Zweimal sieben oder Pharaos Traum - Sommerkirchenpredigt am 31.7.22 zum Nachlesen und -hören

Sun, 31 Jul 2022 12:15:22 +0000 von Charlotte Scheller

zu 1. Mose 41 von Charlotte Scheller
Träumen Sie? Und falls Sie träumen: Können Sie sich hinterher an Ihren Traum erinnern? Und, falls Sie auch das mit Ja beantwortet haben: Können Sie etwas anfangen mit den Bildern Ihrer Träume, bedeuten sie Ihnen etwas?
 
Bekanntermaßen träumen wir alle. Jede Nacht. Wenn wir uns erinnern, dann vor allem an das, was wir direkt vor dem Aufwachen geträumt haben. Spätestens beim Versuch, die Träume zu deuten, scheiden sich die Geister. In den achtziger Jahren meinten Neurobiologen, Träume seien nichts als eine chaotische Reaktion bestimmter Gehirnregionen auf neuronale Reize. Heutige Forscher verbinden die neurobiologischen Erkenntnisse mit den Ansätzen der Traumdeutung von Freud und Jung vor 100 Jahren. Sie sehen, wie Körper und Seele zusammenwirken, wenn wir träumen. Wir verarbeiten die Eindrücke des Tages und ziehen unsere nächtlichen Schlüsse. Oft finden sich im Traum Wahrnehmungen wieder, die unterhalb unseres wachen Bewusstseins geblieben sind. Möglicherweise haben wir auch Bilder, Fähigkeiten und Erkenntnisse in uns, die im Lauf der Menschheitsgeschichte in unser Erbgut eingeflossen sind. Jedenfalls wagen sich unsere geheimen Ängste nachts heraus und die verborgenen Wünsche. In beidem stecken Kräfte für das wache Leben. Ob wir es mitbekommen oder nicht - wir arbeiten im Schlaf. Das Träumen ist lebenswichtig. Es reinigt die Gedanken und hilft uns, in der Wirklichkeit zu bestehen.
 
Pharao, der ägyptische König, träumt. Sieben Kühe, fett und schön, steigen aus dem Nil und weiden im saftigen Gras. Und dann steigen nochmal sieben Kühe aus dem Wasser, dünn und hässlicher als hässlich, solche hat man im ganzen Königreich noch nicht gesehen. Die stellen sich neben die schönen fetten Kühe und fressen sie auf. Ein zweiter Traum. Sieben Kornähren, prall und dick, wachsen auf einem Halm. Daneben gehen sieben andere auf. Dürr und vom Ostwind versengt. Die mageren Ähren verschlingen die vollen. Der König wacht auf. Es waren Träume, sagt er sich. Kühe fressen keine Kühe, aber die Bilder waren so real, dass er sie nicht abschütteln kann. Sein Sinn ist beunruhigt. Die Träume haben etwas angestoßen in ihm. 
 
Der Pharao holt Wahrsager und Traumdeuter, Wissenschaftler aus dem ganzen Land, er muss wissen, was die Träume bedeuten, ein Hinweis auf die Zukunft, es geht um sein Leben und um das des Landes. Ägypten, die Kornkammer, vom Nil gespeist, dem Fluss des Lebens. Keiner der Gelehrten kann die Träume deuten. Die Unruhe am Hof steigt. Der oberste Mundschenk, einer der Bediensteten, nimmt allen Mut zusammen. Was er zu sagen hat, ist ihm doppelt peinlich. 
 
Ich muss heute an meine Sünden denken, sagt er. Ein Fehler im Dienst, schon eine Weile her, er wurde suspendiert und ins Gefängnis geworfen. Da hat er geträumt, genau wie sein Mitgefangener, der oberste Bäcker. Die Träume waren beunruhigend und unverständlich. Aber da war Josef, ebenfalls inhaftiert, ein Hebräer, der hat ihnen die Träume gedeutet. Dem Bäcker hat Josef den Tod vorhergesagt und ihm, dem Mundschenk, Begnadigung und Leben. Was er sagte, ist eingetroffen. Dankbar hat er dem Josef sein wollen und, das ist die zweite Peinlichkeit, er hat den Hebräer vergessen. Die ganzen zwei Jahre, der Alltag hat ihn wieder und wer denkt schon gern an so dunkle Tage zurück. Erst heute erinnert er sich. 
 
Der Pharao lässt Josef rufen. Der wird aus dem Gefängnis entlassen, lässt sich rasieren, zieht sich um und kommt zu ihm. Ich habe gehört, sagt der Herrscher, du kannst Träume deuten. Ich kann es nicht, sagt Josef. Mir steht es nicht zu. Aber Gott wird dem Pharao Gutes verkünden! 
 
Menschen können nicht erkennen, was die Zukunft bringt. Auch die allergelehrtesten nicht. Unsere Zeit steht in Gottes Hand! Und Gott hat Gutes im Sinn. Nachdem das Grundlegende geklärt ist, erzählt der Herrscher Josef seine Träume. Beide, sagt Josef, haben dieselbe Botschaft. Sieben fette Jahre stehen bevor mit reichen Ernten. Darauf folgen sieben Jahre der Dürre. Eine teure Zeit. Sie wird den Reichtum der ersten Jahre vergessen lassen und alles, was davon geblieben ist, auffressen. Bei Gott, sagt Josef, steht die Sache fest. Was kommt, steht klar vor Augen. Es ist unabwendbar. Deshalb gilt es jetzt, klug zu handeln. Jetzt deutet Josef nicht mehr, er macht Pläne. Der Herrscher folgt dem Rat des jungen Hebräers. Er sorgt vor für sein Volk, lässt die Kornspeicher vergrößern und ordnet höhere Abgaben an. Der fünfte Teil der Ernte muss eingelagert werden. Oder sogar der ganze Ertrag. Josef wird zum Sonderbeauftragten ernannt. Er erhält das Siegel des Königs, eine Halskette, einen Prunkwagen für seine Inspektionsreisen. Nach dem Pharao ist er nun der mächtigste Mann im Land. Die Ägypter haben Kornsilos, die Nachbarvölker noch nicht. Die dürren Jahre kommen und Ägypten verkauft Korn in alle Länder. 
 
Bis heute wechseln sich am Nil ertragreiche Jahre mit dürren Jahren ab. In den Bergen Äthiopiens entsteht der fruchtbare Schlamm und wandert den Fluss hinab, 4500 Kilometer bis Ägypten, wo Josef mit dem Pharao sprach. Wenn es aber am Oberlauf zu trocken ist, wenn Dürre herrscht in Ostafrika, so wie jetzt, viertausend Jahre später, dann bleibt der fruchtbare Schlamm aus. Das bedeutet Hunger. Kein Korn. Kein Brot. Kein Fleisch. Die teuren Jahre fressen alles Ersparte auf. Ägypten ist davon heute nicht mehr so stark betroffen, der Assuan-Staudamm sorgt für Bewässerung. Aber in Äthiopien, in Kenia und Somaliland sind die Böden jetzt wieder zu trocken, um etwas anzubauen. Für die kleinbäuerlichen Familien bedeutet das: Keine Ernte und nicht genug zu essen. Auch die Viehhirtinnen leiden unter der Trockenheit. Bilder erreichen uns von ausgemergelten Tieren auf der Suche nach Wasser. Von Kindern, die vor Durst und Erschöpfung reglos daliegen. Bilder wie böse Träume. Sie lassen uns nicht los.
 
In diesen Tagen lassen uns die Nachrichten angstvoll in die Zukunft schauen. Die Bilder vom Krieg in der Ukraine und die Sorgen in der Pandemie überdecken die anderen. Deshalb ruft die Welthungerhilfe jetzt zum Spenden auf für Ostafrika, wo die Dürre Menschen und Tieren die Lebensgrundlage raubt. Deshalb hängt sich eine achtundachtzigjährige Christin aus Göttingen ans Telefon und ruft Politiker, Journalistinnen und Kirchengemeinden an. In Göttingen und Berlin. Ihr ganzes Seniorinnen-Taschengeld gibt sie dafür aus. Früher, erzählte sie mir, waren die Wiesen „wie bunt gestickte Teppiche, keiner hat sie abgemäht und die Tiere haben es gern gefressen“. Heute sind die meisten Böden versiegelt und können kein Wasser mehr aufnehmen. In diesem Jahr haben wir nicht vorgesorgt. Wir haben schon am 28. Juli alle Ressourcen verbraucht, die bis Dezember hätten reichen müssen. Wir leben auf Pump, auf Kosten unserer Kinder und Enkelkinder. Die große Teuerung hat schon begonnen. 
 
Gott hat Gutes im Sinn für seine Kinder. Gott hilft uns, die Bilder zu verstehen. Gott schenkt uns klare Sicht und will, dass wir klug handeln. In Oberhausen haben zwei Unternehmen seit dem Herbst 1800 Bäume gepflanzt. Auch dabei heißt es klug sein. Die richtigen Bäume aussuchen. Sie ausdauernd pflegen und trotzdem Wasser sparen. Sich ehrlich machen und auch den Firmenalltag umrüsten, damit er klimafreundlich wird. Unsere Kindergarten-Kinder bringen uns bei, Plastik zu vermeiden beim Einkaufen. Immer mehr Menschen steigen aufs Rad. Verzichten auf Ferien-Flüge. Kirchengemeinden bauen Solaranlagen. 
 
Also alles in unserer Hand? Dann seh ich schwarz für die Zukunft. Für meine eigene und die unseres Planeten. Wie gut, dass Josef dieser Überheblichkeit wehrt. Gleich zu Beginn seiner Unterredung mit dem Pharao. Er sagt: Die Zukunft anzusagen, steht nicht bei mir. Es steht bei Gott, und Gott hat Gutes mit uns vor! Ein anderer Traum kommt mir in den Sinn. Im letzten Buch der Bibel. Da ist von der Stadt Gottes die Rede. Von einem Leben ohne Leiden und Schmerz. Von der Quelle des lebendigen Wassers, zu der alle Zugang haben. Von ihr zu trinken, ist nicht teuer, es ist umsonst. 
 
Ob wir uns an unsere Träume erinnern oder nicht, spielt also womöglich gar keine so große Rolle. Als Christen teilen wir den Traum von Gottes Reich. Von seiner Stadt des Friedens. Wir sind eingeladen, ihn mitzuträumen. Und Kopf und Herz und Hände dafür einzusetzen, dass er Wirklichkeit wird. 
 
Können wir das denn? Das Bild von den hässlichen Kühen, die alles Fruchtbare fressen, ist stark. Was kann ich tun, damit die mageren Kühe nicht meine Hoffnung auffressen und die versengten Kornähren nicht meine Lebensfreude verschlingen? Ich muss an Paulus denken. Wie er sich oft schwach und machtlos gefühlt hat. Wie ihn böse Gedanken und Bilder gequält haben. Wie er sich dann festgehalten hat an dem, was Gott ihm sagt: Lass dir an meiner Gnade genügen, denn meine Kraft vollendet sich in der Schwachheit (2Kor12,9). Also werde ich schauen, was ich mit meiner kleinen Kraft dazu beitragen kann, dass die Speicher nicht leer werden. Jede braucht Brot und Wärme und Lebensmut. Wenn ich mithelfe, dass ein Mensch neben mir Nahrung hat für seinen Körper und seine Seele, ist es genug für diesen Tag. Amen.
Bestätigen

Bist du sicher?