Predigt am 1. Sonntag nach Trinitatis, 14.6.2020

Sat, 13 Jun 2020 13:37:55 +0000 von Charlotte Scheller

zu Apostelgeschichte 4,32-35 von Charlotte Scheller (Audio: unter der Predigt)
Eine Wohngemeinschaft in Grone. Vier Studierende, Pädagogik, Theologie und Agrarwissenschaften. Sie teilen die Miete gleichmäßig, obwohl die Zimmer verschieden groß sind. Zahlen in die Haushaltskasse ein oder richtiger: wechseln sich mit Einkaufen ab. Wenn möglich, essen sie zusammen. Gekocht wird, was der Geldbeutel hergibt. Eine kauft Biogemüse, der andere kommt günstig an Fleisch-Konserven der Bundeswehr. Sie erlauben Freunden, ihre Sachen in der Waschmaschine der WG zu waschen. Sie unterstützen einander bei Sprachprüfungen und Seminararbeiten. Streiten über Kirche, Politik, Widerstand und ökologischen Landbau. Helfen in der Jugendarbeit oder der Diakoniestation und gehen zu Demonstrationen. Am Esstisch trifft man sich wieder, in einem seltsam gemütlichen Flur, alle Zimmer gehen davon ab. Meine Güte, ruft einer in die Stille und knallt den Hörer auf das Tastentelefon. Ganz sicher öffnet sich eine Tür. Ein Mitbewohner ist da, fragt nach und hört zu. Man teilt Liebeskummer, Stress mit den Eltern oder im Job, neue Freundschaften. Immer wieder finden sie sich spätabends zusammen. Einer singt ein Kirchenlied. Die andere holt das Gesangbuch. Sie blättern und singen stundenlang und das Singen ist Gebet. Es ist die Gemeinschaft, die sie von zu Hause kennen und jetzt vermissen. Oder die es so noch nie gegeben hat. 
 
Eine Wohngemeinschaft in den Achtziger Jahren. Die Erinnerungen reichen 35 Jahre zurück. Vermutlich ebenso weit wie die von Lukas, dem Autor der Apostelgeschichte. Lesen wir in Kapitel Vier: 
 
Die ganze Gemeinde war ein Herz und eine Seele. Keiner betrachtete etwas von seinem Besitz als sein persönliches Eigentum. Sondern alles, was sie hatten, gehörte ihnen gemeinsam.
Mit großer Kraft traten die Apostel als Zeugen dafür auf, dass Jesus, der Herr, auferstanden war. Die ganze Gnade Gottes ruhte auf der Gemeinde.Keiner von ihnen musste Not leiden. Wer Grundstücke oder Gebäude besaß, verkaufte diese und stellte den Erlös zur Verfügung.Er legte das Geld den Aposteln zu Füßen. Davon erhielt jeder Bedürftige so viel, wie er brauchte. (Apostelgeschichte 4,32-35; Text: BasisBibel)
 
Die ganze Gnade Gottes ruhte auf ihnen. Was für ein Geschenk. Oder eher eine Last? Sie sind „ein Herz und eine Seele“. Obwohl sie sich nicht freiwillig nahe stehen. Mehr wie Geschwister, die sich die Familie nicht aussuchen konnten. Sie sind durch die Liebe des Vaters verbunden, nicht durch Sympathie. In Apostelgeschichte 2 steht, was die Säulen der Urgemeinde sind. Beieinander bleiben. An dem Auftrag festhalten, den Jesus ihnen gegeben hat. Das Evangelium weitersagen. Beten. Das Mahl feiern. In dem Text heute sagt Lukas, wie wir uns das Beieinanderbleiben konkret vorstellen sollen. Und was der Kern des Ganzen ist.
 
Alles, was sie haben, gehört ihnen gemeinsam. Keiner muss Not leiden. Mit großer Kraft bezeugen sie die Botschaft von der Auferstehung Jesu. Er hat persönlichen Besitz den Ursprung allen Übels genannt. Seine Jünger haben alles zurückgelassen, um mit ihm zu gehen. In der Urgemeinde gehört keinem was alleine. Jeder kriegt, was er braucht. Bei Bedarf werden sogar Grundstücke und Gebäude verkauft, um
Bedürftige zu unterstützen. Dafür nimmt die Gemeinde richtig Geld in die Hand. Sie scheut sich nicht zu sammeln und Gutes zu tun. Es geht nicht darum, nichts zu besitzen. Sondern darum, zu teilen. Paulus schließt alle seine Briefe mit einem Kollekten-Aufruf. Und heute noch sammeln und teilen wir, wann immer wir als Christen zusammenkommen oder aneinander denken. 
 
„Was passiert, wenn wir alles teilen?“, hat sich ein Mann in Österreich gefragt und eine Kommunität gegründet. In der Franziskus-Gemeinschaft im Burgenland leben 15 Leute, Familien und Einzelne. Alle haben eigene Zimmer. Auch jedes Kind. Einige gehen ihren Berufen nach. Andere kümmern sich um Haus und Hof und Gäste. Zusammen arbeiten und den Menschen freundlich begegnen. Sie bauen vieles selbst an. Garten, Obstbäume, Kartoffelacker. Verkaufen von dem, was sie erwirtschaften. Ein Euro Ausgaben pro Person und Tag. Da bleibt viel übrig. Für Projekte im Kongo und in Venezuela. Für den Weltladen im eigenen Ort. Für die Ausbildung der Kinder oder das Studium. Fast vierzig Jahre gibt es die Kommunität in der ehemaligen Einsiedelei bei Pinkafeld. Nachbarn nennen sie die „Aussteiger“. Oder die „Narren“. Der Herzschlag des Ganzen, sagt Bruder Fritz, der Gründer, ist das Beten. „Das Gebet fordert uns heraus“, sagt er. Ich ahne, das hat damit zu tun, dass sie verschieden sind. In ihrer Frömmigkeit. In den Vorstellungen von der Welt, wie Gott sie haben will. Auch Andrea ist Mitglied. Sie ist Krankenschwester und wollte mit ihrer Familie aussteigen aus dem Gesellschaftssystem und anders leben. So, wie es im Evangelium steht. Das Zusammenleben hier „geht nur, weil wir viele Verschiedene sind. Jeder kann was anderes.“ Wenn sie Feuer gefangen haben für eine Sache, ergibt sich von selbst, wer welche Aufgabe übernimmt. Man entdeckt neue Fähigkeiten an sich. Und an den anderen. Das heißt auch: immer wieder Kompromisse machen. 
 
Zentral, meint Bruder Fritz, sind nicht die eigenen Ziele und Wünsche. Im Zentrum steht für ihn Jesus von Nazareth. „Zu diesem Jesus gehören mit all meinen Fehlern und Kanten, das ist für mich alles geworden.“ In der Sprache der Apostelgeschichte: Bezeugen, dass Jesus auferstanden ist. Bruder Fritz hat viele Jahrzehnte gebraucht, um das so klar zu sehen.
 
Auch mitten in der Gesellschaft können wir Zeuginnen der Auferstehung sein. Mit all unseren Fehlern und Kanten. Mitten in der Stadt. Hier auf dem Kirchplatz und in den Häusern. Leute bringen Geld und stellen es der Gemeinde zur Verfügung. Für Bedürftige. Um Andachten und Grüße in die Häuser zu schicken. Für Projekte hier und in der Welt. Manche teilen ihr Auto. Andere produzieren Solarstrom. Führen Kirchenaufsicht. Machen Besuche. Schreiben Briefe. Pflegen den Garten. Hören jemandem zu. Halten Streit aus. Ringen um Entscheidungen. Achten aufeinander, damit jeder kriegt, was er braucht. 
 
Und die ganze Gemeinde war ein Herz und eine Seele. Und die ganze Gnade Gottes ruhte auf ihnen. Die Apostelgeschichte hält die Sternstunden fest, in denen alles gut ist. Ob wir sie von zu Hause kennen oder uns danach sehnen. Sie sind Erinnerung und Ziel. Wie eine Liebesgeschichte. Wie Weihnachten, Ostern und Pfingsten. Wie die Abende mit den Glaubensliedern in meiner WG. Wohin gehen wir? „Vorwärts in Gottes Arme zurück“, sagt Bruder Fritz. Genau dahin sind wir als Gemeinde unterwegs. Als Zeuginnen der Auferstehung. Zaghaft oder voller Kraft. Mit der ganzen Gnade Gottes auf uns. Das ist der Kern. 
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