Menschenfischer. Predigt zu Lk 5,1-11 von Charlotte Scheller

Sat, 25 Jul 2020 10:13:36 +0000 von Anne Dill

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Menschenfischer. Predigt zu Lukas 5,1-11 (Charlotte Scheller)
 
Die ganze Nacht gearbeitet. Jetzt graut der Morgen, die Vögel lärmen schon, der Verkehr auf den Straßen ist aufgewacht. Sie ist müde und gleichzeitig hellwach. Die Schicht war anstrengend, zweimal die Bettenrunde, drei Bewohnerinnen brauchen intensive Pflege. Die Medikamente stellen für die ganze Station. Zwischen zwei und vier hat sie mit dem Schlaf gekämpft, bis der Bewohner in der Fünf wieder geklingelt hat. Manche rufen einen dauernd und brauchen eigentlich nichts. Nur ein paar freundliche Worte. Andere machen sich still und heimlich davon. Wie die Frau in der Elf. Saß im Sessel wie immer. Bloß blasser als sonst. Friedlich eingeschlafen, werden sie später sagen. Sie hat sie gewaschen und  schön gemacht. Ein letzter Dienst. So hätte sie es gern gehabt. Das ganze Team kam sich verabschieden. Sie hat geweint. 
 
Jetzt ist sie zu Hause. Hat die Kleine losgeschickt, heute ist Schule. Ein paar Stunden Schlaf, bevor das Kind zurückkommt, hungrig, voller Geschichten. Immer noch keine Nachricht von ihrem Vater. Einen Computer brauchen sie jetzt für den Online-Unterricht. Wovon den bezahlen? Da schlägt man sich die Nächte um die Ohren. Und kommt doch nie auf einen grünen Zweig.
 
Die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen. Kalt und unfreundlich das Morgengrauen. Minuten später ist heller Tag. Simon und seine Leute haben die Boote aufs Land gebracht. Die leeren Körbe verstaut. Noch die Netze waschen. Jetzt kommen andere an den Strand. Händler. Kauflustige. Lebenskünstler. Bettler. Da ist auch dieser Wanderprediger. Simon hat ihn schon mal gesehen, im Haus seiner Schwiegermutter. Jesus. Er hat sie gesund gemacht. Die Leute wollen ihn reden hören. Selig sind, die da Leid tragen. Er kann offenbar trösten. So viele wollen ihn hören, dass er auf Abstand gehen muss. He, sagt er zu Simon, fahr mich ein Stück raus auf den See. Simon zieht das Boot wieder aufs Wasser. Fährt ein paar hundert Meter raus. Der Prediger steht auf. Nimmt sein Boot als Kanzel. Er redet von Gott und der Welt und die Leute am Ufer hängen an seinen Lippen. Simons Gedanken schweifen ab. Predigten  sind nicht so seins. Simon? Er zuckt zusammen. Fahr weiter raus. Dahin, wo es tief ist. Werft eure Netze zum Fischen aus! 
Meister, sagt er. Respektvoll. Aber. Niemand fischt am hellen Tag. Wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen. Aber auf dein Wort hin - gut, ich will die Netze auswerfen. 
Und dann - unglaublich. Mitten am Tag beide Netze voll. Simon verliert den Überblick. Das Boot kommt ins Schwanken. Sein Fischer-Selbstverständnis auch. Das Team mit dem anderen Boot wird zur Hilfe gerufen. Die Netze sind schon angerissen. Nicht zu fassen das alles. Die Boote drohen zu sinken. Aber sie bringen alles an Land. Den ganzen Fang. Eigentlich sollten sie jetzt feiern. Aber. Simon klopft das Herz. Ihm zittern die Knie. Das geht nicht mit rechten Dingen zu. Da ist eine andere Macht im Spiel. Wer ist dieser Jesus? Er geht auf Abstand. Sinkt auf die Knie. Herr, geh weg von mir. Ich bin ein sündiger Mensch.
 
Das ist keine Beichte. Kein schlechtes Gewissen, keine Tat, die sich gestehen und vergeben ließe. Es ist diese ganze Vergeblichkeit. Wenn du plötzlich merkst: Ich bin nur ein Mensch. Begrenzt. Eingeschränkt. Verletzlich. Verletzt, weil ich mich umsonst abgemüht habe. Weil meine Arbeit nicht gesehen wird. Meine Gaben nicht gebraucht werden. Ein Abgrund zwischen mir und Gott. Ein Sund. Ich bin ein sündiger Mensch. Geh weg von mir, Mann Gottes!
 
Auch die anderen sind starr vor Schrecken über den großen Fang. Normal ist das nicht. Normal ist: Man macht sich krumm und es ist zum Leben zuwenig und zum Sterben zuviel. Bei der Arbeit kann es einem so gehen und in der Liebe. Auch in der Kirche. Betroffen zeigt sich Bischof Meister von den schwindenden Mitgliederzahlen. Wir leisten gute Arbeit, sagt er. Nur fängt sie kaum jemanden ein. 
 
Jesus hat an dem Tag nur einen eingefangen. Fürchte dich nicht, sagt er zu Simon, der schockstarr zu seinen Füßen kniet. Von nun an wirst du Menschen fangen. 
 
Ich, ein sündiger Mensch, weit weg von Gott, mit all meinen Grenzen und Fehlern, ich soll Menschen fangen? Ja, Fangen steht da. Nicht Fischen. Denn Fischen, das bedeutet den Tod für die Fische. Aber Gefangenwerden, das kann die Rettung sein vor dem Tod. Schon in der griechischen Übersetzung der hebräischen Bibel ist das so. Aufgefangen. Hineingeholt in Gottes Liebe. Dem großen Menschenfischer auf der Spur. Nicht um dasselbe zu tun wie er. Aber verbunden im Netzwerk seiner Jüngerinnen und Jünger. Unterwegs, um andere einzuladen. Nicht gefangen zu nehmen. Nicht zappeln zu lassen wie Fische auf dem Trockenen. Nicht untergehen zu lassen wie die Menschen im Mittelmeer auf den schwankenden Booten. Sondern einzuholen in Gottes Erbarmen. Ein Rettungsboot zu schicken. Leinen und Schlauchboote auszuwerfen und die Hoffnungslosen aufzunehmen hier wie dort. 
 
Du wirst Menschen fangen, sagt Jesus. Nicht: Du könntest, oder Du sollst. Er sagt: Du wirst. Fürchte dich nicht! Du hast auf mein Wort reagiert. Bist nochmal rausgefahren, wie Abraham losgegangen ist auf Gottes Ruf. Du wirst es wagen, mit mir zu gehen. Ich will dich segnen und du wirst für andere ein Segen sein.
 
Jesus hat vielen gepredigt vom Boot aus. Spaziergängern. Händlerinnen. Fischern. Einen hat ein heiliger Schrecken gepackt. Er hat sich ins Tiefe gewagt. Hat sich ihm angeschlossen. Folgt ihm nach. Gute Arbeit, wenn nur ein einziger sich einfangen lässt. Hereinholen in Gottes Güte und Barmherzigkeit. 
 
Mama? Ein Flüstern. Die Frau blinzelt. Sie muss eingeschlafen sein auf dem Sofa. Tief eingesponnen in ihre Gedanken. An die Mühseligkeit  ihrer Arbeit. An den letzten Liebesdienst für die gestorbene Bewohnerin. An das geduldige Zuhören am Bett des einsamen Bewohners. An die Bedürfnisse ihrer Tochter und an ihre eigenen vergeblichen Wünsche. Wie spät ist es? Benommen rappelt sie sich auf. Ich hab Pfannkuchen gemacht, sagt die Tochter. Komm essen! Es schmeckt köstlich.
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