Mittwochsgedanken: Nervensäge sein

Wed, 10 Mar 2021 17:30:22 +0000 von Charlotte Scheller

zu Lukas 18, 1-7 von Almut Wickert
 
Er [Jesus] gab ihnen einen Vergleich dafür, wie notwendig es ist, allezeit zu beten und nicht müde zu werden. Er sagte: „In einer Stadt lebte ein Richter, der weder Gott fürchtete noch einen Menschen achtete. Auch eine Witwe lebte in jener Stadt, die kam immer wieder zu ihm und sagte: ‚Verschaffe mir Recht gegenüber meinem Gegner!‘ Eine Zeit lang wollte der Richter nicht. Dann aber sagte er sich: ‚Wenn ich auch Gott nicht fürchte und keinen Menschen achte, werde ich doch dieser Witwe Recht verschaffen, weil sie mich belästigt; sonst kommt sie noch am Ende und schlägt mich ins Gesicht.‘“ - Da sagte er mit großer Autorität: „Hört, was der ungerechte Richter sagt. Aber Gott sollte den Auserwählten, die Tag und Nacht zu Gott schreien, kein Recht schaffen und für sie keinen langen Atem haben??!“
[Bibel in gerechter Sprache]
 
Nervensäge sein
Einen Lieblingsbibeltext im klassischen Sinn habe ich eigentlich nicht, aber besondere und eindrückliche Begegnungen mit einzelnen Bibelgeschichten oder Versen gehabt, die ich mir darum tief im Hirn und Herzen gemerkt habe – so auch mit diesem Gleichnis. Es ist mir auf dem Kirchentag 1999 in Stuttgart in einer feministisch-theologischen Bibelarbeit begegnet (darum habe ich auch die Übersetzung der „Bibel in gerechter Sprache“ gewählt). Die bittende Witwe ist für mich eine echte Powerfrau geworden, wie sie immer und immer wieder für ihr Recht kämpft, und dabei in Kauf nimmt, dem großen, einflussreichen und offenbar skrupellosen oder arbeitsfaulen Richter auch richtig auf den Zeiger zu gehen. Sie tut das meines Erachtens gewaltlos, denn dass sie ihn schlagen könnte, ist ja der innere Dialog des Richters; wovor er Angst hat, ist eine der wenigen Arten von Macht, die die Unterdrückten und Schwachen haben, oder ganz allgemein Menschen, die sich gegen Ungerechtigkeit in der Welt einsetzen: dass sie ihn öffentlich bloßstellt. Sie bezwingt ihn, schlicht indem sie ihm auf die Nerven geht.
Im Rahmen der Bibelarbeit haben wir zum Schluss kleine, bunte Zettel mit der Form einer Säge bekommen, auf die wir uns ‚Streitziele‘, für die wir kämpfen wollen, notieren konnten – das kann die Schließung der Lohnlücke zwischen den Geschlechtern, der sogenannte „gender pay gap“, genauso sein wie der Einsatz für‘s Klima, oder anderes. Vor allem aber erinnere ich mich an die Ermutigung, die uns zugerufen wurde: Seid Nervensägen! Gebt nicht soviel darauf, wie die offiziellen Verfahrensregeln sind, oder was sich ‚gehört‘, sondern wenn ihr für eine Sache brennt oder euch ein Unrecht wurmt, dann seid laut und geduldig, kreativ und dreist zugleich; aber eben auch dieses: dann dürft ihr wissen - Gott mag und braucht solche Nervensägen für ihre/ seine Welt!
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