dass sie recht haben könnte. Dass sie zu Höherem bestimmt ist…
 
Bileam hält nicht einmal einen Moment inne und überlegt. Er ist nur blind vor Wut und Ärger. Hätte er ein Schwert gehabt, er hätte sie einfach getötet, so außer sich ist er… 
 
Liebe Gemeinde, als ich die Geschichte zum ersten Mal gelesen habe, war ich ärgerlich über die Arroganz und Ignoranz des Propheten Bileam. Doch wenn ich länger über sein Verhalten nachdenke, so glaube ich, dass sein Verhalten wahrscheinlich allgemein menschlich ist. Bileam hat von den Moabitern Geld angeboten bekommen. Er möchte nun zu ihnen. Und weil die Eselin seine Pläne durchkreuzt, wird er ärgerlich auf sie. 
 
Vielleicht kennen wir diese Situation, wenn wir uns einen Plan gemacht haben und etwas Unerwartetes dazwischenkommt. Wenn jemand uns gegenüber Widerstand leistet. Wenn sich uns jemand in den Weg stellt, der oder die uns andeutet: Mach das nicht!
Wenn mich jemand von meinen Zielen abgingen möchte, dann werde ich jedenfalls auch ärgerlich. Aber in dem Moment, wo ich Kontra bekomme, muss ich mich damit auseinandersetzen, dass ich vielleicht unrecht habe und der Weg, den ich gehen will, vielleicht nicht der richtige ist. Das kratzt am eigenen Ego!
 
Und in unserer Geschichte ist es ja auch nicht irgendwer, der Bileam von seinem Weg abzuhalten versucht! Nein, es ist seine eigene Eselin. Und an die hat Bileam ganz bestimmte Erwartungen: Sie soll ihm gehorsam dienen, sie soll zu seinem Wohl und Nutzen da sein. Und sie soll auf gar keinen Fall einen eigenen Kopf haben!
 
Bileam hat ein bestimmtes Bild von seiner Eselin und weist ihr den Platz zu. Und dabei unterschätzt er die maßlos, die eigentlich seine Gefährtin ist, und tut ihr damit großes Unrecht! Und irgendwie kann ich das sogar nachvollziehen: Esel sind ja noch dazu keine besonders schönen Tiere. Sie haben graues, ein bisschen struppiges Fell. Ihre Beine sind nicht besonders lang und ihre Ohren besonders groß. Sie können nicht sehr schnell laufen, und ihre I-A-Rufe klingen ein bisschen seltsam. Im Volksmund gelten Esel außerdem als nicht besonders schlau. Wie oft sagen wir: „Du dummer Esel!“, wenn wir jemanden beleidigen wollen. 
 
Das äußere Erscheinungsbild spielt eine große Rolle für unsere Bewertungen. Auf den ersten Blick jedenfalls ahnt man nicht, wozu jemand eigentlich im Stande ist. 
 
Ich habe mich ein bisschen schlau gemacht und erstaunliche Dinge über Esel herausgefunden, die ich vorher noch nicht wusste: Esel sind besonders zäh und werden deshalb als Packtiere verwendet. Viel länger als ein Pferd kann ein Esel ohne Wasser und Nahrung auskommen. Da Esel anders als Pferde schwindelfrei sind, können sie gut in steilen Gebirgen schwere Lasten transportieren. Auch die Milch der Esel schmeckt gut und ist reich an Nährstoffen.
 
Ganz besonders erstaunt hat mich bei meiner Recherche, dass Esel von Schäfern als Herdenschutztiere eingesetzt werden, da sie gut gegen Wölfe vorgehen können. 
Auch wusste ich bisher nicht, dass die Beweidung einer Grünfläche mit Eseln ein effektives Werkzeug der Landschaftspflege ist. Gegenüber Schafen, Rindern und Ziegen haben Esel eine höhere Lebenserwartung. 
Und sogar in der tiergestützten Therapie und Pädagogik kommen Esel zunehmend zum Einsatz. 
 
All diese tollen Eigenschaften von Eseln sind auf den ersten Blick gar nicht sichtbar. Und vielleicht ist das ein Grund dafür, warum in unserer Geschichte gerade ein Esel - genau genommen eine Eselin - die Hauptrolle spielt (Es soll ja auch vorkommen, dass Frauen manchmal unterschätzt werden!).
 
Aber hätte Bileam es nicht besser wissen müssen, frage ich mich. War diese Eselin nicht schon seit Ewigkeiten seine vertraute Gefährtin, die immer brav und helfend ihm zur Seite gestanden hatte? War es je ihre Art gewesen, sich ihm so zu widersetzen? Aus seiner eigenen, langjährigen Erfahrung hätte der Prophet doch wissen müssen, dass es einen guten Grund für das Verhalten seiner Eselin geben muss…
 
Sie hat den Engel Gottes gesehen und will ihren Herren vor einer Katastrophe bewahren. Sie sieht mit anderen Augen auf den Weg, der vor ihnen liegt. Sie hat Gottes Worte verstanden. Sie erkennt die Gefahren, die Bileam nicht wahrhaben möchte…
 
Liebe Gemeinde, wie wir Menschen unsere Umgebung, egal ob Mensch oder Tier, beurteilen, hängt häufig von dem ab, was wir sofort wahrnehmen können. 
 
Da sind Leute, die toll reden können, gut aussehen, die offensichtlich Geld haben. Da sind Menschen, die eine hohe Stellung in unserer Gesellschaft einnehmen und Einfluss haben. 
 
Und da sind die Menschen, die vielleicht unscheinbarer, weniger laut und zurückhaltender sind.Da sind Leute, die im Hintergrund arbeiten, die als Reinigungskräfte, Bauarbeiter, Paket-Boten oder Krankenschwestern für andere da sind. Wie oft habe ich erlebt, dass Menschen in meinem Umfeld auf andere herabsehen aufgrund ihres Bildungsstandes oder ihres Aussehens. Obwohl beides gar nichts über ihre Qualitäten als Mensch aussagt, nicht mal darüber, wie klug sie sind.
 
Es gibt Menschen, die viele tolle Eigenschaften besitzen, die wir vielleicht noch gar nicht kennen, weil wir uns nicht die Mühe gemacht haben, einmal innezuhalten und wirklich hinzusehen. Vielleicht, weil wir Muster in unseren Köpfen haben, welche die Welt ordnen, nach was für Kriterien auch immer. Vielleicht, weil wir unseren eigenen Vorteil und unser eigenes Ziel vor Augen haben. 
 
Die Geschichte der Eselin aber, die soll uns wachrütteln für eine Perspektive, die nicht menschlich, sondern göttlich ist. 
Gott ist ein Gott, der unsere weltlichen Ordnungen, unsere Erfahrungen, Erwartungen und Logiken durchkreuzt: 
 
Gott stößt die Gewaltigen von Thron und erhebt die Niedrigen. (Lukas 1,52) Er ist in den Schwachen mächtig (1. Korinther 12,10). Er bedient sich der armen Magd und lässt sie den Heiland selbst gebären. Er wird selbst zu einem schwachen, wehrlosen Baby in einem armen Stall. Gott ist ein Gott, der durch eine Eselin spricht! 
 
Lasst uns das nicht vergessen, wenn wir unseren Weg gehen. Gott will uns auf seinen Wegen leiten, und dafür bedient er sich manchmal auch unkonventioneller Wege. Nicht immer liegt die Wahrheit bei den Mächtigen und Schönen unserer Gesellschaft… In unserer Geschichte öffnet Gott Bileam schließlich die Augen, sodass er den Engel des Herrn auf dem Wege stehen sieht und er eingesteht: Ich habe gesündigt!
 
Möge Gott auch uns die Augen öffnen, für die Wege, die zur Gerechtigkeit und zum Leben führen!
Amen.
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