von Charlotte Scheller. Audio unter diesem Beitrag
Statt vieler Worte eine Tat. Das stand auf dem Aufkleber des Diakonischen Werks Hannover, als ich mich umsah nach einer Stelle für das Freiwillige Soziale Jahr. Anfang der Achtziger Jahre. Das Motto hat mich sofort überzeugt. Hatte ich doch viele Jahre die Schulbank gedrückt und mich hauptsächlich mit Worten beschäftigt. Es war die Zeit, in der man unglaublich viel geredet hat. Tischgruppen im Klassenraum, Demos gegen Atomkraft, alles wurde diskutiert. Ich hatte die ersten herben Enttäuschungen erlebt. Worte, die nicht tragfähig waren. Versprechungen von Politikern, Schwüre von Freundinnen, Moralpredigten von Eltern und meine eigenen kleinen und großen Lügen. Der Not geschuldet oder der Bequemlichkeit. Jetzt dürstete es mich nach Taten.
Statt vieler Worte eine Tat. Das stand auf dem Aufkleber des Diakonischen Werks Hannover, als ich mich umsah nach einer Stelle für das Freiwillige Soziale Jahr. Anfang der Achtziger Jahre. Das Motto hat mich sofort überzeugt. Hatte ich doch viele Jahre die Schulbank gedrückt und mich hauptsächlich mit Worten beschäftigt. Es war die Zeit, in der man unglaublich viel geredet hat. Tischgruppen im Klassenraum, Demos gegen Atomkraft, alles wurde diskutiert. Ich hatte die ersten herben Enttäuschungen erlebt. Worte, die nicht tragfähig waren. Versprechungen von Politikern, Schwüre von Freundinnen, Moralpredigten von Eltern und meine eigenen kleinen und großen Lügen. Der Not geschuldet oder der Bequemlichkeit. Jetzt dürstete es mich nach Taten.
Menschenworte können täuschen. Mit Gottes Wort ist es anders. Bei Gott sind Wort und Tat eins. Was aus Gottes Mund kommt, ist kein leeres Gerede. Es ist wie gute Saat, aus der etwas Lebendiges aufwächst. Denken wir an die Schöpfungsgeschichte. Gott sprach: Es lasse die Erde aufgehen Gras und Kraut, das Samen bringe. Und die Erde ließ aufgehen Gras und Kraut und Bäume, die Früchte bringen mit neuen Samen (Gen1,11f). Denken wir an Gottes Versprechen an Abraham, als er und seine Frau schon alt sind: Du sollst Nachkommen haben, mehr als du Sterne am Himmel siehst. Und Abraham wird zum Vater der Vielen. Denken wir an den Segen. Wir gehen gestärkt zur Tür hinaus, wenn uns jemand zugesprochen hat: Der Herr segne dich und behüte dich. Wenn Gott spricht, fallen Wort und Tat zusammen.
Wie kann ich es hören, das Gotteswort? Das Schöpfungswerk ist längst vollbracht. Wir tragen dazu bei, es wieder zu verderben. Gibt es überhaupt noch Menschen, die Gott reden hören, wie damals die Propheten, eins zu eins in wörtlicher Rede? Oder solche, die Gottes Wort leben, so dass man an ihrem Schicksal ablesen kann, was Gott sagt, wie der Prophet Jeremia? Oder wie Jesus. Am Anfang des Johannesevangeliums lesen wir: Jesus Christus ist zu uns gekommen, das eine Wort Gottes, ein Mensch aus Fleisch und Blut. Unser Predigttext heute stammt aus dem Hebräerbrief. Der Schreiber hat Jesus Christus vor Augen, wenn er seinen Leuten schreibt. Die Gemeinde fängt an, müde zu werden im Glauben. Sie haben Christus aus dem Blick verloren. Wie sollen sie inmitten der vielen Stimmen rings umher Gottes Wort hören? In Hebräer 4 lesen wir:
Das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens. Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen dessen, dem wir Rechenschaft geben müssen.
Gottes Wort dringt durch. Welche Worte gehen uns durch Mark und Bein? „Kriegsgefahr in Europa“. Diese Worte beherrschen seit Beginn der Krise um Russland und die Ukraine die Nachrichten. Der Berliner Bischof Christian Stäblein sagt in einem Friedensgebet: „Es ist Krieg. Schon jetzt. Krieg im Osten der Ukraine. Nach offiziellen Schätzungen hat er bereits mehr als 14.000 Menschen das Leben gekostet. Über zwei Millionen sind aus den Gebieten dort geflohen oder vertrieben (...). Krieg ist immer ein großes Unrecht, Krieg ist immer eine Ansammlung von Tragödien und Verbrechen, Krieg ist Wahnsinn“. Und dann nimmt der Bischof einen Gedanken auf, den der Ökumenische Rat der Kirchen 1948 formuliert hat. Die Ratsmitglieder haben den Schrecken der Weltkriege noch in den Knochen: „Krieg soll nach Gottes Willen nicht sein“.
Gottes Wort unterscheidet und trennt. Gott hat am ersten Schöpfungstag das Licht von der Finsternis geschieden und so Leben möglich gemacht. Nun gilt es, dass seine Kinder das Licht von der Finsternis unterscheiden. Stäblein sagt: „Und so rufen und bitten wir hier in dieser Stunde: Hört auf mit dem Krieg. Sucht den Frieden (...). Krieg soll um Gottes willen nicht sein. Es wäre Wahnsinn. Es wäre gegen den Gott, der das Leben will“.
Worte, die schneiden. Nicht nur, was die Lage in der Welt betrifft, können mir Worte durch Mark und Bein gehen. Auch in meinem persönlichen Alltag kann, was gesagt wird, einschneidend sein. Das Wort „Ungenügend“ nach der entscheidenden Prüfung. Die Diagnose einer schweren Krankheit. Die drei kleinen Worte „Ich dich nicht“. Worte sind Taten. Sie können richten, krank machen, können sogar vernichten. Worte können aber auch aufrichten und sogar gesund machen. „Du hast mir gut getan“. – „Ich bin dein Freund, egal was passiert“. - „Ich habe dir wehgetan. Bitte verzeih!“
Zurück zu unserem Hebräer-Wort. Gottes Wort ist Richter der Gedanken und Sinne des Herzens. Was bedeutet das? Vor Gottes Augen bleibt nichts verborgen. Ungeschützt stehen wir da vor dem Höchsten. Gott weiß und sieht, was ich sonst niemanden sehen lassen, was ich vielleicht nicht mal selber sehen will. Gott sieht, wo ich festen Boden unter den Füßen habe, und kennt auch die Abgründe in mir. „Herr, du bist Richter“, heißt es in einem Lied aus meiner Jugendgruppenzeit, „du nur kannst befreien“.
Letztlich ist es auch eine Wohltat, dass jemand all meine Gedanken kennt, auch die abgründigen. Weil er das erste und das letzte Wort über mein Leben hat. Weil er ein Arzt ist. Manchmal muss er schneiden, um bösartiges Gewebe vom gesunden abzutrennen. Gottes Wort deckt Lügen und falsche Sicherheiten auf. Es trennt Licht und Schatten, Wasser und Land. Das kann schmerzhaft sein. Ich erkenne, ich habe einen Fehler gemacht, einem andern Unrecht getan, mich in eine Lüge geflüchtet. Ich sehe, ich habe meine Verantwortung nicht wahrgenommen für einen anderen Menschen, für eine Aufgabe, die mir anvertraut war. Ich möchte im Boden versinken. Aber Gott reicht mir die Hand. Er schickt mir einen Menschen. Jesus, sein lebendiges Wort. Er richtet mich, unterscheidet zwischen dem Bösen in mir und dem, was an Gutem gesät ist in meinem Herzen. „Du nur kannst befreien“, heißt es in dem Lied. „Wenn du uns freisprichst, dann ist Freiheit da“. Ich muss und darf Rechenschaft ablegen vor Gott. Und dann kann ich loslassen, was mich von ihm trennt. Von den anderen, für die ich da sein sollte. Von mir selbst. Ich darf mich in seine Hände begeben. Christus beseitigt das Trennende. Gottes Wort, lebendig und kräftig und schärfer als jedes Menschenwort, befreit mich von allem, womit ich mich beladen habe.
Wozu werden wir befreit? Dazu, anderen ihre Lasten tragen zu helfen. Wir werden frei, unsere Stimmen zu erheben und uns einzusetzen dafür, dass mit allen Mitteln des Wortes der Frieden gesucht wird für die Ukraine und für die Welt. Wir sollen unsere Stimmen erheben, wenn Menschen in Meeresfluten versinken. Wenn rassistische Worte und Taten verharmlost werden. Wenn Menschen mit Behinderungen von der Teilhabe ausgeschlossen werden. Wenn Tiere gequält werden und die Schöpfung ausgebeutet wird. Wir sind aufgerufen, in Gottes Namen zu sprechen und sein lebendiges und kräftiges Wort weiterzusagen. Auch wenn wir uns damit unbeliebt machen.
Viele Stimmen dringen an unser Ohr und fluten unsere Sinne. Familie, Freunde, Kolleginnen. Radio, Fernsehen, Social Media. Wie sollen wir in dem Gewirr Gottes Wort heraushören? Selbst wenn wir den Himmlischen aus den Augen verloren haben, Gott hat Mittel und Wege, uns zu erreichen. So wie Jesus Petrus erreicht hat, als der zu ihm kommen wollte nachts, auf dem Wasser. Dietrich Bonhoeffer schreibt in seinem Buch „Nachfolge“ (1935): „Als Petrus auf das schwankende Meer gerufen wird, da muss er aufstehen und den Schritt wagen. Es war in all dem nur eines gefordert, sich auf das Wort Jesu Christi zu verlassen. Die Mächte, die sich zwischen das Wort Jesu und den Gehorsam stellen wollten, waren damals ebenso groß wie heute. Die Vernunft widersprach, das Gewissen, die Verantwortung, die Pietät, ja selbst das Gesetz“.
Die Mächte, die sich Gottes Wort entgegenstellen, sind heute stärker denn je. Es bleibt ein Wagnis: Aufstehen, auch wenn der Boden unter mir schwankt. Einen einzigen Schritt machen auf Jesus zu. Er sagt „Komm her“.
Und wenn ich seinem Wort nicht traue, wenn ich losgehe und merke, ich versinke doch? Dann kann ich, wie Petrus, immer noch rufen: Herr, hilf mir! So werde ich Gott in den Ohren liegen. Für mich. Für meinen Nächsten. Für den Frieden in der Ukraine und in der Welt. Er ist hier, sein lebendiges Wort. Amen.