(Keine) Zeit zum Beten - Predigtdialog von Thomas Plate und Charlotte Scheller

Sat, 08 May 2021 14:38:47 +0000 von Charlotte Scheller

zu Johannes 16,23-28.33
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CS: Jesus sagte: 23 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, wird er's euch geben. 24 Bisher habt ihr um nichts gebeten in meinem Namen. Bittet, so werdet ihr empfangen, auf dass eure Freude vollkommen sei. 25 Das habe ich euch in Bildern gesagt. Es kommt die Stunde, da ich nicht mehr in Bildern mit euch reden werde, sondern euch frei heraus verkündigen von meinem Vater. 26 An jenem Tage werdet ihr bitten in meinem Namen. Und ich sage euch nicht, dass ich den Vater für euch bitten werde; 27 denn er selbst, der Vater, hat euch lieb, weil ihr mich liebt und glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin. 28 Ich bin vom Vater ausgegangen und in die Welt gekommen; ich verlasse die Welt wieder und gehe zum Vater. 33 Dies habe ich mit euch geredet, damit ihr in mir Frieden habt. In der Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.
 
Beten.
TP: Vor kurzem erst hat die junge Familie ihre erste Wohnung bezogen, in einem alten Harzer Fachwerkhaus in Zellerfeld in der Nähe des Bergwerksmuseums.
Der Flur ist gemeinsam für alle Parteien im Haus und geht über alle Etagen. Kinderzimmer und Küche hängen zusammen, aber nur über den großen Flur kommt man in die Stube und von dort ins Schlafzimmer. Er studiert, hat gerade sein Vordiplom gemacht. Eltern und Großeltern helfen, damit aus dem jungen Paar mit Kind eine Familie werden kann. Die Tochter ist gerade ein Jahr alt, flitzt aber schon auf ihren kleinen Füßen zwischen Küche und Kinderzimmer hin und her. Oft spielt sie ganz gedankenverloren mit Puppen und ihrem kleinen Küchengeschirr, mit Bauklötzen und Bilderbüchern. Und dann, ganz plötzlich, unterbricht sie ihr Spiel, klettert mühsam auf den einzigen großen Erwachsenen- Stuhl in ihrem Zimmer, legt ihre Hände in den Schoß senkt den Kopf, murmelt einige unverständliche Dinge und am Ende dieses Monologs hört man: Ahmmmmmm. Dann krabbelt sie vom Stuhl herunter und spielt weiter. Nach einiger Zeit wiederholt sich diese Prozedur.
Was macht das Kind? Sie hat ihre Mutter in der Küche nebenan beobachtet. Und gesehen, dass die junge Frau gebetet hat, während sie ihre Arbeit verrichtete. Und so schon, ohne den Sinn und die Worte verstehen zu können, das Gebet zu einem Teil ihres Lebens gemacht.   
    
CS: "Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn ihr den Vater etwas bitten werdet in meinem Namen, so wird er's euch geben". Verstanden haben die Jünger damals nichts von dem, was Jesus ihnen sagte. Auch nicht, dass es gewissermaßen letzte Worte waren, bevor er sterben musste. Dass er sterben musste, haben sie damals auch nicht begriffen. Nur seine Angst werden sie gespürt haben, die Verzagtheit über das, was ihm bevorstand. Und womit er, vom himmlischen Vater abgesehen, allein war. Auch wenn sie doch bei ihm waren, seine Jüngerinnen und Jünger, die besten Freunde. Er war allein.
 
TP: Aber vom himmlischen Vater absehen, das konnte er eben nicht und genau das war ja sein Vermächtnis. Das wollte er ihnen unbedingt weitergeben. Wort und Klang als Wegzehrung, als tägliches Brot, als Waffe gegen Angst und Bedrängnis. Wenn ihr den Vater um etwas bitten werdet in meinem Namen, so wird er's euch geben.
 
CS: "Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen". Halblaut spricht die Frau die Verse vor sich hin. "Woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt von dem Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat". Jeden Abend ist sie hier draußen auf dem Feld, wenigstens jeden, an dem sie gehen kann. Wenn die Dämmerung kommt und der Weg menschenleer ist. Ein Spaziergang vor dem Schlafengehen, ein Gebet gegen die Angst. Die Angst ist körperlich wie die Krankheit. Die bedroht ihr Leben, eine sehr reale Bedrängnis. Deshalb muss das Gebet auch körperlich sein. Mit gebeugtem Rücken steht sie da, dann richtet sie sich auf, hebt die Augen, den Kopf, die Hände auf zum Herrn. Sie muss im Freien beten, den Himmel über sich, kein Hausdach, keine Kirche, kein Pastor darf sein zwischen ihr und dem Schöpfer, wenn sie zu ihm ruft mit den Worten des alten Psalms. Weil sie selbst keine Worte hat. Weil Jesus gesagt hat, ihr könnt direkt zu ihm beten, denn er selbst, der Vater, hat euch lieb. Weil ihr mich liebt und glaubt, dass ich von ihm komme. Und wenn er nicht hilft? Wenn die Krankheit gewinnt und sie doch sterben muss? Wenn sie nicht nur nicht beten, wenn sie gar nicht glauben kann? Er selbst, Jesus, ist auch diesen Weg gegangen, die Angst, die Bedrängnis kennt er auch, er leugnet sie nicht. Aber "seid getrost", sagt er. "Ich habe die Welt überwunden". Das heißt nicht, dass die Bedrängnis verschwindet, jedenfalls nicht jetzt gleich. Aber das Gebet holt die Hoffnung in ihr Herz zurück. Bevor der Tag vergeht, will sie den Horizont sehen, das Abendrot. Es verspricht, ein neuer Tag kommt und wird schön und die Enge und Not und die Schmerzen sind am Ende überwunden.
 
Klar sehen.
TP: Zurück zu den Jüngern. Nach Ostern haben sie sich wieder erinnert. Die letzten Worte ihres Freundes und Lehrers Jesus. All das, was er ihnen gesagt hat, um sie vorzubereiten auf den Abschied, von dem sie nichts wissen wollten. In Bildern hat er zu ihnen geredet, wie sollte man sonst reden von dem Unvorstellbaren, vom nahen Tod, vom Ende aller Hoffnungen und Pläne. Wenn alles anders geworden ist, hat er gesagt, wenn nichts mehr ist, wie es war, könnt ihr immer noch beten. Ihr könnt euch beim Beten auf mich berufen. Und wie ihr jetzt mit mir redet, ein Mensch zum andern, so könnt ihr mit Gott reden. Damals dachten sie, er spricht in Rätseln. Aber jetzt, nach Ostern, dämmert es ihnen. Mit Gott können wir so klar über uns reden, wie wir es sonst nirgends tun. Weil wir uns für unsere Ängste schämen, weil wir kein Mitleid wollen oder unsere Mitmenschen schonen möchten oder weil wir ganz einfach nicht klar sehen. Wir haben gute Gründe, nicht Klartext zu reden vor anderen oder uns selber. Aber wenn wir mit Gott reden, darf und soll es in Jesu Namen anders sein. "In der Welt habt ihr Angst", sagt Jesus und es gibt auch jetzt viel Anlass dazu. Unwetter und Dürre. Die Pandemie und wie ihr die Menschen in armen Ländern absolut wehrlos ausgeliefert sind. Der Hunger der kleinen Kinder auf Madagaskar. Das mag weit weg sein, aber oft genug bin ich es selbst, der mir Angst macht. Die Welt ist ja nicht nur draußen, ich bin ja ein Teil von ihr. Nie war ich besser informiert, ich habe die Wahl, das Gute zu tun, aber mein Verhalten widerspricht meinen Einsichten. Bewusst oder unbewusst, ich bin in die selbstzerstörerische Dynamik der Welt verstrickt.
 
CS: "Angst", hat Luther übersetzt. Druck steht da im Griechischen, Bedrängnis. Enge. Das hat Jesus auch alles kennengelernt. Deshalb können wir in seinem Namen Gott unsere Angst sehen lassen. Jesus weist seine Freunde darauf hin, dass er die Welt mit ihrer Bedrängnis überwunden hat. All das sage ich euch, damit ihr in mir Frieden habt. So zeigt er uns das Abendrot, den Horizont unseres Daseins. Wir können die Angst und die Gründe, warum wir Angst haben, nicht leugnen. Aber wir müssen sie auch nicht über uns bestimmen lassen. Weil wir hoffen, dass die Welt mit ihren engen Grenzen nicht das Letzte ist. Weil wir nach dieser Welt einen neuen Himmel sehen können und eine neue Erde. Weil wir mit dieser Aussicht manchmal jetzt schon Frieden haben in ihm.
 
Hoffnung hereinlassen.
TP: Und wenn ich einfach keine Zeit habe zum Beten? Wenn kein Raum dafür in mir ist, kein Ort in meinem Tag, keine Ruhe vorhanden, kein Mensch, der mit mir singt oder betet? Mit Gott zu reden, kann ganz unorthodox geschehen. Ein kurzer Augenblick vor dem Schlafengehen. Ich lege den Tag mit allem, was ihn belastet oder schön gemacht hat, in Gottes Hände zurück. Ein Tischgebet. Ich danke Gott für das Gute, das er mich schmecken und sehen lässt, und bitte, dass es mir und anderen zum Segen werde. Ein Lied, ich stimme mit ein in der Kirche oder beim Kinder ins Bett bringen und dann klingt es in mir nach. Ein Satz aus der Bibel, ich habe ihn am Sonntag gehört und rufe ihn mir wochentags wieder ins Gedächtnis, bevor ich den Rechner hochfahre und mit der Arbeit anfange. Die Stimme eines Vogels, sie dringt im Morgengrauen durchs Fenster zu mir herein und kündigt das Ende an einer zergrübelten Nacht und ich begrüße leise den neuen Tag, den Gott mir schenkt. In Jesu Namen. Amen. 
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