von Charlotte Scheller
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Der Missionsbefehl
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Der Missionsbefehl
16 Aber die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte. 17 Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten. 18 Und Jesus trat herzu, redete mit ihnen und sprach: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. 19 Darum gehet hin und lehret alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes 20 und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.
1. Sommer. Eine Wanderung in den Bergen. Ich gehe allein, in meinem Tempo. Trinke mein Wasser, verspeise meinen Proviant. Freue mich auf die Aussicht auf dem Gipfel.
Das Gewitter kommt plötzlich. Schwarze Wolken über mir. Da kommt mir einer entgegen. Wettergegerbtes Gesicht, Rucksack, Wanderstock, zwei Hunde. Der Mann sagt was auf Italienisch, zeigt zum Himmel und ich verstehe, ich muss mich beeilen, zurückzukommen zur Hütte. Der Gipfel muss warten. Der Mann pfeift den Hunden, ein Kommando und sie rennen davon in die felsigen Berge. Schnell sind sie außer Sichtweite. Dann kommen sie zurück und treiben ein Grüppchen Schafe vor sich her. Sie umkreisen sie dauernd, damit alle mitkommen, bis sie beim Schäfer sind. Der schickt sie wieder los. Drei-, viermal. Jedes Mal kommen sie mit ein oder zwei Schafen zurück. Bis ihr Herr zufrieden ist und mit der kompletten Herde Richtung Hütte zieht.
2. Aber die elf Jünger gingen nach Galiläa auf den Berg, wohin Jesus sie beschieden hatte. Die Jünger wurden nicht zurückgeschickt. Im Gegenteil. Jesus hat sie auf den Berg „beschieden“. Sie sind zu elft, einer fehlt von den Zwölfen. Angeschlagen als Truppe und als Einzelne. Jeder hat auf seine Art zu tun mit dem, was gewesen ist. Die drei Jahre mit Jesus. Seine Festnahme und sein Tod. Das leere Grab und die Botschaft des Engels: Er ist auferstanden und euch vorausgegangen nach Galiläa. Da werdet ihr ihn sehen. Wo der Ort des Wiedersehens ist, wird nicht gesagt. Ein Berggipfel in Galiläa. Da werden sie ihn sehen. Wie Mose Gott gesehen hat auf einem Berg. Wie Petrus mit zwei anderen Jesus verklärt gesehen hat auf dem Berg mit Mose und Elija. Auf dem Berg kann man Gott begegnen, wo man schwer hinkommt, wo Körper und Geist herausgefordert sind.
3. Und als sie ihn sahen, fielen sie vor ihm nieder; einige aber zweifelten. Sie wollten Jesus sehen. Jetzt fallen sie vor ihm nieder. Wie die Weisen an der Krippe vor dem neugeborenen Kind. Wie die Frauen am Morgen, als sie vom leeren Grab kamen mit Schrecken und ängstlicher Freude im Herzen, und ihn sahen. Jetzt, hier oben, fallen die Jünger vor Jesus nieder. Eine Huldigung. Du bist unser Herr! Eine Klärung: Du bist oben, wir sind unten. Eine Art, auf Abstand zu gehen. In die Augen schauen können sie ihm so nicht. Einige zweifeln. Einige der engsten Gefährten haben Zweifel. Das ist nicht neu. Erinnern wir uns an die Bootsfahrt auf dem See. Als der Sturm kam. Die Jünger wussten, Jesus ist hier. Er schläft hinten im Boot. Trotzdem hatten sie Todesangst. Herr, hilf, wir kommen um! Jesus nennt sie kleingläubig. Dann gebietet er dem Sturm und den Wellen, still zu sein. Sie zweifeln nicht daran, dass er da ist. Sie sehen ihn ja. Sie haben bloß Vorbehalte, ihr Leben ihm anzuvertrauen. Damals im Boot und jetzt auf dem Berg. Das kenne ich auch. Das Zögern, mich in seine Hände zu geben, von ihm die Rettung zu erwarten und das Heil, zuzugeben, dass ich mich nicht selbst retten kann. Dass auch die engsten Mitarbeiter Jesu so zweifeln, tröstet mich.
4. Und Jesus trat herzu, redete mit ihnen und sprach: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Jesus überwindet den Abstand. Er kommt ihnen nah. Nicht durch das, was sie von ihm sehen, sondern durch das, was er sagt. Meine Kraft, sagt Jesus zu seinen Leuten, umfasst Himmel und Erde. Sie ist von Gott. Sie reicht in jeden Winkel. Sie ist in euch. Darum gehet hin und lehret alle Völker. Also steht jetzt auf. Geht unter die Leute. Und zwar nicht bloß unter euresgleichen. Gottes Kraft soll weltweit wirken. Sein Heil soll zu allen Menschen gebracht werden. In jedem Winkel dieser Erde sollen sie etwas hören von Gottes Sohn, der sein Leben gegeben hat, um zu retten und zurückzubringen, was verloren war.
Lehret alle Völker. Das klingt nach Mission. Nach gewaltsamer Eroberung, nach Überstülpen einer Religion. Und so war es ja auch. So genannte „Mission“, das waren Kreuzzüge gegen Muslime, Völkermord an den Inkas, Kulturzerstörung indigener Völker. Dabei heißt Lehren eigentlich unterrichten, zu Schülern machen, zu Mitschülerinnen. Und das war und ist es auch. In einem Tal im Piemont habe ich ein kleines Schulhaus gesehen, von protestantischen Christen gebaut, die sich vor Verfolgung ins Gebirge geflüchtet hatten. Schon im 18. Jahrhundert gab es in dem Tal niemand mehr, der nicht lesen konnte. Die Waldenser unterrichteten jedes Kind mit Hilfe der Bibel.
In dem südindischen Dorf Mayiladuthurai haben Christinnen ein Internat aufgebaut für Mädchen, deren Eltern im Dezember 2004 im Tsunami umgekommen sind. Der Staat konnte sie nicht unterstützen. In der Schule fanden sie ein Zuhause, genug zu essen, medizinische Hilfe, eine Tagesstruktur, Feste und Gottesdienste. Manche von ihnen werden selbst Lehrerinnen. Die Schule besteht weiter. In Partnerschaft mit unserem Göttinger Kirchenkreis.
Jesus tritt herzu, kommt den Jüngern nahe, schickt sie los in die Welt. Seine Leute breiten Gottes Wort aus und helfen, dass Menschen einander verstehen über Grenzen hinweg. Damals und heute.
5. Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Die Taufe ist ein Geschenk. Stärkung für die Lebensreise. Lebendiges Wasser. Der Gute Hirte sammelt seine Schafe. Er will alle bei sich haben. Und die in seinem Namen unterwegs sind, laden andere ein, zu diesem wunderbaren dreieinigen Gott zu gehören. Dem Vater im Himmel. Dem Sohn und Hirten, der sein Leben für die Schafe gibt. Dem Heiligen Geist, der Christenmenschen über die Grenzen von Raum und Zeit verbindet. Die Taufe gibt es umsonst. Man braucht nichts dafür zu tun. Unser Täufling Oke ist ein schönes Beispiel dafür. Er erwartet zu Recht alles von seinen Eltern. Nahrung. Pflege. Liebe. All das dürfen wir von Gott erwarten. Ohne jede Gegenleistung. Taufet sie!
Erst dann kommt das Lehren. Wer getauft ist, will wissen, was es bedeutet, als Christ zu leben. Was hat Jesus geboten? Was in der ersten Bergpredigt gesagt wurde. Gewaltfrei reden und handeln. Armen gute Nachricht bringen. Nach Gerechtigkeit hungern und dürsten. Beten. Und was in den anderen Kapiteln von Matthäus steht: Dem Bruder, der Schwester vergeben. Die Ordnung der Welt auf den Kopf stellen. Die Kleinen groß machen. Mit Außenseitern essen. Nackte kleiden. Gefangene besuchen.
6. Wie können sie das schaffen? Wie können wir das schaffen? Ohne Jesus können die Jünger gar nichts tun. Ohne ihn können wir auch nichts tun! Aber: Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende. Jesus geht nicht weg, er bleibt gegenwärtig in uns. Er schickt uns auf Weltreise. Ein unvollkommenes Team, wie die Elf. Aber sein Team! Wir werden Grenzen überwinden und uns selbst übertreffen. Wir müssen es weitersagen, bis alle es wissen. Der Machthaber, der Schöpfer der Welt bleibt bei uns für immer und ewig. Auch an den schlechten Tagen ist er da. Sogar in das Reich des Todes ist er hinuntergestiegen, damit klar ist, auch dorthin reicht seine Macht. Er will alle bei sich haben, auch die, die ihm verloren gegangen sind oder sich irgendwo verkrochen haben vor Sturm oder Unwetter oder weil sie schlechte Erfahrungen mit einem Hirten gemacht haben. Ich bin bei euch alle Tage!
Jesus ist da, wo wir in seinem Namen zusammenkommen. Und auch da, wo einer allein ist am Ende der Welt. Wo ein Unwetter über einem hängt. Wo einer Gott nicht sehen kann, wo der Weg steil ist und mühsam und ohne Ziel. Die vierte Welle. Eine Krankheit. Eine Riesenaufgabe. Oder gerade keine Aufgabe. Was auch immer für uns das Ende der Welt bedeutet - Jesus ist da. Sein Weg geht weiter mit uns. Wir könnten tausend Geschichten erzählen. Bis zum Ende der Welt. Amen.